Kompromiss über EU-Strukturfondsförderung 2021-2027 erreicht
Martina Michels: Besser geht immer, doch wir konnten viel erreichen!
Geschafft! Das war wohl für alle Beteiligten der erste Gedanke, als am Mittwochabend der letzte Trilog über die EU-Strukturfonds abgeschlossen werden konnte. Nach zweieinhalbjährigen Verhandlungen ist das Legislativpaket zur Kohäsionspolitik fast vollständig, und die linken Europaabgeordneten sehen darin einen guten Schritt, damit die unverzichtbaren EU-Hilfen an die Regionen und Städte bald und weitgehend lückenlos fließen können.
In einem Verhandlungsmarathon wurden Mitte November über den Übergangs-Konjunkturfonds REACT-EU, dann im Dezember die Dach-Verordnung über alle Strukturfonds, die Verordnungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung des Kohäsionsfonds (EFRE/KF), über INTERREG und den Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fonds JTF) abschließende politische Einigungen erzielt zwischen dem Europaparlament und dem Rat als Ko-Gesetzgeber, mithilfe der EU-Kommission. Weil diese drei Institutionen an diesen Verhandlungen beteiligt sind, heißen diese Verhandlungsrunden Triloge.
Ein ganz entscheidender Erfolg des Parlaments ist, dass eine Formulierung mit Bezig auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt – die makroökonomische Konditionalität – deutlich abgeschwächt wurde. Diese Konditionalität besagt, dass finanzielle Sanktionen gegen Mitgliedstaaten verhängt werden können, die die Haushalt-Defizitregeln der EU durchbrechen: Die Auszahlung von Strukturfondshilfen kann in solchen Fällen ausgesetzt werden. Das straft potentiell natürlich die Regionen doppelt und es ist völlig unerklärlich, wie ausgerechnet dadurch wieder ausgeglichene Haushalte befördert werden sollen. „Es ist uns gelungen, die Verbindungen zwischen dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und der Kohäsionspolitik einzuschränken. Solange die jetzige Ausweichklausel aktiviert ist, werden Sanktionen, die an Mitgliedstaaten mit einem übermäßigen Defizit geknüpft sind, nicht angewandt und für den Europäischen Sozialfonds ist sie gar nicht mehr anwendbar“, meint Martina Michels¸ Obfrau der Linksfraktion im REGI-Ausschuss, vorsichtig optimistisch.
Zu den positiven Aspekten des Gesamtpakets zählt Michels, die für die Linksfraktion die Verhandlungen über den EFRE und den JTF führte, die Stärkung der sozialen Dimension, zum Beispiel in Bezug auf sozialen Wohnungsbau, auf die Integration von Migranten und Flüchtlingen sowie die Stärkung der nachhaltigen Stadtentwicklung. Im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal sollen 30 % der EFRE-Mittel für grüne Ziele bereitgestellt werden. „Der EFRE, der Kohäsionsfonds und der Just Transition Fonds sind für unsere Regionen äußerst wichtig und dringend erforderlich. Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, diese Investitionen größtenteils sozial und ökologisch zukunftssicherer zu machen, und dass auch die städtische Dimension gestärkt wurde.“
Allerdings sind die linken MdEP nach den Verhandlungen nach wie vor besorgt über einige Aspekte. So gelang es beispielsweise nur teilweise, eine starke Verringerung der Ko-Finanzierungsraten seitens der EU zu verhindern: Die ärmsten Regionen können nun bis zu 85% Zuschüsse erhalten, Übergangsregionen 60% und besser entwicklete Regionen 40%. Immerhin ist es dem Parlament gelubgen, ein Sicherheitsnetz einzuziehen.
Außerden können bestimmte Gasprojekte aus dem EFRE und Kohäsionsfons finanziert werden. Angesichts des Europäischen Green Deal eigentlich ein Unding. „Unsere wichtigsten Ziele für den Just Transition Fonds wurden immerhin erreicht“, begründet Martina Michels die Zustimmung zum Kompromiss:“ fossile Brennstoffe aus diesem Fonds herauszuhalten und den neuen Fonds zum Instrument für einen sozial gerechten Übergang in Regionen mit den größten Herausforderungen beim Kohleausstieg auf unserem Weg zu einem klimaneutralen Europa zu verhelfen. Auch die Förderoptionen für Gasinfrastruktur im EFRE sind auf eine begrenzte Übergangszeit, auf einen geringen Anteil der Mittel beschränkt und stehen nur vor allem denjenigen Mitgliedstaaten offen, die dadurch besonders viel CO2 einsparen können, dass sie rasch ihre besondere Abhängigkeit von Kohle und Schieferöl reduzieren.“ Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass vor allem Polen, welches das EU-Haushaltspaket beinahe mit zum Scheitern gebracht hatte, an dieser Stelle ein großer Gewinner ist. Das Land wird einen vergleichsweise hohen Anteil seiner EU-Strukturförderung für den langfristig wenig nachhaltigen Umstieg von Kohle auf Gasversorgung als Übergangstechnologie verwenden dürfen.
