Handel(n) für Nachhaltigkeit
Für einen konsequenten Kurswechsel in der europäischen Handelspolitik
Im Auftrag der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union verhandelt die Europäische Kommission derzeit mit vielen Ländern und Regionen über den Abschluss von umfassenden Freihandelsabkommen. Eine Reihe von Verträgen ist bereits geschlossen. Der Erfolg dieser Abkommen wird bislang am Wachstum des Bruttosozialproduktes in Europa, am Ausbau der Exportwirtschaft und an der Steigerung der Profite großer Unternehmen gemessen.
Doch Profitgier ist ein schlechter Ratgeber. Wenige werden sehr reich, während über 800 Millionen Menschen hungern. Über zwei Milliarden Menschen leiden an Mangelernährung. Das Klima auf der Erde verschlechtert sich dramatisch schnell. Immer mehr Tiere und Pflanzen sind vom Aussterben bedroht. Wir müssen jetzt handeln! Alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben dafür gemeinsam 17 Ziele vereinbart, die bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen, um unser Überleben auf dem Planeten nachhaltig zu sichern.
Wir fordern, dass der Beitrag zum Erreichen der UNO-Nachhaltigkeitsziele der neue Maßstab für den Erfolg von Politik wird. Die Ziele wurden nicht nur für Entwicklungsländer formuliert, sondern auch für Europa beschlossen. Die bisherige europäische Handelspolitik beschleunigt eine Entwicklung der Wirtschaft in eine Richtung, die durch ihren Rohstoffverbrauch für den Planeten untragbar ist und soziale Ungleichheit wachsen lässt. Wir wollen einen konsequenten Kurswechsel. Die alte Freihandelslogik muss durch moderne Kooperationsabkommen mit wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimensionen ersetzt werden. Die Umsetzung der Agenda 2030 für Nachhaltigkeit soll die Profitgier als übergeordnetes Ziel ablösen.
EU – USA (TTIP 2.0)
Als EU-Kommission und US-Regierung das TTIP-Abkommen aushandeln wollten, ging es nicht nur um die Abschaffung der Zölle auf 97 Prozent aller gehandelten Waren, sondern auch um die Öffnung der Märkte für Produkte, die mit Methoden hergestellt wurden, die nicht dem Wunsch der Verbraucher*innen in der EU entsprachen. US-Präsident Trump brach die Verhandlungen ab. Die Regierung Biden/Harris will ebenfalls keine weiteren Freihandelsabkommen abschließen; sie setzt auf eine an den Bedürfnissen der amerikanischen Arbeitskräfte orientierte Handelspolitik. Sehr große Summen staatlicher Subventionen werden in Klimaschutz und neueste Technologieproduktion investiert. Profitieren können davon aber nur Unternehmen, deren Produkte zu einem bedeutenden Anteil in den USA hergestellt wurden.
Wer in den USA Förderung will, darf auch nicht mit China zusammenarbeiten oder dort investieren. Die Konkurrenz mit China um Rang 1 in der Welt ist eine Priorität der USA, die weltweit ihre Partner drängen, in diesem Kampf an ihrer Seite zu stehen. Mit der EU wurde der Handels- und Technologie-Rat (TTC) ins Leben gerufen. Zehn kontinuierlich tagende Arbeitsgruppen sollen Gipfelentscheidungen vorbereiten, mit denen gemeinsame Technologiestandards vereinbart werden, gemeinsame Ansätze in der Regulierung neuer Technologien entwickelt und allgemeine Politiken abgestimmt werden, insbesondere auch Positionen gegenüber China und Russland. Es entsteht eine Art Regulierungs-TTIP ohne Handelsabkommen. Das Verfahren wird als Blaupause entwickelt und wurde nun auch Indien angeboten sowie der Afrikanischen Union.
EU – Mexiko
Das seit 2000 bestehende Abkommen soll erweitert werden: Zollfreiheit für mehr Agrarprodukte, Einbeziehung des Dienstleistungssektors, auch von Finanzdienstleistungen. Die EU drängt auch auf Zugang zu öffentlichen Aufträgen von Mexiko und seinen Provinzen für europäische Unternehmen. Viele Provinzen stimmten dem bereits zu.
