Nora Schüttpelz
Koordinator*innen des REGI mit Kommissarin Elisa Ferreira und REGI-Präsident Younous Omarjee; Martina Michels 2. v. l.
Nora Schüttpelz

REGI NEWs April: 9. Kohäsionsbericht, EU-Haushalt und Erweiterung, EU-Fördermitteltipps

9. Kohäsionsbericht vorgestellt

Highlight der letzten Beratung des Ausschusses für regionale Entwicklung in dieser Legislaturperiode war die Aussprache mit der für Kohäsion und Reformen zuständigen Kommissarin Elisa Ferreira.  Erörtert wurden Erfolge der Kohäsionspolitik während der Legislaturperiode 2019–2024 sowie der 9. Kohäsionsbericht.

Die EU und ihre Städte, Gemeinden und Regionen standen schon zu Beginn der Legislaturperiode vor großen Herausforderungen. Besonders dem Klimawandel, dessen Folgen wir nun seit Jahren live erleben, mit seinen sozialen, aber natürlich auch wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Dazu kamen aber in dieser Legislaturperiode besondere, unerwartete und schwerwiegende Krisen. Dass die Kohäsionspolitik dazu beigetragen hat, größeres Auseinanderdriften innerhalb der EU zu begrenzen, das belegt der 9. Kohäsionsbericht belegt diese Erfolge in großen Teilen. Öffentliche Investitionen aus den Strukturfonds haben mit 4 % einen hohen Hebeleffekt. Die Mittel-Ost-europäischen Mitgliedstaaten konnten ihre Wirtschaftskraft dem EU-Durchschnitt annähern. Die von der Kohäsionspolitik unterstützen Krisenprogramme konnten ein neuerliches Auseinanderdriften in großen Teilen verhindern helfen. Gute öffentliche Infrastrukturen, Dienstleistungen und Bildungsniveaus können nicht nur die Ansiedlung von Wirtschaftsstandorten voranbringen, sondern bspw. auch zu einer guten Gesundheitsversorgung beitragen.

Es lohnt sich, die Kohäsionspolitik erhalten und weiter zu stärken, denn – auch hier gibt der Kohäsionsbericht zahlreiche Beispiele. Zusammenhalt, Angleichung der Lebensverhältnisse, ausgewogenen soziale, wirtschaftliche und territoriale Entwicklung – das ist keine einmalige Aufgabe, die man im Hauchruck-Verfahren abarbeiten kann. Diesen EU-Verfassungszielen näher zu kommen ist ein ständiger Prozess, der Planung, Langfristigkeit, Anpassungsfähigkeit und auch Vertrauen benötigt. Die Klima-, Kriegs-, Inflations- oder Energiekrisen sind längst nicht überstanden. In einer Reihe von Regionen im Süden der EU konnten bislang nicht einmal die Folgen der Finanzkrise von 2008 ausgeglichen werden. Ungleiche Bildungschancen, verschlafene Digitalisierung, mangelnde Anpassung an die Folgen des Klimawandels, teilweise wachsende Disparitäten zwischen Metropolen und dem „flachen Land“ machen Kohäsionspolitik weiter dringend.

Umso mehr wäre eine klare politische Prioritätensetzung erforderlich, durchaus aus über Förderpolitik hinaus, sagte Martina Michels in der Debatte. In anderen Politikfeldern hören wir immer häufiger: Es muss mehr in Verteidigung investiert werden und mehr in globale Wettbewerbsfähigkeit unserer Flaggschiff-Unternehmen. Das „grüne Europa“ und sozialer Zusammenhalt, unser „niemanden und keine Region zurücklassen“ geraten dabei zunehmend ins Hintertreffen. Aber die EU erhält nicht dafür die Unterstützung der Menschen, dass sie den Konzernen Aufträge verschafft, sondern dafür, dass die und der Einzelne sich von der EU ganz konkret unterstützt fühlt. Wenn sich in Thüringen, in Deutschland, 16 % der Bevölkerung nicht einmal alle zwei Tage eine Fleisch-, Fisch- oder äquivalente vegetarische Mahlzeit leisten können (Quelle: 9. Kohäsionsbericht), ist das sicher eine Folge falscher Umberteilungspolitik in Deutschland. Aber es wären sicher mehr, wenn die Kohäsionspolitik der EU ihre Umverteilungsrolle abgeben würde.

