Konstanze Kriese
Straßburg, Garnisonskirche, 2024
Konstanze Kriese

Demokratie gegen rechte Gewalt verteidigen – Plenum mit Abrüstung, gegen Zwangsarbeit, Lieferkettengesetz, Schengenreform, Abrüstung – Europäische Mittagspause – Neues Europäisches Bauhaus zwischen Elite und Unterfinanzierung – 1. Mai – Pressefreiheit

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Straßburg, Garnisonskirche, 2024 Konstanze Kriese

Die Legislatur 2019 bis 2024 endete in der letzten Straßburger Plenarwoche mit Licht und Schatten. Der heiße Wahlkampf startete auf entsetzliche Art und Weise mit einem der entscheidenden Themen der kommenden Zeit: die Verteidigung der Demokratie gegen Neofaschisten, Gewalt und Autoritäre aller Couleur. Am vergangenen Freitagabend wurde der sozialdemokratische Europaabgeordnete und wieder kandidierende Matthias Ecke aus Dresden von rechten Schlägertrupps angegriffen und erlitt so schwere Verletzungen, dass er operiert werden musste. Zuvor wurden schon Anhänger und Sympathisant*innen der Grünen attackiert.

Am gleichen Tag, am Welttag der Pressefreiheit, am 3. Mai, konnten wir einmal mehr die traurige Bilanz ziehen, dass auch Journalist*innen verstärkt auf Demonstrationen und bei Reportagen mitten in Deutschland angegriffen werden. Wir sind auch sofort erinnert an Bürgermeister, die unter derartigen Bedrohungen aufgaben, an die NSU-Prozesse, an rechtsradikale Strukturen innerhalb der Bundeswehr und an die schleppenden Aufarbeitungen all dieser Entwicklungen, die spätestens nach den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 statt mit dem Einstieg in die Abschaffung eines humanen Asylrechts mit einem deutlichen Kampf gegen Rassisten, Rechtsextreme, deren Unterstützer und europa- und weltweite Netzwerke hätte beantwortet werden müssen. Stattdessen hatte man den hässlichen ostdeutschen Jugendlichen gefunden und  dabei die dramatische Vielschichtigkeit der Problemlagen des Hasses gegen Menschen mit Migrationserfahrungen, die Strukturen alter westdeutscher Naziparteien- und Bewegungsprojekte weiter verdunkelt.

Es ist mehr als die angstschürende Auswirkung neoliberaler Politik, die weder Mieten drosselt, noch Energiepreise deckelt, wenn es darum geht zu erfragen, was zur Verrohung und Dialogunfähigkeit in unseren Gesellschaften führt, zur Ausbreitung von Hass und Hetze. Wegschauen und Entsolidarisieren haben unterschiedliche Nährböden, die wir endlich austrocknen müssen. Und wir sollten auch nicht übersehen, dass all diese rassistischen Übel zutiefst patriarchal und antifeministisch aufgestellt sind. Die AfD und deren Umfeld in der ProLife-Bewegung spricht dazu Bände und dies ganz offen und ohne Scheu, wenn es um „Bevölkerungspolitik“ und die Diskriminierung von reproduktiven Rechten von Frauen oder Rechten von Queers geht. Damit wird nicht nur Anschluss bei rechts- und linkskonservativen Parteien gesucht, sondern tatsächlich erfolgreich praktiziert.

Unsere linke Delegation im Europaparlament hat fünf Jahre aktiv gegen Rechtsaußen und für Gerechtigkeit Politik gemacht, Menschenrechte und soziale Rechte nicht gegeneinander ausgespielt, ökologische Transformation und gute Investitionspolitik zusammengedacht, friedenspolitisch Abrüstung und Diplomatie verteidigt, für den sozialen Ausgleich in den Regionen, für Kulturaustausch und Medienfreiheit und auch für eine gerechte EU-Erweiterungs- und Handelspolitik gekämpft. Ein Stück davon haben wir bis in die letzte Plenarwoche getragen. Und mit all diesen Erfahrungen und vielen frischen Ideen stellen wir uns erneut zur Wahl am 9. Juni 2024.