Gestärkt wurde dank des Einsatzes gerade auch der Linken im Europaparlament der Fokus auf Beschäftigung und soziale Projekte, freut sich Martina Michels: „ Der JTF ist in erster Linie ein Instrument, um die sozialen Auswirkungen des Übergangs zu einem grünen Europa auszubalancieren. Er soll zur Schaffung von guten, grünen Arbeitsplätzen beitragen, Start-ups, Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen wie auch Kleinstunternehmen unterstützen und auch das kulturelle Industrieerbe bewahren.“
Lob erhielt das Parlament auch für eine starke Orientierung auf Kreislaufwirtschaft und die Absage an veraltete Müllverbrennungstechniken. Kritisch hingegen sehen die Linken, dass es möglich sein wird, produktive Investitionen in Großunternehmen zu subventionieren. Eigentlich sollten sich die EU-Hilfen im Bereich der Wirtschaftsförderung auf KMU konzentrieren.
Die Einigung über die neue INTERREG-Finanzierung bewertete Niyazi Kızılyürek ebenfalls als positiven Schritt für die interregionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit. „Auch, wenn immer Raum für Verbesserungen besteht, so sehen wir doch mit Genugtuung, dass der Schwerpunkt auf Umwelt- und Sozialfragen sowie auf ‚People-to-People -Projekten‘ liegt“, meint der Europaabgeordnete der zypriotischen Linkspartei AKEL, der die Linksfraktion in diesem Gesetzgebungsprozess vertrat.
Im Plenum des EP wird in der kommenden Woche aller Voraussicht nach das Übergangs-Konjunkturpaket für die COVID-19-Krise final bestätigt werden. „Mit dem REACT-EU-Fonds werden die Mitgliedstaaten in der Lage sein, hauptsächlich die sozialen Auswirkungen der derzeitigen Pandemie zu bewältigen. Die Menschen und Regionen, die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffen sind, können nun auf schnelles und flexibles Geld von der EU hoffen“, freut sich Martina Michels, die auch hierzu als Obfrau der Linken verhandelt hatte. „Erstmals werden neue Mittel zur Bekämpfung dieser außergewöhnlichen Krise zur Verfügung stehen“.
„Younous Omarjee von der französischen Linken im Europaparlament, der als Vorsitzender des REGI-Ausschusses bei allen Trilogen dem Verhandlungsteam des Europaparlaments als wichtiger Akteur angehörte, betonte zusammenfassend für alle Strukturfonds: „Die Kohäsionspolitik ist heute die wichtigste Investitionspolitik der EU und wird das wichtigste Instrument der EU zur Umsetzung des europäischen Grünen Deals sein“.
Umso mehr enttäuscht, dass der Gesamthaushalt für die Kohäsionspolitik im Vergleich zum aktuellen Förderzeitraum Zeitraum gekürzt wurde, wenn auch weniger, als vom damaligen EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger zunächst angedacht. Nur der rechtzeitige gemeinsame Protest der europäischen Regionen und des Europaparlaments hat Kürzungen von bis zu einem Drittel abgewandt.
Da es aufgrund der Blockaden Ungarns und Polens im Rat lange keine Einigung über den EU-Haushalt und NextGenerationEU ab 2021 gab, richteten sich alle Augen auf den EU-Gipfel am 10./11. Dezember. Denn leer würden die Fördertöpfe den Regionen natürlich wenig nützen. Nachdem es nun ein Ergebnis gibt, erwarten wir von EU und Mitgliedstaaten, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen, die verschiedenen Fonds rasch und gerecht vor Ort zur Verfügung zu stellen. Dass das schnelle Inkrafttreten eines wirksamen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus zunächst der Preis für die Einigung war, deutet auf eine ernstzunehmende Entwicklung in unserer Europäischen Union. Es bleibt eine Aufgabe, die Werte von Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechten in Europa ganz vorn auf die Tagesordnung zu stellen.