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EU-Nachbarschaft

1. Im REGI-Ausschuss ging es in dieser Woche unter anderem um aktuelle und zukünftige Herausforderungen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Nachbarländern.

Der einstimmig angenommene Initiativbericht mit diesem Namen fokussiert auf die Verbesserung der Sicherheitszusammenarbeit und der Eisenbahnverbindungen mit der Ukraine und Moldawien, auf Verbindung der Schwarzmeerhäfen mit Verkehrsknotenpunkten in der EU und dem TEN-T-Netzwerk sowie das Management der Migrationsbewegungen im Mittelmeerraum.

Die Abgeordneten betonen die Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit für die Stärkung der lokalen Demokratie, der Verwaltungskapazitäten der Partnerländer und den Dialog mit einer Reihe von Interessengruppen, darunter Wissenschaft, Privatsektor, Bürger und NGOs.

Als Reaktion auf den russischen Krieg gegen die Ukraine wurde seitens der EU die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Russland und Weißrussland ausgesetzt und Gelder daraus in die Kooperation mit der Ukraine und Moldawien umgeleitet. Der vorliegende Bericht fordert, im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nun auch an der kollektiven Verteidigung zu arbeite sowie die Verkehrsinfrastruktur, insbesondere Eisenbahnverbindungen und Lagereinrichtungen in der Nähe der Grenzen zur Ukraine und Moldawien auszubauen, um den Waren- und Getreidefluss zu rationalisieren Zudem sei es wichtig es, den Einsatz erneuerbarer Energien zu unterstützen und die Energieeffizienz zu stärken, um die Abhängigkeit von Russland zu verringern. Gefordert wird auch eine verstärkte Zusammenarbeit im Bildungs- und Kulturbereich. Für die Schwarzmeerregion will der Ausschuss ebenfalls eine verstärkte Sicherheitskooperation mit Schwerpunkt auf Schwarzmeerhäfen und der damit verbundenen Infrastruktur, einschließlich Modernisierung, Erweiterung und Anschluss an bestehende Verkehrsknotenpunkte, insbesondere TEN-T-Korridore. Zudem wird das ungenutzte Potenzial dieser Region für nachhaltige Energien betont.

Bei der Kooperation im Mittelmeerraum fordert der Ausschuss, Migrationsbewegungen besser zu steuern, irreguläre Migration und Menschenhandel zu bekämpfen. Außerdem soll die die Wettbewerbsfähigkeit der Region gesteigert, erneuerbarer Onshore- und Offshore-Energien gefördert und Projekten zur wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklung vorangebracht werden. Zu diesem Zweck wird von der EU-Kommission erwartet, eine detaillierte makroregionale Strategie für den Mittelmeerraum mit besonderem Schwerpunkt auf ökologischem Wandel, Klimaresilienz, Energie und Umwelt vorzulegen.

184 Regionen, 33 Länder und 260 Millionen Einwohner liegen im Einzugsgebiet der EU-Kooperationsprogramme mit unseren Nachbarregionen. In den Beziehungen zu den Nachbarländern sollen die Werten der Union vermittelt werden und enge und friedliche Beziehungen und sowie Umweltschutz vorangebracht werden.

Über den Initiativbericht wird das Europäische Parlament auf einer seiner kommenden Plenarsitzungen abstimmen.

PM des Ausschusses mit weiterführenden Links.

2. Während der Ausschusssitzung informierte der Vorsitzende Younous Omarjee (THE LEFT/FR) auch noch einmal ausführlich über eine Reise des Ausschusses in die Ukraine (wir berichteten bereits im Oktober). Er verwies dabei nochmals deutlich darauf, dass Reformvorhaben zu Dezentralisierung, Verwaltungsaufbau, Korruptionsbekämpfung und Mehrebenen-Governance zwar teilweise engagiert begonnen sind, aber noch weiterer Anstrengungen bedürfen, um den Wiederaufbau des Landes bestmöglich voranzubringen. Zugleich betonte er, dass Kohäsionspolitik für ein Nachkriegsland noch einmal ganz anders als in der EU gewohnt gedacht werden müsse, nicht nur hinsichtlich des finanziellen Bedarfs. Die Herausforderungen seien eben nicht nur der „grüne und digitale Wandel“. Vielmehr ginge es vielerorts darum, überhaupt wieder lebenswerte Regionen und Wirtschaftsmöglichkeiten zu schaffen, denn einige Gebiete könnten auch in 10-20 Jahren noch von massivem Bevölkerungsrückgang, vermintem Gelände und erheblichen Verschmutzungen betroffen sein.