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Martina Michels im REGI am 09. April 2024 Nora Schüttpelz

Martina brachte einen zweiten Kritikpunkt an: „Immer häufiger hören wir von den Lehren aus der Aufbau- und Resilienz-Fazilität. Ich glaube nicht, dass sie ein gutes Modell für die Kohäsionspolitik ist.“ Schon deshalb, weil bei der auf die nationalstaatliche Ebene zentralisierten ARF die Regionen und Kommunen in aller Regel kein Mitspracherecht bei den Reformplänen und der Projektauswahl hatten. Teilweise wissen sie nicht einmal, ob und was auf ihrem Territorium gefördert wird. Der Kohäsionsbericht preist zu Recht den place-based approach, also, dass die Projekte dort geplant und entschieden werden, wo sie nötig sind und stattfinden. Das ist aber genau das, was offenbar bei der ARF nicht funktioniert.

 

Und schließlich betonte Martina: „Zu Recht erwähnt der Kohäsionsbericht, die wichtige Rolle und Erfolge der Strukturpolitik in den Mitgliedstaaten, die seit 2004 der EU beigetreten sind. Auf den 353 Seiten ist jedoch außer der der Aufgabe, Verwaltungskapazitäten zu stärken und der Betonung ‚der Rolle der Bedeutung von Konvergenz für den Binnenmarkt‘, kaum Substantielles zu den anstehenden Erweiterungen zu finden. Welches waren die Treiber des Erfolgs, was waren Fehler, die nicht wiederholt werden dürfen?“ Sie verwies dabei auch auf die am selben Tag vorgestellt Studie zu diesem Thema (siehe unten).

Abschließend äußerte Martina ebenso wie die Vertreter*innen aller Fraktionen Dank und Lob an die Kommissarin zum Abschluss der Legislaturperiode. Die vielen herzlichen Worte gegenüber der EU-Kommission von allen politischen Seiten zum Abschied sind nicht unbedingt das Übliche. Doch immerhin haben Parlament und Kommission in diesem Politikbereich in einem Klima des gegenseitigen Respekts und in enger Zusammenarbeit fünf Jahre in einem von Krisen geprägten Umfeld erfolgreich Lösungen finden können, um den Zusammenhalt in Europa voranzubringen und die 390 Milliarden Euro der Strukturfonds in Investitionen zur konkreten Verbesserung der Lebensbedingungen in ganz Europa einzusetzen.

Kohäsionspolitik, Erweiterung und EU-Haushalt

Vorgestellt wurde außerdem die Studie Förderung des Zusammenhalts in einem erweiterten Europa: Auswirkungen der EU-Erweiterung auf die Mittelzuweisungen für die regionale Kohäsionspolitik – Auftraggeber dieser Studie ist die „Konferenz der peripheren Küstenregionen (CPMR)“, der auch die norddeutschen Bundesländer (MV, SH, NDS) angehören.

Die letzte große Erweiterungsrunde, mit der viele mittel- und osteuropäische Länder der EU beitraten begann 2004 mit zehn neuen Mitgliedern, gefolgt von Bulgarien und Rumänien in 2007 und endete 2013 mit dem Beitritt Kroatiens. Nun bereitet sich die EU auf neue große Erweiterungen vor. Bedenken oder mindestens Fragestellungen gibt es viele – hinsichtlich der Politik- und Entscheidungsfähigkeit, aber gerade auch hinsichtlich der Effekte auf den EU-Haushalt, insbesondere angesichts der Größe und gleichzeitig wirtschaftlicher Schwäche der Ukraine. CPMR hat in dieser Studie finanzielle Auswirkungen der geplanten Erweiterung unter der Prämisse untersucht, dass die Verteilung der EU-Strukturfondsmittel nach der bestehenden Formel weitergeführt wird.

Anders, als vielleicht vermutet werden könnte, würden sich die „Kosten“ der Kohäsionspolitik innerhalb des EU-Haushalts durch die Erweiterung nicht im Vergleich zu heute nicht erhöhen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Erstens steht die Erweiterung nicht unmittelbar an und die wirtschaftliche Situation der Regionen in der jetzigen EU wird sich verändern. Die Studie geht – optimistisch? – davon aus, dass die sechs West Balkan-Staaten Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und Kosovo 2030 der EU beitreten, gefolgt von der Ukraine, Moldova und Georgien ca. 2037. Zweitens würden die neuen Mitglieder einen statistischen Effekt hervorrufen, der die Förderfähigkeitskategorie der heutigen Regionen ändert. Drittens begrenzen mehrere Bestandteile der Zuteilungsformeln sowohl das Ausmaß der Änderungen je Region als auch das Ausmaß der Gesamtmittel mit einer möglichen Folge, dass das Budget für die Kohäsionspolitik insgesamt schrumpfen könnte. Wer also fürchtet, die Kohäsionspolitik bzw. das Recht auf Zuteilung von Kohäsionsmitteln für die ärmeren neuen Mitglieder würden den EU-Haushalt sprengen, dürfte hiermit beruhigt sein.

