Martina Michels im Brüsseler Plenarsaal, September 2020
Martina Michels im Brüsseler Plenarsaal, September 2020

EU-Haushalt, Wiederaufbauplan, Rechtsstaatlichkeit, REACT-EU und ERDF

Nach drei interinstitutionellen Treffen (so genannten Trilogen zwischen EP, Rat und EU-Kommission) hatten das Europäische Parlament und der Rat der EU am 18. November, eine Einigung über die REACT-EU-Verordnung erzielt. Es handelt sich um die erste und bisher einzige Einigung über einen Fördertopf der Kohäsionspolitik in der neuen Förderperiode, die eigentlich ab 2021 beginnen soll.  Es ist ebenso die erste und einzige Einigung über ein Programm, dass aus dem Wiederaufbaufonds „Nächste Generation Europa“ zur Bekämpfung der Folgen des Coronavirus bezahlt werden soll.

Eigentlich. Doch Polen und Ungarn blockieren den EU-Haushalt und den Wiederaufbauplan, weil sie einen noch zu schaffenden Rechtsstaatsmechanismus ablehnen. Die EU-Mitgliedstaaten verankerten die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verpflichtend als gemeinsame Ziele und Werte in den EU-Verträgen. Um diese auch durchsetzen zu können, hat der Rat im Sommer endlich eingewilligt, einen besseren Mechanismus zu schaffen. 2020 legte die EU-Kommission erstmals nicht nur einen Bericht über die Rechtsstaatlichkeit zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in der EU vor, sondern auch Bewertungen der Situation in jedem einzelnen Mitgliedstaat.

Krisenhilfe konkret in Gefahr

Gerade jetzt in der Krise den Regionen, Kommunen und allen Europäer*innen geplantes Geld zu verweigern, ist absolut unsolidarisch. Damit schaden Ungarn und Polen sie nicht nur ihren europäischen Nachbarn, sondern natürlich auch ihrer eigenen Bevölkerung. In der Plenardebatte zur Mitte Dezember anstehen Ratstagung forderten alle Fraktionsvorsitzenden die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, sich auf den langfristigen Haushalt zu einigen und damit EU-Mittel zur Linderung der Wirtschaftskrise zu ermöglichen.

REACT-EU könnte dann frühzeitig im Jahr 2021 für die Regionen zur Verfügung stehen. Mit dem Instrument wurde die Möglichkeit Finanzierung von Projekten zur Minderung der Corona-Folgen rückwirkend ab dem 1. Februar 2020 und bis 2023 geschaffen. Immerhin 47,5 Milliarden Euro sollen dafür zur Verfügung stehen (der Rat hatte bereits im Juli 2020 den ursprünglich vorgeschlagenen Betrag um 7,5 Mrd. Euro gekürzt). Die Kommission soll Anträge der Mitgliedstaaten innerhalb von nur 15 Tagen nach Antragstellung entscheiden. In Fortsetzung der bereits ab April 2020 in den Coronavirus-Notfallinitiativen CRII und CRII + eingeführten Vereinfachungen können Projekte bis zu 100% EU-Kofinanzierung erhalten und ist es nicht erforderlich, neue Programme zu erstellen, um die verfügbaren Mittel nutzen zu können.

Besonders wichtig war es dem Europaparlament, die soziale Komponente von REACT-EU zu stärken. Die Mitgliedstaaten werden in der Lage sein, einen Teil der zusätzlichen Mittel dem Europäischen Sozialfonds, dem Fonds für europäische Hilfe für die am stärksten benachteiligten Personen (FEAD), der Jugendbeschäftigungsinitiative sowie grenzüberschreitenden Programmen (Interreg) zuzuweisen. Explizit Jugendliche, Selbstständige, Arbeitnehmer, dank eines Antrags von Martina Michels einschließlich Freiberufler, Kunst- und Kulturschaffende, sollen von vorübergehender Unterstützung profitieren. Ebenso stärkten die Europaabgeordneten den Blick auf die Schwierigkeiten in Grenzregionen, die ebenfalls von den Mitteln profitieren können. Außerdem erstritt das Parlament, dass wenn auch die Entscheidung über die Verwendung der Mittel auf der Ebene der nationalen Regierungen getroffen wird, regionale und lokale Gebietskörperschaften und die Zivilgesellschaft einbezogen werden soll.

Spätestens Mitte Dezember, so hofft man, soll das Gesetz endgültig angenommen werden.

