Ein Beitrag von Lothar Bisky, Gabi Zimmer, Cornelia Ernst, Thomas Händel, Helmut Scholz, Jürgen Klute

Der Euro steht gegenwärtig heftig in der Diskussion – im rechten wie im linken Lager. Die Diskussion über den Euro greift jedoch zu kurz, wenn sie die politischen Ziele der EU außer Acht lässt und nur auf die wirtschaftlichen Aspekte blickt.

Über mehrere Jahrhunderte war Europa von Kriegen gezeichnet. Der Nationalismus des 19. Jahrhunderts hat Europa und mit ihm große Teile der restlichen Welt im 20. Jahrhundert in zwei entsetzliche Kriege geführt und in den von den deutschen Nationalsozialisten zu verantwortenden Holocaust. Diese Geschichte hatten die EU-Gründerväter vor Augen. Ihr Ziel war, den mörderischen Nationalismus in Europa zu überwinden, um jenseits der Nationalstaaten eine stabile, dauerhafte europäische Friedensordnung aufzubauen.

Diese Grundidee müssen wir gegen die heutigen Befürworter erneuter Militarisierung offensiv verteidigen. Gleichzeitig sollte die wirtschaftliche Integration die Grundlage der angestrebten europäischen Friedensordnung bilden. Wenn es stimmt, dass eine Gesellschaft durch ihre Produktionsbedingungen geprägt wird, dann ist wirtschaftliche Integration und Vernetzung eine notwendige Bedingung einer Friedensordnung.

Für die heutige Diskussion heißt das: Man kann den Euro nicht allein unter ökonomischen Gesichtspunkten losgelöst von den ursprünglichen Zielen einer Europäischen Einigung diskutieren. Eine gemeinsame Währung ist die Konsequenz einer wirtschaftlichen Integration. Ein Ausstieg aus dem Euro läuft auf eine Infragestellung der wirtschaftlichen Integration hinaus und damit wird zwangsläufig auch die europäische Einigung als politisches Ziel infrage gestellt.

Das Projekt der europäischen Einigung hat kein Paradies hervorgebracht. Aber es hat zu einer politischen Stabilität in Europa geführt, zu einer Zivilisierung der Aushandlung von Interessenkonflikten innerhalb Europas, wie es sie zuvor nicht gegeben hat. Wir übersehen dabei keineswegs, dass inzwischen  der Europäische Rat maßgeblich durch die ökonomisch starken Länder dominiert wird. Solidarität und die Angleichung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Lebensbedingungen sind längst wieder eigenen nationalstaatlichen Interessen und Egoismen zum Opfer gefallen. Sie führten zu einer tiefen Spaltung der EU zwischen den Ländern des Zentrums und der Peripherie.

Die Linke muss darum kämpfen, dass der Weg der europäischen Integration nicht verlassen wird. Denn was würde ein politisch instabiles und vom Nationalismus geprägtes Europa heute für die anderen Teile der Welt bedeuten – nachdem Europa die Welt in zwei furchtbare Kriege hineingezogen hat? Zu dieser historischen Begründung für die europäische Einigung kommen heute neue politische Begründungen hinzu. Kein Mitgliedsland der EU wäre alleine im Stande, ökologische Probleme wirksam anzugehen. Ebenso wenig wäre eine Energieversorgung noch auf nationaler Ebene sicher zu stellen. Auch die begrenzten Vorräte an Rohstoffen erfordern eine Form der Kooperation, zu der Nationalstaaten nicht fähig sind. Wirksame Regulierungen der Finanzmärkte sind im Zeitalter des Internets nicht mehr im Rahmen von Nationalstaaten durchsetzbar. Der Aufbau sozialer Gerechtigkeit und die Überwindung von Armut sind europäische Aufgaben.

Ein Ziel linker europäischer Politik muss sein, für demokratische Verfahren bei der Ausgestaltung des europäischen Einigungsprozesses zu kämpfen und das selbstherrliche Herrschen der Regierenden der Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Union zu beenden. Es geht also um handfeste politische Herausforderungen, die nur durch Kooperation und nicht in der Logik nationalstaatlicher Konkurrenzen und Abgrenzungen zu bewältigen sind. Auch technologische Entwicklungen und ihre sozialen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen erzwingen eine Überwindung von Nationalstaatlichkeit, wenn Politik handlungsfähig bleiben will. Der Zerfall der Wirtschafts- und Währungsunion träfe mit all seinen Konsequenzen vor allem die Bürger und Bürgerinnen im gegenwärtigen Euroraum – und zwar umgekehrt proportional zu ihrer sozialen Stärke. Zugleich drohen die Bedingungen für die Kooperation und das Zusammenleben in der Europäischen Union wesentlich verschlechtert bzw. zerstört zu werden.