Solidarität mit Matthias Ecke: Gemeinsam gegen rechtsextreme Gewalt und Einschüchterung!

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Martina Michels im Plenum Alexis HAULOT

„Die Abgeordneten und Mitarbeiter*innen von Die Linke im Europaparlament sind schockiert über die Gewalt rechtsextremer Schlägertrupps besonders in Sachsen, die die Europawahlkampagne erneut nutzen, um Menschen mit anderer politischer Meinung einzuschüchtern. Wir verurteilen die Taten dieser kriminellen Antidemokrat*innen auf das Schärfste. … Alle demokratischen Kräfte müssen gemeinsam und solidarisch zusammenstehen, diese Angriffe und Einschüchterungen verurteilen und alles dafür tun, dass diese demokratiefeindlichen Taten keinen Raum bekommen.“,

teilte Martina Michels als Delegationssprecherin mit, nachdem sie von dem furchtbaren Überfall auf unseren Parlamentskollegen Matthias Ecke aus der Sozialdemokratischen Fraktion hörte. Hass und Hetze rechtsextremer Schlägertrupps sind alles andere als ein neues Phänomen. Leider. Die Verteidigung der Demokratie wird nicht nur den Europawahlkampf prägen, sondern verlangt von uns allen einen langen Atem (siehe Einleitung).

Was ihr schon immer über grünen Stahl wissen wolltet, aber euch nie getraut habt, zu fragen

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RLS Brüssel

Einmal mehr hat es ein Konferenzbericht von Manuela Kropp (RLS Brüssel), den sie akribisch zu Fragen der Mobilität, Bekämpfung von Energiearmut, Just Transition und anderen Themen in den letzten Jahren anbot, in sich. Diesmal geht es um grünen Stahl. Die Konferenz „Stahl ist Zukunft“ fand schon am 13. April 2024 in Salzgitter statt, organisiert von der RLS Brüssel. In Salzgitter wird die Transformation zu grünem Stahl schon umgesetzt und auch in Bremen, wo wir eine linke Wirtschaftssenatorin haben, Kristina Vogt. In anderen Mitgliedstaaten sucht man derartige Lichtblicke noch vergebens. Deshalb entwickelte die Konferenz ein klares Plädoyer für eine europäische Industriepolitik, mehr erneuerbare Energien, mehr grünen Wasserstoff. Das alles funktioniert nur mit einer Stärkung der Gewerkschaften und der Tarifbindung. Und was ihr noch im Konferenzbericht finden werdet, sind viele Argumente gegen die Schuldenbremse, die in Deutschland und auch deren Pendant auf der EU-Ebene. Hier könnt ihr alles nachlesen.

Plenum I: Vertane Chance – Industriepolitik auf tönernen privaten Füßen

Und damit sind wir mitten im Debatten- und Abstimmungsmarathon des letzten Plenums in Straßburg in dieser Legislaturperiode. Was hat die EU nun zur Industriepolitik vorgelegt? Diese Frage stellt sich besonders, nachdem die USA mit dem Inflation Reduction Act (IRA) – auch als Reaktion auf die Inflation – schon lange eine unübersehbare Investitionsoffensive eingeleitet hat (geschätzte Mittel: 369 Mrd. US-Dollar mit dem Förderziel der Dekarbonisierung der Energieerzeugung und -nutzung), die auch europäische Firmen anzieht. Cornelia Ernst kommentierte die Abstimmung zum Netto-Null-Industriegesetz (NZIA) der EU mit sichtlich kritischer Ernüchterung:

„Das Netto-Null-Industriegesetz ist eine vertane Chance für einen wirklichen Paradigmenwechsel in der Industriepolitik, denn man lässt private Unternehmen auch weiterhin im Fahrersitz der Transformation. Während andernorts massive öffentliche Subventionen mobilisiert werden, um die Industrie umzubauen, hofft die EU darauf, private Investitionen durch deregulierte Genehmigungsverfahren anreizen zu können. Doch das allein wird nicht genügen und birgt obendrein noch die Gefahr, auf Kosten von Umweltschutz und Bürgerbeteiligung zu gehen.

