Merkel no tiene mayoría absoluta – Merkel hat keine absolute Mehrheit
Europa schaut auf Deutschland und auf die Mehrheit links der Union
“Merkel no tiene mayoría absoluta: es posible un gobierno de izquierda para cambiar Europa – Merkel hat keine absolute Mehrheit: eine linke Regierung um Europa zu verändern ist möglich”. So ein Eintrag in dem spanischen Blog “P36 Andalucia” vom 23. September. Der Autor dieses Blog-Eintrags fordert SPD, Grüne und Die Linke in Deutschland auf, ihre Mehrheit zu nutzen und Merkel abzulösen – und damit die für die südeuropäischen Länder desaströse Austeritätspolitik. Zudem fordert der Autor die europäischen Schwesterparteien der SPD, der Grünen und der Linken auf, ihre deutschen Kollegen zu diesem Schritt zu drängen. Der Blog-Eintrag endet mit der Aufforderung “Háganlo, y presionen, la historia está en sus manos. – Tun Sie es und erzeugen Sie Druck, die Geschichte liegt in Ihren Händen.”
Dieser Blog-Eintrag erreichte mich am Montag nach der Wahl in einer etwas holprigen, maschinell erstellten deutschen Übersetzung über meine Facebook-Seite.
Dieser Blog-Eintrag bringt die Stimmung vor allem in den südlichen EU-Nachbarländern zum Ausdruck. Selten wurde in der EU so sehr und mit solch großer Spannung auf das Ergebnis einer Bundestagswahl geschaut. Zum einen stockt – zum Ärger vieler Kollegen und Kolleginnen im EP – die politische Arbeit in der EU an der Krisenbewältigung seit Frühjahr dieses Jahres, weil die deutsche Bundeskanzlerin vor der Wahl keine für ihre Regierung politisch möglicherweise riskanten Entscheidungen auf EU-Ebene wollte. Für die von der Krise besonders heftig betroffenen süd- und südosteuropäischen Staaten ist das allerdings eine äußerst leidvolle Verzögerung. Zum anderen haben viele Kolleginnen und Kollegen im EP, mehr aber noch viele Bürgerinnen und Bürger Südeuropas, darauf gehofft, dass die für sie extrem leidvolle und für ihre Ökonomien zerstörerische, von Angela Merkel erbarmungslos durchgesetzte Austeritätspolitik durch die Bundestagswahl am 22. September beendet würde.
Ob es für die nächsten Jahre eine schwarz-dominierte Koalition oder eine rot-rot-grüne Bundesregierung gibt, ist also keineswegs nur eine innerdeutsche Angelegenheit. Es ist vor allem eine europäische Frage. Denn von der Beantwortung dieser Frage hängt die zukünftige Entwicklung der EU ab: Wird die von der letzten Bundesregierung betriebene Teilung der EU in Gläubiger- und Schuldnerstaaten weiter vorangetrieben und zementiert? Oder gelingt eine Umsteuerung der Krisenpolitik in Richtung einer auf Frieden, Wohlstand, sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Wirtschaft ausgerichteten EU. Dazu wären weitere politische Integrationsschritte und die Einführung stabiler und wirksamer Ausgleichsinstrumente zwischen den unterschiedlichen Regionen der EU erforderlich, die die bisherige Bundesregierung strikt abgelehnt hat.
Für eine rot-rot-grüne Bundesregierung gäbe es drei nahe liegende Projekte, die die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland wie in der EU nachhaltig verändern würde: Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, die Einführung einer Bürgerversicherung und die Durchsetzung einer Energiewende.
