Parlament diskutiert halbherzige Kommissionsvorschläge zum Digitalen Binnenmarkt (DSM) und zur Reform der Audio-Visuellen Medienrichtlinie (AVMD)

Gestern hat der Kommissar für den Digitalen Binnenmarkt und Vizekommissionspräsident, Andrus Ansip, Beschlüsse für die Reform der Audio-Visuellen Mediendienste (AVMD) und für einen vereinfachten Online-Handel im Rahmen der DSM-Strategie vorgestellt.

2014 war die Kommission angertreten, um mutig die Harmonisierung von 28 Urheberrechtsrechtsrahmen anzupacken, den grenzüberschreitenden Online-Handel zu vereinfachen und das Geoblocking zumindest tendenziell aufzuheben.

Die Kommission kann aber die Brille der Großunternehmen nicht ablegen und vernachlässigt daher schon im Ansatz eine digitale Binnenmarktstrategie, die sich an politischen Grundlagen einer digitalen Demokratie orientiert. Seien es die Neuregelungen zur Telekommunikation oder zum Cloud Computing – mit jedem neuen Kommissionsvorschlag stehen immer wieder Grundprinzipien zur Disposition, wie etwa Netzneutralität und Datenschutz. Nach dem Alarm der Industrielobbyisten und großen Zeitungsverleger verschwinden Lösungen für einstige Versprechen, wie zum Beispiel eine weitgehende Überwindung des Geoblockings. Und immer wieder wird versucht, Untote zu beleben, wie etwa das Leistungsschutzrecht.

NetzaktivistInnen, der Verbraucherschutz und vor allem auch viele Institutionen, die das Netz öffentlich und für alle nutzen wollen, wie öffentliche Bildungs- und Forschungseinrichtungen, Bibliotheken, Kulturinstitutionen, Mediatheken und Archive usw. verteidigen dann im Halbjahrestakt die schrittweise durchlöcherte Netzneutralität, den Datenschutz, das Recht auf Privatkopien und vieles mehr, was in einer vernetzten Welt eigentlich selbstverständlich sein sollte.

Und auf angemessene Reformschritte für ein modernes Urheberrecht in der digitalen Welt, in dem NutzerInnengewohnheiten und -rechte ausgelotet werden und gute Einkommen der Kreativen nicht nur als leeres Argument vor sich hergetragen werden, werden wir wohl vergeblich warten. Da lauert immer wieder das heilige Territorialprinzip, ohne je aufklären zu wollen, ob es für Film- und andere Contentproduzenten nicht doch eine andere, europäisierte Form gäbe, die deren Umsätze sichert und bei der Nutzerinnen und Nutzer nicht das Nachsehen haben und zu NesthockerInnen in einem vernetzten und mobilen Europa verdammt werden.

 

Was sind die konkreten Vorschläge?

Kurz gefasst, ließ sich Vieles schon aus den Mediendebatten der vergangenen Tage entnehmen. Ein Großteil stand diesmal im Zeichen der Reform der audiovisuellen Medien. Neben einer Stärkung der nationalen Regulierungsstellen, mehr Schutz für Kinder und Maßnahmen gegen Hass im Netz sowie flexiblerer Werbung (was immer das im einzelnen bedeutet, ob Trennung von Content und Werbung oder klare Kennzeichnung, wie es der CULT-Ausschuss jüngst vorschlug) kamen die jetzt heißt diskutierten Vorschläge, dass Netflix und Co mehr für europäische Inhalte tun sollen, indem sie 20% europäischer Filme und Serien in ihr Angebot aufnehmen und prominent bewerben. 

Dazu hat Martina gestern gegenüber epd-Medien erläutert: „Die großen Streamingdienste erfüllen die 20%-Quote vermutlich längst, abgesehen von der prominenten Werbung. Andererseits lässt sich die Förderung für cineastische Vielfalt aus Europa wohl kaum auf diesem antiquierten Weg des wirtschaftlichen Protektionismus herbeiregulieren. Da hilft auch nicht das wacklige Argument, dass damit etwas für die kulturelle Vielfalt getan werden würde. Ich weiß, dass die Filmfirmen das nicht gern hören, weil sie derzeit vom Territorialprinzip gut leben, doch ich bin dafür, dass eine offene Debatte zu Europäischen Lizenzen endlich so geführt wird, dass kleine Filmunternehmen nicht krachen gehen, sondern mit einer nötigen und sinnvollen europäischen Harmonisierung auch überleben. Die Reformierung der AVMD hätte die Aufhebung der linearen und nichtlinearen Dienste endlich zeitgemäß in Angriff nehmen sollen. 