Wir brauchen vielmehr eine europäische Investitionsoffensive, etwa im Rahmen eines neuen Industriefonds mit frischem Geld, die die öffentliche Kontrolle und Planung stärkt…“

Plenum II: Schluss mit Wettrüsten – Sicherheit gewinnen wir nur mit Abrüstung!

Mitten in die Straßburger Plenarwoche platzten die alarmierenden Zahlen zur weltweiten Aufrüstung:

„Die heute veröffentlichten Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes ‚SIPRI‘ sind alarmierend: Mit 2, 443 Billionen Dollar sind die weltweiten Militärausgaben im Jahr 2023 das neunte Mal infolge gestiegen und haben ein Allzeithoch erreicht. Während Unsummen in die Rüstung gesteckt werden, steigt überall das Konflikt- und Eskalationspotenzial. Wir brauchen endlich eine Abrüstungsoffensive anstatt eines globalen Wettrüstens und einen Rüstungsschub nach dem anderen!“,

kommentiert Özlem Demirel die Befunde und mahnt an, dass diese Entwicklung keinerlei gangbare Sicherheit bringen und überdies Ressourcen bindet, die dringend bei der Lösung anderer akuter globaler Herausforderungen fehlen, sei es der Klimawandel oder die Armutsbekämpfung, deren Bewältigung zugleich auch Konfliktpotential minimieren würde.

Plenum III: Europaparlament unterbindet Zwangsarbeit und sagt Ja zum Lieferkettengesetz

„Der … Beschluss des Parlaments bringt uns dem Ende von Zwangsarbeit ein gutes Stück näher. Neben dem Kampf gegen die unerträglichen Lebensumstände der Opfer, schafft das Gesetz auch Gewissheit für Konsument*innen in Europa. So muss sich in Zukunft niemand mehr Fragen, ob der morgendliche Kaffee durch Zwangsarbeit hergestellt wurde, denn solche Produkte dürfen dann nicht länger auf den Binnenmarkt gelangen.“,

kommentierte Helmut Scholz die Plenarabstimmungen am 23. April 2024 in Straßburg. Er befand, dass diese Entscheidung auch international Wirkung entfalten wird, und forderte die Mitgliedstaaten auf, die Umsetzung schnell zu bewerkstelligen.

Doch Helmut Scholz musste auch allerhand Wasser in den Wein schütten und benannte zugleich Ross und Reiter. Einmal mehr hatte der Rat, also die Minister*innen der Mitgliedstaaten, wichtige Elemente dieser Gesetzgebung blockiert, so dass wir bei dem Erreichten nicht stehen bleiben können:

„Trotz dieser historischen Errungenschaft wurde die Chance verpasst, sich konsequent zu Menschenrechten zu bekennen. Der Rat hat erfolgreich verbindliche Wiedergutmachungspflichten für Staaten und Unternehmen blockiert. Opfer von Zwangsarbeit gehen deshalb leer aus. Zudem wurden Ausnahmeregelungen bei Lieferkettenproblemen eingeführt. Ein ambitioniertes Gesetz sieht anders aus.“

Immerhin gab es ein Ja zum mühsam gegen die Blockade Deutschlands erkämpften Lieferkettengesetz. Özlem Demirel erinnert an die Katastrophe in Bangladesh und das aktuelle Gezerre um dieses Gesetz, das, wie sie sagt, nur ein Anfang sein kann, in der internationalen Arbeitsteilung überall für faire Arbeitsbedingungen einzustehen.