Zehntausende Menschen starben in Mexiko in den letzten Jahren im Krieg zwischen Staatsmacht und Drogenmafia. Das Abkommen mit der EU öffnet die Schleusen für die Geldwäsche der Mafia. Nach seinem Wahlerfolg begann Mexikos linker Präsident López Obrador eine Überprüfung der Handelsbeziehungen seines Landes mit Europa. Er nutzte ein neues Anliegen der EU-Kommission für eine Reflexionspause: Die EU-Kommission will den Handelsteil des Assoziierungsabkommens formal abtrennen, um so zu ermöglichen, dass die Bestimmungen zum Handel lediglich von Rat und Europaparlament ratifiziert und nicht auch in den Mitgliedstaaten zur Abstimmung vorgelegt werden müssen.
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA)
Die EPA-Abkommen mit einer Reihe von Ländern und Regionen in Afrika, der Karibik und dem Pazifik wurden von den ehemaligen Kolonien europäischer Mächte nicht ganz freiwillig unterschrieben. Europäischen Konzernen gewähren die EPAs Zugriff auf Rohstoffe und einen Absatzmarkt für Agrarüberschüsse. Diese konventionellen Freihandelsabkommen haben fast nichts dazu beigetragen, in den Partnerländern eigene verarbeitende Industrien zu errichten. Armut wurde verstetigt. Die Afrikanische Union hat sich nun mit 54 ihrer Mitgliedstaaten auf den Weg gemacht, selbst die regionale Wirtschafts- und Handelskooperation aufzubauen und zu stärken. Das Afrikanische kontinentale Freihandelsgebiet (AfCFTA) wurde gegründet und soll nicht nur den Handel erleichtern, sondern auch eigene regionale Lieferketten schaffen.
Die EPAs müssen weg. Sie stehen der regionalen Integration Afrikas im Weg. Dies konstatiert auch den Bericht von MdEP Helmut Scholz über die Zukunft der Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen der EU und Afrika, den das Europaparlament im Juni 2022 mit großer Mehrheit angenommen hat. Wir brauchen mit Afrika Kooperations- und Investitionsabkommen, die systematisch darauf ausgerichtet sind, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
EU – Mercosur
Obwohl noch nicht beschlossen, wirkte bereits die Aussicht auf gesteigerte Exporte durch das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen wie ein Brandbeschleuniger für die Feuer in den Regenwäldern des Amazonasgebietes. Brasiliens rechtsextremer Präsident Bolsonaro fachte die Flammen weiter an, indem er Schutzgesetze abschaffte. Bolsonaro ist abgewählt. Der neue linke Präsident Lula da Silva hat erklärt, dass er ein Abkommen mit der EU nur dann unterzeichnen werde, wenn es hilft, das Klima zu schützen und eine nachhaltige Industrialisierung Brasiliens ermöglicht. Beides stand nicht im veralteten Verhandlungsmandat der EU-Kommission, die sich gegen eine Neuverhandlung des Abkommens sträubt. Dessen Ratifizierung wurde vom Europaparlament und einigen Mitgliedstaaten wegen Bolsonaros Umweltverbrechen lange verweigert.
Das Freihandelsabkommen muss ersetzt werden durch ein Abkommen für Kooperation und wirtschaftliche Zusammenarbeit, das unter anderem den Menschen in der Region ein Einkommen aus der Erhaltung der Regenwälder sichert, aber auch für die Bevölkerung auf beiden Kontinenten nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung fördert.
EU – ASEAN
Zum Verbund der südostasiatischen Staaten ASEAN gehören zehn Staaten und als Beobachter zusätzlich Osttimor. In der EU gab es ursprünglich die Idee eines Region-zu-Region-Freihandelsabkommens. Es scheiterte an der Erkenntnis, dass man mit der Militärdiktatur des ASEAN-Mitglieds Myanmar kein Abkommen durch Rat und Parlament der EU bringen würde. Stattdessen verlegte sich die EU auf Abkommen mit einzelnen ASEAN-Staaten. Heute gibt es Abkommen mit Singapur und Vietnam. Die Verhandlungen mit Thailand kamen nach dem Militärputsch zum Stillstand, stehen aber vor der Wiederaufnahme. Die Verhandlungen mit Malaysia sind ausgesetzt, weil das Land kein Nachhaltigkeitskapitel unterzeichnen will; jene mit den Philippinen sind ausgesetzt, weil die vorherige Regierung Duterte mit Gewalt gegen die eigene Bevölkerung vorging. Die Verhandlungen mit Indonesien laufen und könnten bald zum Abschluss gebracht werden. Inzwischen haben die ASEAN-Staaten ein regionales Freihandelsabkommen mit China, Japan, Australien und Neuseeland unterzeichnet (RCEP). Gleichzeitig sind Vietnam und Malaysia auch im Freihandelsabkommen vieler Pazifik-Anrainerstaaten CPTPP, für das ebenfalls China und Großbritannien Aufnahmeanträge gestellt haben.
