Martinas Woche 16_2024: Straßburg zwischen Frühlingserwachen, Abstimmungsmarathon und Bilanz
Lux-Filmpreis – Regionalpolitik Bilanz und Vorschau – Plenarfokus – EU, der Wettbewerb und die Investitionsbremsen
Die letzte Woche in Brüssel vor der allerletzten Plenartagung in Straßburg war voller Termine. Und genau genommen startete die Woche schon am Montagabend in Berlin, als Konstanze in Weißensee bei interessierten Bürgerinnen und Bürgern Bilanz zog über das, was unsere Abgeordneten in fünf Jahren in Brüssel erreicht haben. Der wohl schönste Termin war dann am Dienstagabend, als der Lux-Film-Preis 2024 nominiert wurde. Leider sprechen derartige Highlights nicht für die gesamten Irrungen und Wirkungen europäischer Politik, die wir in dieser Ausgabe von Martinas Woche in der Vorausschau auf die kommende Plenartagung und in der Rückschau auf die aktuellen Debatten in der Regional- und der Wettbewerbspolitik beleuchten.
Lux Filmpreis 2024: The winner is The Teacher Lounge – „Das Lehrerzimmer“
Am Dienstagabend war es soweit. Die fünf nominierten Filme des Lux-Filmpreises wurde in einer festlichen Zeremonie in Brüssel noch einmal vorgestellt. Der Preis, der seit der Pandemiezeit auch zu 50 Prozent ein Europäischer Publikumspreis geworden ist, wird ansonsten von den Mitgliedern des Europäischen Parlaments – gemeinsam mit der Europäischen Filmakademie – ausgelobt und vergeben. Seit dem vergangenen Jahr hat er eine eigenen Veranstaltung außerhalb einer Plenarwoche in Straßburg. Diese Renovierung der Preisverleihung hat der öffentlichen Wirksamkeit des Preises gut getan. Auch die Wertschätzung der Filmteams und Schauspielerinnen und Schauspieler hat endlich genügend Raum auf dem Europäischen Parkett. Früher wurde der Preis kurz vor einem üblichen Abstimmungsmarathon in einer staubigen Sitzung vergeben. Heute hat die Verleihung ihr eigenes Gesicht, ein Abendprogramm und damit viel mehr Möglichkeiten des Austauschs.
Martina hatte schon im Februar 2024 den Film in Berlin im Kino International vorgestellt, der nun auch gewonnen hat. Das hat sie sehr gefreut, hatte sie doch die Gelegenheit, nicht nur mit dem Regisseur mehrfach zu sprechen, sondern auch mehrfach für den Film zu werben.
Der Film kommt aus Deutschland. Der Regisseur, İlker Çatak, musste allerdings genau auf diesen Umstand in mehreren Veröffentlichungen erst aufmerksam machen, nachdem er, ebenso wie Sandra Hüller für die Darstellung in „Anatomie eines Falls“, mit dem Film „Das Lehrerzimmer“ in der Kategorie „Bester internationaler Film“, neben Wim Wenders mit dem japanischen Film „Perfect Days“, nominiert war. Was in Hollywood nicht prämiert wurde, klappte nun in Brüssel. Das Drama „Das Lehrerzimmer“ erzählt viel mehr als eine eskalisierende Geschichte an einer Schule. Subtiler Rassismus, die Unfähigkeit zu demokratischen Dialogen, Populismus und Öffentlichkeit – Vieles wird in diesem Film verhandelt. Er ist enorm präzise und verlangt von den Zuschauerinnen und Zuschauern viel Nachdenklichkeit und letztlich auch das Formulieren von Haltungen. Wir können jedoch auch die anderen Filme aus dem Kinojahr 2023 empfehlen. Hier findet ihr alle nominierten Filme.
Regionalpolitik – Rückblick und Vorausschau vor der nächsten EU-Erweiterung
In einem umfangreichen Bericht, den voraussichtlich letzten Regi-News, stellen Martina Michels und Nora Schüttpelz die Aussprache zum 9. Kohäsionsbericht im Regionalausschuss vor. Der Bericht fasst zusammen, was wir aus der Legislaturperiode 2019–2024 lernen können, die mit besonderen Entwicklungen – wie der Pandemie und dem Ukraine-Krieg – auch allerhand Gewissheiten europäischer Regionalpolitik und bei den EU-Förderschwerpunkten durcheinander warf.
Städte, Gemeinden und Regionen stehen alle vor den Herausforderungen des Klimawandels, von der Wärmeplanung bis zur sozialen Absicherung eines strukturellen Umbaus in der Arbeitswelt, von Reformen in einer modernen Bildung und Ausbildung bis zur wirtschaftlichen Aktivität, die Regionen stärkt und auch – neben Kultur, Geschichte und integrativer Stadt- und Raumplanung – Menschen europaweit miteinander verbindet. Kohäsionspolitik hat dazu beigetragen, ein größeres Auseinanderdriften von Regionen innerhalb der EU zu begrenzen. Das belegt der 9. Kohäsionsbericht. Öffentliche Investitionen aus den Strukturfonds haben einen hohen Hebeleffekt. Mittel-ost-europäische Mitgliedstaaten konnten ihre Wirtschaftskraft dem EU-Durchschnitt annähern. Deshalb ist es lohnenswert, Kohäsionspolitik zu erhalten und weiter zu stärken. Klima-, Kriegs-, Inflations- oder Energiekrisen sind noch immer spürbar, ländliche Räume brauchen überdies eine besondere Aufmerksamkeit. Prioritätensetzung durch eine gute Regionalpolitik, so Martina Michels, gehört auch in ein Portfolio europäischer Souveränität. Wir müssen die Stimmen der Kommunen und Regionen in der europäischen Politik stärken, aber auch in den Mitgliedstaaten selbst, wenn es um die Projektauswahl und überregionale Reformpläne geht.