„Exakt am heutigen Tag (23. April 2024) vor elf Jahren starben bei der größten Tragödie in der Textilindustrie 1.139 Arbeiter*innen im Rana Plaza Gebäude in Bangladesch, während sie für globale Konzerne unter schlimmsten Arbeitsbedingungen schufteten. Auch wenn ihnen eine EU-Richtlinie nicht mehr hilft, ist es allerhöchste Zeit, dass international agierende Unternehmen in die Verantwortung genommen werden, entlang der kompletten Produktionskette Menschenrechte und Arbeiter*innenrechte zu wahren und den Umweltschutz einzuhalten…“

Plenum IV: Spagat bei der Ukraine Solidarität

Handelserleichterungen für die Ukraine versus Schutz der heimischen Bäuerinnen und Bauern wird nicht zum letzten Mal Thema im Europaparlament gewesen sein:

„Als Linke haben wir uns von Anfang an für eine nachhaltige Abwägung stark gemacht, die beide Belange unter einen Hut bringt. Und klar: Auch die GAP muss grundsätzlich auf den Prüfstand – damit künftig kein Ausspielen von unterschiedlichen Interessen mehr stattfinden kann, sondern sichere Perspektiven gegeben werden können. Wie schon im Ausschuss haben die rechten Fraktionen heute wieder gezeigt, dass sie die Unterstützung der Ukraine für populistische Slogans aufgeben, die die gesellschaftliche Spaltung vorantreiben. Umso wichtiger ist es, dass die demokratischen Fraktionen sich zur Ukraine bekannt haben.“,

fasste Helmut Scholz die schwierigen Abwägungen, die uns auch bei den kommenden EU-Ost-Erweiterungsrunden begleiten werden, zusammen. Manchen Konservativen wird man dann recht deutlich sagen müssen: Solidarität gibt es nicht zum Nulltarif und sie funktioniert natürlich nur, wenn wir Bäuerinnen und Bauern Unterstützung beim Absatz ihrer Produkte gewähren und bei diesen Konflikten nicht die Augen verschließen. Gegeneinander Ausspielen ist jedenfalls keine Lösung.

Plenum V: Schengenreform zementiert illegale Praxis der Zurückweisung von Asylantragsberechtigten

In der letzten Plenarwoche wurde auch die Schengenreform vom Parlament „abgesegnet“, die die schwarzen Stunden zur Asylgesetzgebung, die schon am 11. April 2024 geschlagen hatten, noch ergänzt. Dazu schreibt Cornelia Ernst:

„Die Neufassung des Schengener Grenzkodex wird ‚Racial Profiling‘ an unseren Binnengrenzen zur Regel machen, ‚interne Pushbacks‘ zwischen Schengen-Staaten ermöglichen und den Einsatz neuer Überwachungstechnologien dramatisch ausweiten. Während das eigentliche Ziel der Neufassung, die Beendigung der ständigen Wiedereinführung vorübergehender Kontrollen an den Binnengrenzen sein sollte, verallgemeinert der Vorschlag Polizeikontrollen mit dem ausdrücklichen Ziel, irreguläre Migration zu verhindern. Das wird ‚Racial Profiling‘ an den Binnengrenzen massiv verschärfen, so wie wir es beispielsweise schon an der deutsch-tschechischen Grenze kennen – eine illegale Praxis…“

Europäische Mittagspause – eine Projektdokumentation zur aktuellen Europapolitik

Was tut die EU eigentlich für mich, für mein Dorf, für meine Stadt

Die Rosa Luxemburg Stiftung in Niedersachsen und NRW hatten eine schöne Idee: Sie entwickelten im April eine Veranstaltungsreihe, bei der in kurzen Häppchen zur Mittagspause Themen vorgestellt werden und kurze Nachfragen möglich waren. 50 Prozent der Inputs bestritten Mitarbeiter unserer Delegation, so sprach Katharina Zimmer zur Asylpolitik und unser Büro stellte erneut die Handreichung zu „EU und Kommune“ vor. Da die Veranstaltung – mit vielen wertvollen aktuellen Materialien – dokumentiert wurde, stellen wir sie euch hier ebenfalls zur Verfügung. Da findet ihr unter anderem den neuen Atlas der Abrüstung, mit Daten und Fakten gegen alte und neue Kriege, eine Powerpoint-Präsentation von Roland Kulke zur EU vor den Europawahlen und natürlich unsere Handreichung zum komplexen Zusammenhang von EU und Kommunen.