Im November-Plenum hat das Europaparlament seinerseits grünes Licht für eine „Ukraine-Fazilität“ gegeben. Sie soll die Ukraine bei ihrer Erholung und auf ihrem Weg zum EU-Beitritt unterstützen und stellt für den Zeitraum 2024 bis 2027 bis zu 50 Milliarden Euro bereit. Sie soll der Ukraine direkte finanzielle Unterstützung in Form von Zuschüssen und Darlehen gewähren („Säule I“); Mobilisierung privater Investitionen in der Ukraine durch Bereitstellung von Garantien und Mischfinanzierungen voranbringen („Säule II“) und Finanzhilfe- und Kapazitätsaufbauprogramme für die zentrale, regionalen und kommunalen Regierungsebenen und die Zivilgesellschaft anbieten, um sie bei der Umsetzung des EU-Besitzstands und der EU-Standards zu unterstützen („Säule III“).

Zukunft der Kohäsionspolitik

1) Am 7. November trafen die Abgeordneten für des REGI-Ausschusses im Rahmen einer interparlamentarischen Sitzung mit den Kolleginnen und Kollegen der 27 nationalen Parlamente und der Kommissarin für Kohäsion und Reformen Elisa Ferreira zusammen, um über Erfolge und Herausforderungen und auch über Kernpunkte der künftigen Kohäsionspolitik der EU zu beraten (Webstreaming-Link).

Zu Gast dabei ebenfalls der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen, Vasco Alves Cordeiro. Zusammen mit Emil Boc, Vorsitzender der AdR-Kommission für territoriale Kohäsionspolitik und EU-Haushalt (COTER) ist er Ko-Autor des soeben im Ausschuss der Regionen fertiggestellten Stellungnahme „Die Zukunft der Kohäsionspolitik nach 2027“. Darin legen die Vertreter*innen der europäischen Städte und Regionen ihre wichtigsten Forderungen dazu vor, wie die EU-Regionalpolitik im kommenden Jahrzehnt flexibler, robuster und für alle Gebiete gestaltet werden kann.

In allererster Linie fordern sie, die Bedeutung dieser Politik für anzuerkennen, um territoriale Ungleichheiten zu beseitigen, den digitalen und grünen Wandel zu fördern, und die europäischen demokratischen Werte in allen Regionen verteidigen. Paradoxerweise ist dieser Grundlegende Hinweis nötig, obwohl die EU-Kohäsionspolitik neben ihren eigentlichen Aufgaben auch mehrfach und effektiv genutzt wurde, um den Regionen und Kommunen rasch Unterstützung bei der Bewältigung von Krisen anzubieten. Es ist ja durchaus nicht so, dass es bereits eine ausgeglichene soziale und wirtschaftliche Entwicklung überall in der EU gibt und also Kohäsionsgelder „übrig“ wären. Vielmehr gab es wenig Bereitschaft der Mitgliedstaatenregierungen, zusätzliche Gelder für die gemeinsame Krisenbearbeitung zu mobilisieren (selbst die Ukraine-Fazilität und der Mini-Souveränitätsfonds STEP hängen aktuell noch im Rat fest). Doch das fordert der AdR nun ein: die Schaffung eines Mechanismus, der auf territorialer Ebene aktiviert werden kann, um außergewöhnliche Krisen und Klimakatastrophen wie Überschwemmungen und Waldbrände zu bewältigen. Dies würde einerseits einen flexiblen Mitteleinsatz in solchen Situationen ermöglichen. Andererseits würde der neue Mechanismus ständige Überarbeitungen der operationellen Programme vermeiden, wie sie im Zeitraum 2014–2020 mehrmals vorkamen, und somit langfristige Investitionen der Kohäsionspolitik sichern.

Regionen und Städte fordern außerdem einen „Europäischen Partnerschaftspakt“, der einheitliche Regeln und Ziele für alle Fonds mit gemeinsamer Verwaltung festlegen und gleichzeitig für Konsistenz und Vereinfachung sorgen würde. Der Pakt solle auch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) sowie neue Instrumente mit hybriden Verwaltungsformen umfassen, wie beispielsweise den zwar beschlossenen, aber noch einzurichtenden Sozialen Klimafonds.

