Handelsabkommen der EU – was läuft aktuell?
Helmut Scholz, handelspolitischer Sprecher von DIE LINKE im Europaparlament, über den aktuellen Stand der Verhandlungen zu internationalen Handelsverträgen der EU:
Im Auftrag der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union verhandelt die Europäische Kommission derzeit mit vielen Ländern und Regionen über den Abschluss von umfassenden Freihandelsabkommen. Eine Reihe von Verträgen ist bereits geschlossen. Verhandelt wird aktuell unter anderem mit Thailand, Indonesien und den Philippinen. Weitere Ratsbeschlüsse zum Beginn von Verhandlungen mit Kirgistan und einer Modernisierung des Abkommens der EU mit der Türkei sind vorbereitet. Ein WTO-Abkommen zu e-commerce ist in einer späten Phase, doch das planetare Superwahljahr 2024 lässt viele Verhandlungsdelegationen erst das Wahlergebnis in ihren Heimatstaaten abwarten. Folgende Verhandlungen sind am weitesten fortgeschritten:
EU – USA: ein „Abkommen zu kritischen Mineralien“ soll nach Abschluss vor allem europäischen Autobauern und anderen Herstellern den Zugang zu den US-amerikanischen Fördertöpfen aus dem Inflation Reduction Act (IRA) ermöglichen. Dieses massive staatliche Investitionsprogramm in Klimaschutztechnologien, darunter auch elektrisch angebtriebene Autos, kommt Firmen mit Sitz und Produktion in den USA zugute, aber auch Firmen aus Ländern, mit denen die USA ein Handelsabkommen haben. Es ist unklar, ob vor den Präsidentschaftswahlen in den USA im November 2024 ein Ergebnis erzielt werden kann und auch, ob ein Wahlsieger Trump den Vertrag nicht gleich wieder zerreißen würde.
EU – Mexiko: Seit 2016 versucht die EU-Kommission, eine so genannte Modernisierung des bestehenden Freihandelsabkommens mit Mexiko auszuhandeln. Nach seinem Wahlsieg weigerte sich der linke Präsident Mexikos Lopez Obrador jedoch, das bis dahin unterbreitete Angebot der EU zu unterzeichnen. Die linken Europaabgeordneten loben ihn dafür, denn das Abkommen würde Mexiko kaum Gutes bringen. Geschaffen würden mehr Schutz für europäische Investoren vor bspw. neuen Klimaschutzgesetzen oder Sozialschutzbestimmungen in Mexiko durch ein Klagerecht vor einem neuen Investorenschutzgerichtshof. Europäische Stromkonzerne wie Iberdrola könnten das Land weiter mit Wucherpreisen ausnehmen, über die sich der Präsident bereits persönlich in Madrid beschwert hat. Der Konzern Veola lässt sich seine Rechte an Trinkwasser versilbern und will das absichern. Danone will durch ein Abkommen abgesichert weiter Wasser zur Abfüllung in den Flaschen aus den Reserven in den Regenwaldgebieten und gegen den Willen und Widerstand der indigenen Bevölkerung entnehmen. Die in einem Nachhaltigkeitskapitel vorgeschlagenen Bestimmungen fallen wei hinter vergleichbare Kapitel in den Abkommen der EU mit Chile oder Neuseeland zurück. So gibt es keine Paragraphen zur Förderung von Frauen und auch nicht zur Partizipation der indigenen Bevölkerung an der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen. Lokale Bäuerinnen und Bauern mit ihren kleinen Produktionen sorgen sich um den wachsenden Druck durch die europäische Konferenz. Die Milchwirtschaft in Mexiko war bereits nach dem Abschluss der ersten Freihandelsabkommens mit der EU und dem mit den USA zum Erliegen gekommen. Das Abkommen würde die Pivatisierung des Energiesektors und anderer Versorgungssektoren festschreiben, welche die linke Regierung lieber wieder in die Verantwortung der öffentlichen Hand zurückführen würde. Die EU-Kommission setzt nun auf die Präsidentschaftswahlen in Mexiko im Juni 2024. Eine Frau wird die nächste Präsidentin sein, sollte es nicht doch noch eine überraschende Wendung geben. Aus welchem Lager sie kommt, müssen die 97,6 Millionen Wahlberechtigten entscheiden: Claudia Sheinbaum für den progessiven Kurs, oder Xóchitl Gálvez für ein Zweckbündnis der wirtschaftsnahen Opposition. Gewinnt Sheinbaum, würde der Text des neuen Handelsabkommens mit ihrem Regierungsprogramm nicht vereinbar sein, da sie Privatisierungen rückgängig machen will.