Die Rückschau ist eng verbunden mit einer strategischen Planung für eine Regionalpolitik, die auch der geplanten EU-Erweiterung stand hält und ihren sozialen Umverteilungsanspruch aufrecht erhalten kann. Ob man hier mit den Haushaltsansätzen aus dem mehrjährigen Finanzplan bis 2027 auch in der neuen Förderperiode weiterarbeiten kann, ist eine Frage, die klar auf dem Tisch liegt.
Zur weiteren Debatte könnt ihr hier die ganzen Regi-News nachlesen.https://dielinke-europa.eu/2024/regi-news-april-9-kohaesionsbericht-eu-haushalt-und-erweiterung-eu-foerdermitteltipps/
Straßburg zwischen Frühlingserwachen, Abstimmungsmarathon und Bilanz
Nicht nur die aktuellen internationalen Konfliktlagen, ob zwischen Iran und Israel, im Gaza-Streifen oder in der Ukraine, ob in den „vergessenen“ Konflikten in Jemen – auch das dramatische Voranschreiten der Klimakrise, die ungerechte internationale Arbeitsteilung, wachsende Unsicherheiten über eine Prioritätensetzung in der europäischen Politik werden Teil der Aussprachen und Abstimmungen in der letzten Plenarwoche dieser Legislatur (2019 bis 2024) sein. All dies wird auch den Europawahlkampf bestimmen. Zwischen dem 6. und dem 9. Juni 2024 wählen Bürgerinnen und Bürger in den 27 Mitgliedstaaten der EU erneut das einzige weltweite panstaatliche Parlament und damit den Co-Gesetzgeber neben dem Rat der Europäischen Union. Migration, Klimawandel, Digitalisierung, internationale Konfliktbekämpfung und damit ein demokratisches, soziales, friedliches Europa – das sind alles politische Herausforderung, die man weder rechtsausladenden, nationalistisch orientierten Populist*innen überlassen kann, noch konservativen Wettbewerbsfetischist*innen, die Lobbyist*innen folgen, die ausschließlich Profitmaximierung zum Maßstab aller Dinge erheben.
Hier findet ihr unseren Plenarfokus für die kommenden Woche und hier auch den gesamten Wochenüberblick der Aussprachen und Abstimmungen.
EU: Regierungen verhandeln über mehr Wettbewerbsfähigkeit der EU
„Der Europäische Rat hat Neuerungen angekündigt, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu steigern. Ein kontrovers debattierter Bericht des italienischen Ex-Premiers Enrico Letta schlägt unter anderem vor, den Binnenmarkt auf Energie, Telekommunikation und Finanzen auszuweiten und Brüssel direkte Beihilfen an Unternehmen zu erlauben. Nach der EU-Wahl will man sich auf konkrete Maßnahmen einigen. Europas Presse ahnt: Das wird nicht leicht.“,
urteilten die Eurotopics am vergangenen Freitag. Eingangs zitieren sie als Blockade neuer Wege gleich die Süddeutsche Zeitung mit dem ewigen Mantra der deutschen Investitionsbremse, die insbesondere von Lindner immer wieder in der Europäischen Politik vertreten wird.
„Eurobonds wird es auf absehbare Zeit nicht geben, dafür wird die FDP in der Ampelregierung schon sorgen. Was also dann? Um Europas Wirtschaft aus der Misere zu führen, braucht es, wie so oft auf EU-Ebene, einen Kompromiss.“
Dagegen spricht der Bericht von Letta eine deutliche Sprache:
„Das Investitions- und Kapitalmarktsystem in Europa liegt im Argen, was der Kapitalabfluss von 300 Milliarden Euro pro Jahr in Richtung USA nur bestätigt.“,
so urteilen italienische Zeitungen.
Vorab kommentierte Martin Schirdewan zum Gipfel in einer Pressemitteilung:
„Die geplante Reform der Fiskalregeln bedeutet nichts anderes als eine neue Runde Kürzungsdiktate für Staaten, Regionen und Kommunen. Die EU muss endlich eine gerechte Steuerbasis schaffen anstatt sich in einen selbstgebauten Käfig zu sperren, der wichtige Investitionen verhindert. Mit einer anständigen Mindeststeuer würden internationale Großkonzerne ihren gerechten Beitrag zur Gemeinschaft leisten, so wie jede Bäckerin, jeder Maurer und jedes kleine oder mittelständische Unternehmen. Auch eine längst überfällige Finanztransaktionssteuer würde den Spielraum der EU-Staaten erweitern. Mit einer breiten Steuerbasis kann Geld in gute Arbeit, starke Gewerkschaften, den sozialen Zusammenhalt und die eigenen Klimaziele gesteckt werden.“