Just Transition, wenn dann aber richtig

Ganz so weit ist der „Just Transition Fonds“ – der Fonds für einen Gerechten Übergang zu einem klimaneutralen Europa – (JTF) noch nicht.

Neben der unzureichenden Finanzierung ist der größte Streitpunkt zwischen Europäischem Parlament und dem EU-Rat die Schaffung von Umweltschutzmechanismen und die Ermöglichung von Investitionen in Gasenergievorhaben. Ein Trilog in der vergangenen Woche brachte dazu keine echten Fortschritte.

Aus unserer Sicht wäre es völlig unlogisch und falsch, Finanzierung von Erdgastechnologien aus einem Fonds bereitzustellen, der zur Reduzierung der CO2-Emissionen eingerichtet wurde und im Rahmen des Green Deal einen sehr starken symbolischen Wert hat. Auch andere EU-Fördermittel sollten besser für Energieeffizienz, erneuerbare Energien und strombasierte Lösungen verwendet werden, die eine umweltfreundliche Erholung und einen gerechten Übergang ermöglichen, heißt es in einem kürzlich auch von MdEP der LINKEN. unterzeichneten Aufruf. „Aus meiner Sicht sollte es keine EU-Investitionen in fossile Energien, einschließlich Erdgas, mehr geben“, meint Martina Michels, Obfrau der Linksfraktion GUE/NGL im Ausschuss für Regionale Entwicklung und Schattenberichterstatterin für die Verordnungen übern den Just Transition Fonds sowie die Fonds EFRE und Kohäsionsfonds.

Das sehen leider nicht alle Europaparlamentarier so und fordern, Gasprojekte als „Übergangstechnologie“ aus verschiedenen EU-Strukturfonds zu unterstützen, einschließlich dem JTF und dem Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE).

Zugleich allerdings setzt das Europaparlament stark darauf, dass alle Mitgliedstaaten bei den Emissionsreduktionszielen mitmachen: 50% der Mittel sollten für diejenigen Mitgliedstaaten zunächst einbehalten werden, die sich nicht zu einem Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 verpflichten. Wenn ein Mitgliedsstaat hingegen die ursprünglichen Klimaziele überschreitet, sollten zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Hier wiederum ziert sich der Rat, denn, so kann man es zumindest interpretieren, die Verteilung der Mittel schien im Prinzip schon ausgemacht – mit oder ohne individuelle Klimaziele. Auch die letzten Verhandlungswochen bleiben also spannend und wichtig.

Natürlich ist auch für den JTF und alle anderen Strukturfonds entscheidend, dass mit dem EU-Haushalt und dem Wiederaufbauplan der Weg für die Umsetzung der Verordnungen, also für die Nutzung der neuen Regionalförderprogramme, endlich frei wird. Die EU-Kommissarin für Zusammenhalt und Reformen, Elisa Ferreira, wies in einer Pressekonferenz kürzlich auf Nachfrage darauf hin, dass es keinen „Plan B“ gebe. Ohne Haushalt, keine neuen Förderprogramme. Schon in „normalen“ Jahren ein Problem, wäre das in dieser Krisenzeit eine besonders peinliche Leistung der – und insbesondere zweier – Regierungschefs.

Die nächste Ausschusssitzung des REGI findet am 10. Dezember 2020 von 9 bis 12h00 statt.

Auf der Tagesordnung stehen neben der Abstimmung über das Verhandlungsergebnis zu REACT-EU auch Berichte über den Stand der Verhandlungen zu den verschiedenen Struktur- und Investitionsfonds (Dach-Verordnung, EFRE und Kohösionsfonds, JTF, Interreg sowie zwei Initiativ-Berichte des Ausschusses zu Klimaschutz und Genderperspektive in der Kohäsionspolitik.

Veranstaltungshinweis

Am 7. Dezember 2020 stellt Berlin seine „Zukunftsorte“ vor: 11 EU-geförderte Projekte in Berlin, an denen die Zukunft bereits heute gedacht, an denen die Innovationskraft Berlins deutlich wird. Diese Zukunft entsteht aus dem Zusammenspiel von Wissenschaft, Wirtschaft und mehr. Mit dabei unsere Berliner Europaabgeordnete und Obfrau um REGI-Ausschuss Martina Michels. Alles natürlich Online. Mehr hier.

Projektförderung in der Regionalpolitik
Nora Schüttpelz

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