Fail beim Vorzeigeprojekt „Neues Europäisches Bauhaus“?

Martina Michels hatte dereinst im Regionalausschuss eine Stellungnahme zur Initiative Neues Europäisches Bauhaus verantwortet und im Kulturausschuss als Schattenberichterstatterin vor allem die Intransparenz des kulturellen Lieblingsprojektes der Kommissionspräsidenten angemahnt. So blieb die nachhaltige Finanzierung offen. Schöne Idee, so mussten wir festhalten, doch nach unserem Eindruck undurchdacht, intransparent und irgendwie konzeptionslos, mit einem Touch Event-Charakter.

Und so sahen dann auch die Forderungen des Parlaments aus:

„Zu elitär, zu unkonkret, zu wenig bürgernah und unklare Perspektive – das waren wohl die wichtigsten Zweifel an der eigentlich gutgemeinten Neuen Europäischen Bauhaus-Philosophie, wie sie die EU-Kommission vor zwei Jahren ins Leben gerufen hatte: Eine europäische Kulturbewegung, die darauf abzielt, intelligente, nachhaltige und ästhetisch ansprechende Lösungen zur Verbesserung unseres täglichen Lebens zu finden.
In seinem in dieser Woche angenommenen Bericht beharrt das Parlament auf konkreten Kriterien für die Auswahl der Projekte und Initiativen des Neuen Europäischen Bauhauses (NEB), die mit EU-Geldern finanziert werden.“,

fasste Martina im September 2022 die Parlamentsposition zusammen.

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Nun beginnt die Zeit der Rechenschaftslegungen vor den Europawahlen auch für die EU-Kommission und das gilt auch für die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ein nicht schmeichelhafter Meinungsbeitrag von N. J. Kurmayr erschien pünktlich während der letzten Plenarwoche in Euractiv und fällt ein finsteres Urteil über die Praxis der Initiative Neues Europäisches Bauhaus.

Dass Elitenprojekte in München gefördert wurden, eine der reichsten Regionen Europas, mag das eine Problem sein, dass die Finanzierung und die personelle Projektausstattung dürftig ist, blieb ein weiteres. Während Architekten eine umweltgerechte Bausumme von 15 Mrd. Euro europaweit als Minimum für die Projektidee veranschlagen, wurschtele das Projekt mit 700 Millionen Euro im Leuchtturmbereich und erreichte, wie andere Architekten sagten, eben kein breites Spektrum von Bürgerinnen und Bürgern. Das Neue Europäische Bauhaus (NEB) war eben nicht wie sein 100 Jahre alter Vorgänger eine Bewegung von Städteplanerinnen, Kulturmenschen, Architekten, sondern ein Lieblingskind der Kommissionschefin, ein wahrlich ungewöhnlicher Ausgangspunkt. Etwas bösartig beschreibt der Kolumnist die praktizierte Brüsseler Rechenschaftslegung beim ersten NEB-Festival:

„Die Brüsseler sind im April dieses Jahres wohl zum ersten Mal mit dem Neuen Europäischen Bauhaus in Berührung gekommen. Im Rahmen des jährlichen Festivals der Initiative tauchten wie über über Nacht igelartige Strukturen und hastig errichtete, klapprige Konstruktionen im weitläufigen Parc du Cinquantenaire auf. Die meisten Besucher dürften davon abgelenkt gewesen sein, dass parallel zum Festival auch eine willkommene Pop-up-Bar in den Bögen (des großen Tores) entstand, die einen herrlichen Blick auf den Park bot. Zu Recht, denn sonst gab es nicht viel zu sehen.“ (Übersetzung K.K. – die Red.)

Nur um es besser zu machen, wünschen wir Ursula von der Leyen jedoch keine zweite Amtszeit als Kommissionschefin, das bekämen die kritischen Abgeordneten des Europaparlaments dann wohl besser selbst hin, wie sie mit der Öffnung des LUX-Filmpreises und ihrem Bericht zur Bauhaus-Initiative engagiert und einschlägig bewiesen haben.

