Plenarrede von Gabi Zimmer

(Es gilt das gesprochene Wort)

„Herr Präsident! Es liegt mir fern, zu provozieren. Mir geht es im Wesentlichen darum, Ihnen, Herr Bundeskanzler, meinen Respekt auszudrücken dafür, dass Sie hierher gekommen sind. Sie haben damit ja durchaus auch so etwas wie einen Meilenstein gesetzt, weil es nicht selbstverständlich ist, dass Mitglieder des Rates in das Europäische Parlament kommen und sich der Diskussion stellen. Bundeskanzlerin Merkel hat das im November praktiziert, aber es schien uns doch immer noch eine Eintagsfliege zu sein.

Unser Eindruck ist, dass im Rat noch nicht viele Regierungschefs verstanden haben, dass das Europäische Parlament keine Quatschbude ist, sondern dass die wichtigsten Entscheidungen, die über die Zukunft der Europäischen Union zu treffen sind, nur gemeinsam mit dem Parlament getroffen werden können, in Respekt vor dem Parlament, und dass die Argumente, die das Parlament hat, wenn es sich beispielsweise gegen Positionen des Rates stellt und sagt, wir teilen nicht Ihre Auffassung, dass der Mehrjährige Finanzrahmen zu reduzieren ist, dass die Kohäsions- und Strukturfonds zu reduzieren sind, dass diese Argumente bei den Regierenden offenbar überhaupt keine Rolle spielen, keine nachhaltige Wirkung hinterlassen haben. Das ist zu ändern und das können wir nur gemeinsam tun.  

Ich verstehe Ihr Hiersein und Ihre Debatte als ein Angebot und gleichzeitig als eine Aufforderung an andere Mitglieder des Rates, sich ebenfalls hierher zu bemühen und zu signalisieren, wir nehmen Abstand davon, die jetzige Entwicklung der Europäischen Union vorantreiben zu wollen, indem wir die Gemeinschaftsmethode ablösen durch die Unionsmethode, indem wir erklären, wir nehmen Abstand davon zu erklären, dass Demokratie darauf zu reduzieren ist, dass sie der Wirtschaft dient, sondern wir nehmen in den gemeinsamen Blick unsere Verantwortung dafür, dass Menschen, egal in welcher Region der Europäischen Union sie leben, – Menschen und nicht nur Bürgerinnen und Bürger der EU, sondern alle Menschen, also auch Flüchtlinge, Migrantinnen, Migranten, Angehörige ethnischer Minderheiten – alle Menschenrechte haben, die hier in der Europäischen Union gewährt werden.  

Bitte helfen Sie uns, dazu beizutragen, dass künftig Menschenrechte und die Einforderung dieser Menschenrechte in der Europäischen Union nicht darauf reduziert werden, dass es sich um die Rechte zur Ausübung des Binnenmarkts handelt, sondern dass es hier um mehr geht! Auch das Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger reduziert sich letztlich darauf, dass es hier darum geht, die Menschen darüber aufzuklären, welche Binnenmarktrechte sie haben. Das ist ein völlig verquerer Ansatz! Es muss darum gehen, dass wir die Demokratie wiederherstellen, dass wir die Bürgerinnen und Bürger hier einbeziehen und dass wir ihre Stimme hören. Und dazu gehört auch – das ist für mich ein untrennbarer Zusammenhang –, dass Demokratie, Demokratisierung der Europäischen Union und Solidarität, die soziale Europäische Union untrennbar miteinander verbunden werden.  

Ich fordere Sie auf und ich fordere andere auf: Machen Sie Schluss mit der Austeritätspolitik! Selbst die Kommission hat vor wenigen Tage erklären müssen, dass die Austeritätspolitik nicht das Mittel ist, um tatsächlich die Zukunft der Europäischen Union zu sichern, die Europäische Union aus der Krise herauszuführen.  

Sagen Sie: Es kann nicht mehr so weitergehen, dass das Öffentliche privatisiert wird. Der Ausverkauf des Öffentlichen – Sie haben es vorhin selber angesprochen – steht in krassem Widerspruch dazu, dass es eine Zukunft für die Europäische Union, ein Mehr an Gemeinsamkeit geben kann. Die Privatisierung, Liberalisierung öffentlichen Eigentums, öffentlicher Güter, öffentlicher Dienstleistungen, die Privatisierung sozialer Sicherungssysteme, die Verweigerung sozialen Mindestschutzes, ökologischer Schutzstandards ist eines unserer großen Hemmnisse. Wenn wir das wieder hinkriegen, dass wir überhaupt so etwas als Vision für unsere gemeinsame Europäische Union ins Auge fassen, dann, bin ich überzeugt, werden uns auch viele Menschen folgen und werden sagen: Ja, so eine Union wollen wir. Wir wollen uns eben nicht auf diese Zollunion reduzieren lassen, wir wollen mehr. Und dafür wäre das erste Problem, das zu lösen ist, die Ausstattung des Mehrjährigen Finanzrahmens, für die Struktur- und Kohäsionsfonds.  

Ich verstehe es als eine Absurdität sondergleichen, wenn z. B. im Bundestag Bundestagsfraktionen darüber nachdenken, ob sie nicht gegen das EU-Hilfsprogramm für die Bedürftigsten in der Europäischen Union klagen sollen. Das steht niemandem gut zu Gesicht, das schlägt uns ins Gesicht. Ich bitte Sie hier um konkrete Unterstützung. Helfen Sie mit, die wirklichen Krisenursachen zu beseitigen!“