Ein Rückfall in die Nationalstaatlichkeit würde begünstigt, die Voraussetzungen für solidarische und demokratische Lösungen der sozialen, ökologischen und globalen Probleme erschwert. Die Fortsetzung des europäischen Friedensprozesses erfordert von der Linken, dass sie im Gegensatz zu allen Ausstiegsdiskussionen die Forderung nach einer „funktionierenden Währungsunion“ mit der nach einer fortschreitenden EU-weiten Kooperation zur Verbesserung der ökologischen und sozialen Lebensbedingungen der Menschen verbindet. Nur so kann der europäische Einigungsprozess als europäisches Friedensprojekt fortgeführt werden. Die parteipolitische und gesellschaftliche Linke würde daher mit der Option für eine ökonomische Desintegration auch ihre friedenspolitische Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzten. 

Euro-Ausstieg belastet arme Haushalte am stärksten

Das wichtigste Argument von Teilen der Linken in Deutschland für einen Euroausstieg einzelner Länder ist die „Solidarität mit Südeuropa“, da damit die Exportchancen der von der Krise am stärksten betroffenen EU-Länder steigen würden. Denn eine Abwertung verschafft ihnen Preisvorteile und damit bessere Exportchancen für Güter und Dienstleistungen. Allerdings benennt bislang nur eine einzige der wichtigen linken Parteien Südeuropas, die Kommunistische Partei Zyperns, das Verlassen der Wirtschafts- und Währungsunion als Option, falls ihre berechtigten Forderungen nicht erfüllt werden, die drastischen Auflagen der Troika für die Kreditvergabe an Zypern aufzuheben.

Für andere Parteien wiegen die Nachteile eines Euro-Austritts schwerer. Dazu gehört, dass die alten Schulden in Euro bestehen bleiben würden. Diese Schulden erhöhten sich folglich um den Prozentsatz der Abwertung zum Euro, wodurch selbst ein starker Schuldenschnitt kaum noch Linderung brächte. Linke Ökonomen wie Flassbeck und rechte Ökonomen wie Sinn rechnen bei einem Austritt Griechenlands aus dem Euro und einer Wiedereinführung der Drachme mit einer notwendigen Abwertung von bis zu 50 Prozent. Während die Preise für Exportgüter durch eine Abwertung fallen, würden Importe schlagartig doppelt so teuer werden. Griechenland importiert heute Waren im Wert von 50 Milliarden Euro pro Jahr, darunter vor allem Öl, Medikamente, Maschinen, Elektrotechnik und andere höherwertige Güter, aber auch Nahrungsmittel und einen Großteil der Energie. Wenn Energie und benötigte neue Maschinen teurer werden, gefährdet das den Aufbau von Produktion. Oliven und Tourismus reichen nicht zum Wiederaufbau der griechischen Wirtschaft.

Für die Bevölkerung wäre die Verteuerung der Lebensmittel und Medikamente eine zweite Katastrophe nach den Leiden der Austeritätspolitik. Die soziale Ungleichheit würde noch weiter zunehmen. Man darf also nicht der Illusion verfallen, eine Abwertung würde automatisch zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen. Im Gegenteil, bei einer Rückkehr zur Drachme hätte Griechenlands Volkswirtschaft umgerechnet auf jeden Bürger und jede Bürgerin bis 2020 geschätzte 14.291 Euro Wachstumsverlust zu verzeichnen, berechnete 2012 das Schweizer Institut Prognos. Auch das ärmste Land in der EU, Bulgarien, für das Griechenland der wichtigste Wirtschaftspartner ist, wäre sehr stark betroffen.

Ein System fester Wechselkurse, wie teils vorgeschlagen, würde eben jene Bereitschaft zur Kooperation voraussetzen, deren Fehlen zum Scheitern des Euro führen könnte. Davon abgesehen gab es ein solches System bereits in den 1980er Jahren: das Europäische Währungssystem EWS. Es ist gescheitert. Gezielte Spekulationen gegen das britische Pfund haben das EWS im September 1992 zum Zusammenbruch gebracht. Auch darauf ist der Euro eine Antwort.