1. Mai 2024 in Brüssel

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Mont des Arts Brüssel, 1. Mai 2024 Konstanze Kriese

Gemeinsam mit den Gewerkschaften trafen sich politische Initiativen wie in den vergangenen Jahren auf dem Kunstberg. Gute Musik und viele Besucherinnen nutzten den raren Sonnenschein in der Stadt und führten begeistert politische Debatten. Wir waren, wie schon in den vergangenen Jahren, erstaunt, wie gut die Belgierinnen und Belgier ihre Nachbarländer kennen, Fragen zur Parteienlandschaft in Deutschland stellen. Doch auch manch deutsche Besucher*innen, zumeist aus Nordrhein-Westfalen, nutzten den freien Tag für eine Fahrt nach Brüssel und mancher war erstaunt, dass es keine 5-Prozent-Hürde bei den Europawahlen gibt, man also gar nicht unbedingt taktisch wählen muss, sondern sich mit dem Herzen auf eine progressive soziale Europapolitik einlassen kann.

3. Mai – Tag der Pressefreiheit

Schon während der Plenarwoche im April 2024 machte Özlem Demirel auf erneute Festnahmen kurdischer Journalistinnen und Journalisten in der Türkei unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung als Retourkutsche auf Erdoğans Wahlniederlage bei den Kommunalwahlen in der Türkei aufmerksam. Und schlimmer noch, auch in Belgien wurden kurdische Redaktionsstuben durchsucht und die Sendeproduktionseinrichtungen beschädigt. Demirel fordert zurecht die schleunigste Aufklärung dieser Eingriffe in die Pressefreiheit.

In derselben Woche leuchten die Scheinwerfer Europäischer Pressefreiheit auch nach Italien, wo der Schriftsteller Antonio Scurati aus einer Sendung der öffentlich-rechtlichen RAI ausgeladen wurde. Warum? Er wollte zum Jahrestag der Befreiung Italiens vom Faschismus am 25. April 2024 einen Text vortragen, in dem er Giorgia Meloni mangelnde Distanzierung von ihrer „postfaschistischen Vergangenheit“ vorwirft. Doch diese Zensur scheint längst kein Einzelfall.
Der Chefredakteur von La Repubblica, Maurizio Molinari, schrieb zu diesem Vorgehen:

„Das Verbot der Meinungsäußerung eines Schriftstellers, eines jeden Bürgers, durch eine Regierung ist ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit, eine Säule der Rechtsstaatlichkeit, die durch die EU-Verträge geschützt und durch die Verfassungen unserer Länder proklamiert wird, und gegen ein Grundrecht jedes Menschen. Deswegen ist die Zensur Scuratis nicht nur ein italienischer Fall, sondern auch eine europäische Wunde. Wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen eines EU-Landes nicht alle Meinungen zeigt, sondern eine bestimmte auswählt, dann ist das ein Problem für alle. … Leider ist Italien weder das einzige noch das erste EU-Land, in dem die Exekutive über ihre Befugnisse hinausgeht, um unerwünschte Stimmen zum Schweigen zu bringen.“ (zitiert nach Eurotopics-d am 29. April 2024)

Die EU hat in der letzten Legislatur mit dem Medienfreiheitsgesetz, aber auch mit dem Digitalen Dienste-Gesetz (DSA) und der Revision der Audio-Visuellen Mediendienste-Richtlinie allerhand, auch wagemutige Schritte unternommen, die ihre Durchsetzungsfähigkeit in den Mitgliedstaaten zum Teil erst beweisen müssen. Andererseits arbeiten Medienfreiheitsinitiativen noch immer unterfinanziert und ohne langfristige Perspektiven, obwohl sie einen Großteil der Expertise leisten, die uns Aufschluss darüber gibt, wie die Lage der Journalistinnen und Journalisten in den EU-Mitgliedsstaaten, in den Nachbarländern und darüber hinaus ist. Hier sollte der EU-Haushalt tiefer in die Tasche greifen, um dieses wertvolle Gut, die Pressefreiheit, in Zeiten von Fake News und noch immer schwer zu lichtender Medienkonzentration zu stützen.