Weitere wichtige politische Forderungen sind: • alle europäischen Regionen sollen auch in Zukunft förderfähig bleiben • das Modell der geteilten Verwaltung, die Multi-Level-Governance und das Partnerschaftsprinzip als Leitprinzipien der Kohäsionspolitik nach 2027 beizubehalten • die Aussetzung kohäsionspolitischer Mittel als Folge von Verstößen nationaler Regierungen gegen die EU-Haushaltsregeln (makroökonomische Konditionalität / „EU-Schuldenbremse“) sollte abgeschafft werden • nationale und regionale Investitionen, die für von der EU-Kohäsionspolitik kofinanzierte Projekte erforderlich sind, sollten von der Ausgabenberechnung – und damit von der Schuldenberechnung – im Rahmen der EU-Haushaltsregeln ausgeschlossen werden • das Ziel des territorialen Zusammenhalts muss für alle europäischen Politiken verbindlich sein (Prinzip „dem Zusammenhalt keinen Schaden zufügen“ / do no harm to cohesion) • einmal mehr werden auch weitere Verwaltungs-Vereinfachungen gefordert.

Die Debatte darüber, wie die Kohäsionspolitik nach der aktuellen EU-Haushaltsperiode 2021-27 reformiert werden soll, ist breits seit dem ersten Initiativbericht dazu (Sommer 2022) in vollem Gange. Die EU-Kommission wird, wie sie in dieser Woche im REGI bestätigte, erst Mitte 2025 erste Gesetzesentwürfe dazu vorlegen.

2) Auf der Tagesordnung des Dezember-Plenums steht der REGI-Bericht „Umgestaltung des künftigen Rahmens der EU-Strukturfonds zur Unterstützung der besonders von den Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Übergang in der Automobilindustrie sowie dem ökologischen und dem digitalen Wandel betroffenen Regionen“. Wir berichteten. Auch damit werden wichtige Aspekte für die künftige Kohäsionspolitik hervorgehoben (wir berichteten).

3. Die für Regionalpolitik zuständigen Minister der EU-Staaten verabschiedeten auf ihrer Tagung am 30. November Ratsschlussfolgerungen zur Zukunft der Kohäsionspolitik. Darin bestätigen sie den Willen, die Kohäsionspolitik und ihre wichtigsten Merkmale auch in Zukunft, nach Ende des aktuellen mehrjährigen Finanzrahmens im Jahr 2027, beibehalten und weiterentwickeln zu wollen.

Konkret ging es auch darum, wie die Kohäsionspolitik zum Streben nach europäischer „strategischer Autonomie“ beitragen könnte. Die verschiedenen neuen geopolitischen, technologischen und ökologischen Herausforderungen hätten die Notwendigkeit deutlich gemacht, die Abhängigkeiten der EU in Bereichen wie Energie, Gesundheitsversorgung, digitale Technologien oder Lebensmittel zu verringern, die Wettbewerbsfähigkeit großer EU-Unternehmen in strategischen Sektoren zu unterstützen und ihrer Abwanderung nach außerhalb entgegenzuwirken die EU. Den Mitgliedstaaten wollen diese Herausforderungen unter anderem durch die Unterstützung großer EU-Unternehmen in strategischen Sektoren angehen. Angesichts dessen, dass die EU-Kohäsionspolitik den Fokus ihrer Wirtschaftsförderungskomponente auf KMU legt, wäre das ein Paradigmenwechsel, der nicht unumstritten ist. Eine europäische Industriepolitik mit einem Fokus auf grünen Technologien und guten Arbeitsplätzen zu entwickeln ist natürlich wichtig. Fördermittel aus den Strukturfonds könnten durchaus unterstützend eingesetzt werden. Industrieförderung für ein so grundsätzliches Vorhaben können diese Fonds allerdings nicht ersetzen. Doch bisher können sich die Regierungen – allen voran Deutschland, Schweden, Dänemark, Österreich und die Niederlande –  einmal für den groß angekündigten „Souveränitätsfonds“ erwärmen, selbst einmal die kleine Schwester dieses neuen Fonds STEP (Strategic Technologies for Europe Platform) hängt in den Verhandlungen fest, weil alle Geld haben, aber nicht für gemeinsame Vorhaben bereitstellen wollen. Im Gegenteil: Berichten zufolge gibt es Vorschläge, in allen Bereichen des EU-Haushalts Kürzungen vorzunehmen, auch in der Kohäsions- sowie der Agrarpolitik. Das von der deutschen Schuldenbremse um Bundeshaushalt verursachte schwarze Loch wird für die EU-Haushaltsverhandlungen beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember kaum hilfreich sein.

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