Natürlich hat Europa mit seiner Vielsprachigkeit eine kulturelle Besonderheit, die auf einem Binnenmarkt mit Schwierigkeiten durchschlägt. Doch hier wäre eine großzügige Filmförderung (vielleicht auch durch Beihilfen für Untertitelung) der bessere Weg, statt an dieser Stelle auf die Wirkung der Kleckerbeträge, die über MEEDIA und andere Programme verausgabt werden, allein zu vertrauen.

Quotierungen regeln keine Qualität kultureller Vielfalt und werden uns nicht mehr interessante europäische Filme und Serien bescheren, die die USA nun einmal auch zu bieten hat, aber auch die BBC und viele Filmemacher.“

Neben (und auch in) dem großen Paket für die Audio-Visuelle Medienrichtlinie (AVMD) hat sich die Kommission nun endlich der Herausforderung Plattformen angenommen und will nun nach dem Prinzip „Vergleichbare Vorschriften für vergleichbare Inhalte“ regulieren und zugleich deregulieren, wenn es um die Überarbeitung des EU-Telekommunikationsrechts geht. Da lohnt das genaue Hinschauen allemal, denn immer wieder lauert der Dolchstoß für die Netzneutralität, obwohl zum Beispiel die Niederlande es vorgemacht und Zero-Rating einfach verboten haben.

Bis heute sind für Online-Dienste viele Haftungs- und Datenschutzregeln offen, die für traditionelle Dienste schon lange gelten. Und einmal mehr trägt die Kommission dann ihren großen Anspruch vor sich her, den Verbraucherschutz zu verbessern, aber irgendwie auch offene Märkte für eine datengestützte Wirtschaft zu schaffen. 

Dass die Kommission überdies an einem Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Hassreden im Internet arbeitet, ist ein weiteres Element, das die Debatten in den kommenden Wochen bewegen wird.

Und für kleine und mittlere Unternehmen sind noch immer viele Fragen offen.

Eine Übersicht der Kommissionsvorschläge mit vielen Links zu den Dokumenten ist hier zu finden. Wir werden in den kommenden Wochen zu den einzelnen Vorschlägen konkret Stellung nehmen.

 

Was hat das Parlament anschließend diskutiert?

Fast vergeht einem die Lust, die weitgehend öde Debatte widerzuspiegeln, die ein beinahe komplettes Zeugnis politischen Desinteresses gegenüber der digitalen Gesellschaft und dem tatsächlichen Regelungsbedarf für einen digitalen Binnenmarkt darstellte. Deshalb werden hier hier nur an drei Redebeispielen die wesentlichen blinden Flecken zusammengefasst.

 

Michel Reimon, Grüner aus Östereich, brachte die Grundkritik am Denk- und Regelungsansatz der Kommission auf den Punkt, indem er die fehlenden Prinzipien wie Netzneutralität und Datenschutz anmahnte und darauf verwies, dass Lösungen für einen digitalen Binnenmarkt vernünftige Lösungen für eine digitale Gesellschaft verlangen. Vielleicht lag es daran, dass er auch Martinas Kollege im Kulturausschuss ist und dort mit ihr viele Positionen teilt, jedenfalls war es nötig und entscheidend, dass Reimon nach den vielen Schwafeleien über Paketzustelldienste, Onlineinkäufe und „die Kommission ist schon irgendwie auf dem ricthigen Weg, auch wenn der Regelungsbedarf nicht von der Hand zu weisen ist“ noch einmal hervorhob, dass es bei der Digitalisierung zuerst um unser aller demokratische Möglichkeiten und eine andersartige Öffentlichkeit geht, die wir für alle sichern müssen. 

Nur aus dieser Perspektive haben alle politischen Vorschläge für den Europäischen Digitalen Binnenmarkt nachhaltigen Bestand, wenn wir nicht auf eine Gesellschaft zusteuern wollen, in der die elektronische Durchleuchtung und geistige Orwellisierung das Sagen haben sollen, in der große Unternehmen und Machteliten mit schnelleren Netzen und exklusiver Information und Kommunikation ausgestattet sind und der Rest der Welt nicht mehr Bürgerin und Bürger, sondern ausschließlich Käuferin und Käufer sind, die ihr Vertrauen in den Gang der undurchschaubaren Dinge behalten sollen. 