Aufrütteld sind die Ergebnisse der Studie im Gegenteil für alle anderen: Wenn das Gesamtbudget für die wichtigste Solidaritätspolitik der EU sinkt und auch die Zuteilung für viele der heutigen EU-Regionen aus Gründen der reinen Statistik und Formelanwendung, ist klar, dass die Umverteilungsfunktion schwächer wird und die Zielstellung der Angleichung der Lebensverhältnisse nach oben in Gefahr ist.

Dass auch die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels, der anhaltenden Krisen unserer Zeit, der Notwendigkeit zu Innovation uvm. nicht gerade kleiner werden, dürfte klar sein und mit weniger Mitteln kann man eben nicht viel mehr machen. Wenn wir außerdem wissen, dass EU-Kohäsionspolitik sogar helfen kann, den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien zu bremsen, zu mehr Vertrauen in die EU und Zustimmung zu Demokratie im Allgemeinen beizutragen (s. a. die jüngste Studie des ifw Kiel „Paying off Populism: EU-Regionalpolitik verringert Unterstützung Populistischer Parteien“), sind die in der Studie beschriebenen gleichsam in die Verteilungsformel eingeschriebenen gleichsam automatischen Kürzungen umso alarmierender. Und so fällt auch die Schlußfolgerung der Studie aus: Die Zuteilungsformel ist nicht optimal und nicht gut auf die Ziele der Europäischen Union abgestimmt. Die Investitionen sollten nicht sinken, da wir beobachten, dass die regionale Divergenz auch in vielen der derzeitigen Mitgliedstaaten zunimmt.

 

EU-Förder-Tipps & noch mehr Dankesworte

Herzlich bedanken möchten wir uns an dieser Stelle bei Frau Dr. Renate Eras und Herrn Peter Schmidt, die in den vergangenen acht Jahren unsere Fördermittelwebsite https://www.eu-foerdermittel.eu/ inhaltlich und technisch betreut haben.

Dort sind und waren regelmäßig aktuelle Ausschreibungen mit Erläuterungen und kleinen Hilfestellungen zur Beantragung zu finden (https://www.eu-foerdermittel.eu/beitraege/ ), die besonders für KMU, NRO, Kommunen und kleine Projekte interessant sind. Auch viele grundlegende Tipps für die Bewerbung um EU-Fördermittel sind auf der Seite zu finden. In einer Evaluationsrund konnten wir vor Kurzem feststellen, dass sowohl die Abonnentenzahl als auch die Art der Nutzung der Seite sowie eine Reihe von individuellen Dankesschreiben darauf hinweisen, dass sie für zahlreiche Projekte sinnvolle Unterstützung leisten konnte.

Angesichts der anstehenden Europawahlen muss auch diese Seite bis auf Weiteres „eingefroren“ werden. Wir hoffen, die nächste Delegation der Linken im Europaparlament kann Wege finden, ein ähnliches Angebot weiterzuführen.

In der Zwischenzeit bietet der „Leitfaden für EU-Förderungen – 2023“ des wissenschaftlichen Dienstes des Europaparlaments für die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, nichtstaatlichen Organisationen, Berufstätige sowie Unionsbürgerinnen und Unionsbürger eine gute grundlegende Orientierung für die Unterstützungsmöglichkeiten. Er enthält leicht zugängliche und praktisch nach Maßnahmenbereich angeordnete Informationen über die vollständige Bandbreite von EU-Finanzierungsquellen.

https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2023/747110/EPRS_STU(2023)747110_DE.pdf

Für aktuelle Ausschreibungen können insbesondere Kommunen und Regionen auch den monatlichen „Green Deal Funding Alert“-Newsletter des Europäischen Ausschusses der Regionen konsultieren/abonnieren. Die Märzausgabe ist hier abrufbar:

https://cor.europa.eu/de/news/Pages/green-deal-funding-alert-newsletter-march-2024.aspx