Ein System freier Wechselkurse hingegen provoziert Abwertungswettläufe. Man muss davon ausgehen, dass sich die exportorientierten Staaten nicht einfach mit Abwertungen anderer Mitgliedsstaaten abfinden würden. Sie würden versuchen, ihre Absatzmärkte zu sichern. Die bisherigen politischen und ökonomischen Ungleichgewichte zwischen den EU-Mitgliedsstaaten würden durch ein Ende des Euros eben nicht aufgehoben. Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen dürften grenzüberschreitende Geschäfte durch einen Ausstieg aus dem Euro hingegen wieder deutlich risikoreicher und komplizierter werden. Das geht zulasten von Arbeitsplätzen. Kleine EU-Länder mit eigenen Währungen sind zudem Spekulationen weitaus schutzloser ausgeliefert als der Euroraum.

Mit dem Austritt des ersten Landes aus der Währungsunion entsteht die Gefahr eines Dominoeffekts, bei dem Spekulanten auf den Austritt weiterer Länder wetten und versuchen, diesen auch herbeizuführen. Auf Griechenland könnten Portugal, dann Spanien und schließlich Italien folgen. Da die europäische und internationale Wirtschaft inzwischen sehr stark verwoben ist, würde dieses Szenario in 42 Ländern zu einer Rezession führen. Allein in Deutschland würde die Arbeitslosigkeit um mindestens 2,5 Prozent ansteigen, die Volkswirtschaft erlitte einen geschätzten Verlust von 1700 Milliarden Euro. Die Probleme der Euroländer würden durch einen Euro-Ausstieg nicht gelöst. Wohl aber würde die wirtschaftliche Integration zurückgedreht, sozialer Ausgleich erschwert und damit das europäische Einigungsprojekt in Gänze und in Frage gestellt.   

Europäische Union der Solidarität

Niemand ist bisher in Deutschland auf die Idee gekommen, die wirtschaftlichen Ungleichheiten zwischen den neuen und alten Bundesländern durch eine Wiedereinführung der Ost-Mark zu bekämpfen. Das wäre absurd. Und es ist auch nicht nötig, denn innerhalb Deutschlands gibt es eine gemeinsame Wirtschafts-, Fiskal- und Sozialpolitik. Dauerhaft wird die Krise der EU nur überwunden, wenn es auf EU-Ebene ebenfalls zu einer gemeinsamen Wirtschafts-, Fiskal- und Sozialpolitik kommt. Statt nun über einen Euro-Ausstieg zu fabulieren, müssen wir als Linke für eine demokratische Europäische Ausgleichsunion kämpfen und anhand dieses Konzepts konkrete Forderungen entwickeln, die deutlich machen, wie wir aus linker Sicht eine europäische Wirtschafts-, Fiskal- und Sozialpolitik weiterentwickeln wollen!

Die Linke in Deutschland hat sich stark für die Gründung der Europäischen Linken engagiert und sollte dabei bleiben, dass Linke gemeinsam europaweit handeln und Lösungen schaffen. Solidarisch mit den Bevölkerungen in den am stärksten von der Krise getroffenen Ländern und unseren dortigen linken Partnerparteien fordern wir die Schaffung einer tatsächlichen Transferunion in Europa, um diese Länder mit den benötigten finanziellen Mitteln für einen wirtschaftlichen Neustart zu versorgen – selbstverständlich demokratisch kontrolliert und konzentriert auf die Schaffung von Guter Arbeit für die Menschen, von der man eigenständig, selbstbestimmt und armutsfrei leben kann. Axel Troost und Lisa Paus haben in ihrem Artikel „Eine Europäische Ausgleichsunion“ skizziert, wie eine solche Politik aus linker Sicht aussehen kann.

Klar ist, dass die Kluft der stark auseinander driftenden Leistungs- und Handelsbilanzen zwischen den Mitgliedstaaten der EU geschlossen werden muss. Dazu müssten in Deutschland die Löhne ab jetzt jedes Jahr deutlich steigen, insbesondere im Niedriglohnbereich. Notwendig ist auch sowohl eine europäische Mindestlohnpolitik als auch Steuerpolitik, will man Kaufkraft flächendeckend steigern.

Darüber hinaus wollen wir in Europa integrierte Konzepte demokratisch kontrollierter wirtschaftlicher Zukunftsentwicklung entwickeln, die bestehende Elemente von Industrie- und Dienstleistungspolitik, von Struktur- und Kohäsionspolitik einschließt. Damit könnten der von der Linken seit langem geforderten Wirtschafts-, Währungs-, Sozial- und Umweltunion erste Konturen gegeben werden. Der vom DGB in die Diskussion gebrachte „Marshallplan“, der auch die Reichen zur Finanzierung des Schuldenabbaus und der Zukunftsinvestitionen in die Gesellschaft heranzieht, ist ein erstes Modell, das in diese Richtung weist.