EU – Mercosur: Seit Jahrzehnten verhandelt die EU-Kommission mit den Staaten des Mercosur Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Die Linke und große Teile der europäischen Bevölkerung lehnen dieses Abkommen ab, weil es als Brandbeschleuniger für die Regenwälder im Amazonasgebiet wirkt. Zudem ist nachhaltige Agrarwirtschaft in Europa durch Importe von Fleisch und Soja aus den gerodeten Gebieten gefährdet. Auch kommt besonders in Brasilien in erschreckendem Ausmaß Gift in der Landwirtschaft zum Einsatz, um fast konkurrenzlos billige Massenproduktion zu ermöglichen. Der faschistische Ex-Präsident Brasililiens Bolsonare förderte beide Tendenzen und machte sich als Vertragspartner der EU unmöglich. Die neue Regierung unter dem linken Präsidenten Lula verzeichnet bereits gute Erfolge im Kampf für den Schutz des Regenwaldes und gegen Pestizide. Dafür ist in Argentinien nun ein skrupelloser Marktradikaler ins Präsidentenamt gewählt worden. Vor den Europawahlen wird es mit Sicherheit keine Bereitschaft in Paris, Wien oder Dublin oder im Europaparlament geben, ein Abkommen EU – Mercosur zu unterzeichnen. Es wird wochtig sein, auch nach den Wahlen ausreichend kritische Stimmen der Linken im Europaparlament zu haben, um das gefährliche Abkommen zu verhindern oder völlig neu ausgerichtet mit neuem Mandat zu verhandeln.
EU – Australien: Auch diese Verhandlungen scheitern bislang an den Themen Schutz der Landwirtschaft in Europa vor zu großen Fleischeinfuhren aus Australien und dem Widerwillen Australiens, sich auf die EU-Ziele beim Klimaschutz einzulassen. Australien ist einer der größten Exporteure von Kohle in der Welt. Die Besitzer der Minen sind in der australischen Politik sehr einflussreich. Mit der aktuellen sozialdemokratischen Labour-Regierung ist ein Kompromiss denkbar, sofern die europäische Seite bei der Landwirtschaft symbolkräftig nachgibt. Die Linke würde lieber auf eine gezielte Kooperation mit Australien bspw. in der Produktion von grünem Wasserstoff setzen, als auf ein herrkömmliches Freihandelsabkommen, das den eigentlichen Aufgabenstellungen unserer Zeit nicht gerecht wird.
Leider wird Erfolg von Handelspolitik bislang am Wachstum des Bruttosozialproduktes in Europa, am Ausbau der Exportwirtschaft und an der Steigerung der Profite großer Unternehmen gemessen.
Doch Profitgier ist ein schlechter Ratgeber. Wenige werden sehr reich, während über 800 Millionen Menschen hungern. Über zwei Milliarden Menschen leiden an Mangelernährung. Das Klima auf der Erde verschlechtert sich dramatisch schnell. Immer mehr Tiere und Pflanzen sind vom Aussterben bedroht. Wir müssen jetzt handeln! Alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben dafür gemeinsam 17 Ziele vereinbart, die bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen, um unser Überleben auf dem Planeten nachhaltig zu sichern.
Wir fordern, dass der Beitrag zum Erreichen der UNO-Nachhaltigkeitsziele der neue Maßstab für den Erfolg von Politik wird. Die Ziele wurden nicht nur für Entwicklungsländer formuliert, sondern auch für Europa beschlossen. Die bisherige europäische Handelspolitik beschleunigt eine Entwicklung der Wirtschaft in eine Richtung, die durch ihren Rohstoffverbrauch für den Planeten untragbar ist und soziale Ungleichheit wachsen lässt. Wir wollen einen konsequenten Kurswechsel. Die alte Freihandelslogik muss durch moderne Kooperationsabkommen mit wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimensionen ersetzt werden. Die Umsetzung der Agenda 2030 für Nachhaltigkeit soll die Profitgier als übergeordnetes Ziel ablösen.
Eine interaktive Karte zu den EU-Handelsverträgen finden Sie hier
Karte FairHandelnPDF-Datei