EU – China
Die EU hat mit China ein Abkommen über Investitionen und Marktzugang (CAI) fertig ausgehandelt. China verpflichtete sich darin zur Ratifizierung der ILO-Konventionen gegen Zwangsarbeit und hat dies auch getan. Das Abkommen enthält Verpflichtungen für beide Seiten zum Schutz von sozialen Rechten und der Umwelt, die zum Teil über den Standard-Katalog der EU hinausgehen und von China erstmals in einem Handelsabkommen festgehalten wurden. Kein anderer der offiziellen Strategischen Partner der EU bietet ein vergleichbares Investitionspotenzial. China hat in den letzten Jahrzehnten mit seiner Politik des inklusiven Wachstums den Großteil seiner Bevölkerung nicht nur aus der Armut geführt. Zur Mittelschicht des Landes werden bald 800 Millionen Menschen zählen.
Es werden jedoch auch schwere Menschenrechtsverletzungen in China begangen. Ein Bericht der UNO erhebt Vorwürfe von Folter und Misshandlungen im Zusammenhang mit massenhaften Inhaftierungen von Uiguren. Der Rat der Mitgliedstaaten der EU verhängte Sanktionen gegen China wegen der Menschenrechtsverletzungen. China antwortete mit Sanktionen gegen die EU, insbesondere auch gegen den Menschenrechtsausschuss des Europaparlaments und gegen Europaabgeordnete, die China besonders vehement kritisiert hatten. Daraufhin legte das Europaparlament die Ratifizierung des CAI-Abkommens auf Eis, solange Chinas Sanktionen fortbestehen.
China ist für die ganze Welt ein Schlüsselpartner, um Nachhaltigkeit in Konsum und Produktion erreichen zu können. Zu Nachhaltigkeit gehört auch die Achtung der Menschenwürde. Das wird auch das neue Europäische Lieferkettengesetz zum Ausdruck bringen.
EU – Indien
Nach Jahren des Stillstands sind die Verhandlungen zwischen EU und Indien über ein Freihandelsabkommen wieder aufgenommen worden. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat den raschen Abschluss der Verhandlungen bis Ende 2023 zu einer Priorität erhoben. In der indischen Zivilgesellschaft wird die Sorge geäußert, dass wichtige Politikinstrumente wie Aufkauf und Verteilung von Milch durch marktwirtschaftliche Klauseln des Abkommens gefährdet werden könnten. Auch hat Indien kürzere Patentschutzfristen als die EU-Staaten oder die USA und ist so in der Lage, rascher Generika-Medikamente herzustellen, die für Menschen in der ganzen Welt viel günstiger zu haben sind. Sollte die EU-Kommission in den Verhandlungen die Forderung der Pharmakonzerne durchsetzen, den Patentschutz deutlich zu verlängern, wäre eine globale medizinische Versorgungskrise die Folge.
Wir wollen Indien als Partner gewinnen, um den Ausbau des Bildungswesens, neue Wege für nachhaltige Stadtentwicklung und Lösungen für die Digitalisierung der Welt zu entwickeln. Wir sollten eine Allianz anbieten für Frieden und Nachhaltigkeit im südlichen Asien und gemeinsam Institutionen stärken, die die Bevölkerung vor Diskriminierung wegen Herkunft, Geschlecht oder religiöser Überzeugung schützen können.
EU – Australien und Neuseeland
Das Abkommen der EU mit Neuseeland ist fertig verhandelt und wird 2023 vom Europaparlament und dem Rat ratifiziert werden. Das darin enthaltene Nachhaltigkeitskapitel wird das bislang fortschrittlichste in den von der EU geschlossenen Abkommen sein. Neuseeland hätte gern noch weitergehenden Schutz bei den Arbeitsrechten vereinbart, doch war die EU-Kommission dazu noch nicht bereit. Durchsetzen konnte Neuseeland ein eigenes Kapitel zur Förderung der Handelsinteressen der Maori.
Die Verhandlungen mit Australien sollen bis Ende 2023 abgeschlossen werden. Dem stand bislang die alte Regierung Australiens im Wege, die der Kohleindustrie verpflichtet war und Klimaschutzziele im Nachhaltigkeitskapitel ablehnte. Die neue Regierung wird sich hier bewegen, knüpft dies aber an Zugeständnisse der EU für den Export von Agrarprodukten. Allerdings ist nicht nachvollziehbar, dass Agrarprodukte, die auch vor Ort produziert werden, zulasten des Klimas um die halbe Welt transportiert werden müssen.