 

Paloma López Bermejo, eine spanische Abgeordnete aus unserer GUENGL Fraktion, mahnte in der Debatte ArbeitsnehmerInnenrechte in der digitalen Wirtschaft an und kritisierte, dass die Kommissionsvorschläge sich zu dieser Fragestellung so gut wie gar nicht äußern. Nur müssen wir hier in Zukunft konkreter werden, denn dies gilt schließlich auf ähnliche Weise auch in der Pflege und vielen anderen Dienstleistungsbranchen, die ähnlich den „creative industries“ nicht im Scheinwerferkegel großer Industriegewerkschaften tätig sind, sondern schon immer in entregelten und mies bezahlten Beschäftigungsformen tätig und wenig organisiert sind. Die Konflikte, die hier anstehen, sind auf der anderen Seite exemplarisch für die Neuorganisation einer zerklüfteten Arbeitswelt, weshalb die politische Beschäftigung tatsächlich dringend ist, sonst verkommt das Kreativgewerbe zum Modell eines neuen sich selbst ausbeutenden postindustriellen Proletariats, oder wie Lothar Bisky es einst nannte, zum Informationsprekariat. Die hohe Eigenmotivation gegenüber den intellektuell oft anspruchsvollen, aber schlecht bezahlten Tätigkeiten, die hohe Quote von Selbständigen, Click- und Crowdworkern taucht in den politischen Vorschlägen – leider auch bei linken Überlegungen zur Beschäftigungspolitik – oft gar nicht auf, weder als Problem noch als Potenzial. Sie stellt aber einen entscheidenden Ansatz für den dringenden Regelungs- und Kommunikationsbedarf mit den Beschäftigten dar.

 

Petra Kammerevert von den Sozialdemokraten, Fachpoilitikerin für die audiovisuellen Medien und CULT-Ausschuss-Mitglied, konnte in ihrem Beitrag nochmals auf eines der entscheidenden Probleme hinweisen, welches wir auch immer wieder anmahnen und von denen die linke Fraktion nicht ausgenommen werden kann.

Wir sehen die digitale Binnenmarktstrategie als Problem von Beschäftigten, die eben nicht nur Konsumenten sind, und als Problem kleiner und mittlerer Unternehmen. Doch das ist selbst eine reduzierte Perspektive, die sogar das Parlament in der Beschäftigung mit der digitalen Binnenmarktstrategie eingestanden hat, indem es im Ansatz die Reform der Audio-Visuellen Medienrichtlinie (AVMD) exklusiv in den Kulturausschuss legte, obwohl sonst beinahe alles in Industrie-, Verbraucherschutz- und Rechtsausschüssen verhandelt wird (ITRE; IMCO; JURI).

Ja, es geht bei der Organisation traditioneller (linearer) Medien, wie TV und Rundfunk, und der neuen nichtlinearen Medien im Netz, darin den Streamingdiensten, den sozialen Netzwerken, den Nachrichten auf Online-Portalen usw., um unsere demokratische Kultur, um diskriminierungsfreie Zugänge, um Überwindung des Geoblockings, um Portabilität erworbener Inhalte, um Medien- und Internetkompetenz und einmal mehr ums Urheberrecht.

Und da bleibt dann viel Kritik an den Kommissionsvorschlägen nicht aus, die einmal mehr den öffentlichen Bereich kaum im Auge hat, obwohl hier ebenso große Medienunternehmen, Bildungs- und Kulturinstitutionen und Forschungseinrichtungen am Werke sind, die in einer digitalen Welt agieren, Zugänge und Information sichern müssen und Öffentlichkeit generieren.

Andererseits, und darauf fokussierte Kammerevert besonders, werden nicht mal überholte Unterscheidungen aufgehoben und TV und das Internet noch immer gänzlich separaten Behandlungen unterworfen, obwohl dies praktisch für Nutzerinnen und Nutzer längst ein großes Ganzes geworden ist, in dem sie kommunizieren, sich informieren und auch selbst produzieren.

Zum Schluss:

Immerhin gibt es jetzt eine Initiative End Geoblocking!, die von der Piratin Julia Reda mit initiiert wurde. Hier könnt ihr euch informieren. Das ist mal eine konkrete Möglichkeit, den Bettvorlegern der Kommission Tigerbeine zu machen.