Gesetzlicher Mindestlohn
Zumindest unter den linken, sozialdemokratischen und grünen Abgeordneten im EP gibt keinen großen Dissens darüber, dass die Hauptursache der gegenwärtigen Krise in der EU in den extremen wirtschaftlichen Ungleichgewichten liegt, die sich vor allem in dem enormen Handelsbilanzüberschüssen ausdrücken. Im Frühjahr 2012 und 2013 hat die EU-Kommission die Bundesregierung aufgefordert, diese Ungleichgewichte abzubauen und dazu unter anderem Korrekturen der Lohnpolitik eingefordert. Die Bundesregierung und Bundestag als Gesetzgeber haben können durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes dazu einen relevanten Beitrag leisten. Damit würde individuelle Armut in Deutschland bekämpft, wie das Beispiel Großbritannien zeigt. Die öffentlichen Ausgaben zur Finanzierung von Arbeitslosigkeit und zur Aufstockung von Hungerlöhnen würden deutlich verringert. Die Binnennachfrage und der Binnenmarkt würden gestärkt. Genau das entspräche den Forderungen der EU-Kommission und wäre ein zentraler Beitrag zur Überwindung der Krise in der EU.
Bürgerversicherung
Grüne, Sozialdemokraten und Linke treten allesamt für eine Bürgerversicherung ein. Sie wäre ein Beitrag, um die sozialen Sicherungssystem in der Bundesrepublik zu stabilisieren und Zukunftsfähig zu machen. Denn das auf Bismarck zurück gehende System des Facharbeitersozialstaats ist dringend Reformbedürftig. Das von den drei genannten Parteien favorisierte System der Bürgerversicherung, in die eben nicht nur abhängig Beschäftigte, sondern alle Bürgerinnen und Bürger eingebunden sind als Einzahlende und als Nutznießer, wäre kompatibel zu vielen sozialen Sicherungssystemen in anderen EU-Ländern, vor allem in den skandinavischen. Eine Bürgerversicherung ließe sich also von vornherein auf die EU ausrichten und damit wäre eine wichtige Tür für die Harmonisierung der sozialen Sicherungssysteme innerhalb der EU aufgetan. Die EU, zumindest aber der Euro-Raum erfordert soziale Ausgleichsmechanismen. Dies wäre außerdem eine möglich Teilantwort auf die Probleme, die sich gegenwärtig vor allem in Portugal, Griechenland und Spanien anbahnen. Durch den krisenbedingten Wegzug eines erheblichen Teils der jungen Generation fehlt es dort an Einzahlenden in die sozialen Sicherungssysteme. Mittel- und langfristig kommen auf diese Staaten also erhebliche Ausgaben zu, um diese Lücken in den sozialen Sicherungssystemen zu schließen. Eine EU-weite Bürgerversicherung würde zu einem EU-weiten Ausgleich innerhalb der sozialen Sicherungssystem führen und damit diesem Problem entgegenwirken.
Unter der Voraussetzung, dass eine Bürgerversicherung, auch die Altersvorsorge umfasst (einige Modelle sehen das ja vor) und diese dann auf der Basis eines Umlagesystems organisiert wird, wäre eine solche Versicherung auch ein Beitrag zu einer während der Krise häufig geforderten Verringerung des Finanzmarktvolumen.
Energiewende
Die Notwendigkeit einer Energiewende steht außer Zweifel. Die bisherige Energiewende kann aber bestenfalls als ein Herantasten an diese Aufgabe verstanden werden. Eine rot-rot-grüne Regierung böte die Möglichkeit, hier langfristig wirksame Weichenstellungen vorzunehmen unter Einbeziehung der sozialen Aspekte einer Energiewende. Eine stärkere Nutzung von Solarenergie, die sich insbesondere in den Südeuropäischen Ländern anbietet, könnte in die Energiewende eingebunden werden. Solarstrom wäre ein hochwertiges Exportprodukt, dessen Erzeugung und Export an die weniger sonnigen nordeuropäischen Länder zur Wiederbelegung ihrer Ökonomien beitragen könnte. Immerhin gibt es dazu Ansätze in den Krisenländern. Die Europäische Investitionsbank fördert entsprechende Projekte. Bisher fehlt es allerdings am politischen Willen in der Bundesrepublik, mit den Krisenländern in diesem Wirtschaftsbereich eine langfristige und stabile Kooperation aufzubauen.
Diese drei Projekte wären sicherlich nicht allein Ausreichend, um aus der Krise herauszukommen. Sie wären aber ein substantieller Beitrag. Und vor allem anderen würden sie – richtig auf den Weg gebracht – für eine politische Richtungsänderung in der Krisenbewältigung stehen. Aufgrund der bisherigen Rolle der Bundesregierung in der Krisenbearbeitung kann es ohne eine rot-rot-grüne Regierung keine Richtungsänderung in der Krisenpolitik geben (für Interessierte: Ulrike Herrmann hat in der deutschen Ausgabe von le monde diplomatique unter dem Titel “Die vier Krisen des Euro” die Krise sehr präzise beschrieben und auch die desaströse Rolle Deutschlands im Krisenmanagement – http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/09/13.mondeText1.artikel,a0004.idx,0). Denn die bisherige Bundesregierung unter Angela Merkel hat sich bisher konsequent solchen Perspektiven gegenüber verschlossen gezeigt. Durch den Stimmenzuwachs, den die CDU am 22. September erhalten hat, wird sich Angela Merkel in ihrem bisherigen Krisenmanagement besteht sehen und in die eingeschlagene Richtung weitermarschieren.
Der zuvor genannte Artikel von Ulrike Herrmann legt nahe, dass eine Fortsetzung des Krisen-Managements á la Angela Merkel für weitere vier Jahre den Euro schneller ruinieren wird, als viele es sich vorstellen können. Mit dann auch dramatischen Folgen für die Wirtschaft in der Bundesrepublik.
Diese Annahme wird durch eine Forschungsarbeit von Hubert Gabrisch bestätig (Währung ohne Souveränität: Zur Ursache und Überwindung der Eurokrise, in: Leviathan 1/2013). Er hat die verschiedenen Währungsgemeinschaften der letzten Jahrzehnte untersucht. Ohne eine grundlegende Richtungsänderung des deutschen Krisen-Managements, die auf eine Korrektur der bekannten Konstruktionsfehler des Euro zielen – diesen Schluss muss man aus seiner Untersuchung ziehen – wird der Euro in absehbarer Zeit zusammenbrechen.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich für die im Bundestag handelnden Parteien links der Mitte eine enorme europapolitische Verantwortung. Dieser Verantwortung könnten sie entsprechen, wenn sie zum einen diese Verantwortung denn wahrnehmen und zum anderen den politischen Willen dazu aufbringen.
Das Wahlergebnis vom 22. September bietet ihnen dazu eine historische Chance. Die CDU steht ohne Koalitionspartner aus dem eigenen politischen Lager da. Sie stellt zwar die größte Fraktion im Bundestag. Nur darf man sich davon nicht blenden lassen: Sie hat trotz allem keine Mehrheit! Man stelle sich doch mal vor, was das heißen würde, die CDU unerwartet mit diesem Ergebnis in die Opposition zu schicken. Den Schlingerkurs, den Merkel als Kanzlerin gefahren ist, kann ein Oppositionsführer nicht fahren, wenn er erfolgreich sein will. Es wäre wohl kaum wahrscheinlich, dass Angela Merkel diese Rolle annehmen würde. Nur: wirkliche Alternativen gibt es auch nicht. Die CDU würde in der Opposition erst einmal in eine tiefe und längerfristige Krise fallen und damit einer rot-rot-grünen Regierung seltene Freiräume schaffen für die Durchsetzung der oben genannten Projekte und vielleicht auch einiger Projekte mehr.
Das ist eine historische Chance, die sich nur selten ergibt. Auf welche Chance will die gesellschaftliche und politische Linke denn sonst noch warten, wenn sie diese nicht ergreift?!
Die gesellschaftliche Linke in den anderen EU-Ländern wartet und drängt aus guten Gründen auf einen politischen Wechsel und Wandel in der Bundesrepublik. Ein Richtungswechsel in der EU-Politik gegenüber den Krisenländern kann angesichts der gegenwärtigen Machtverhältnisse in der EU nur von innerhalb der Bundesrepublik kommen!
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Der Kommentar ist zunächst als Gastbeitrag auf Ruhrbarone.de erschienen.