Rede von Jürgen Klute auf der 9. Internationalen Konferenz „Türkeibeitritt und Kurdenfrage“ in Brüssel

Liebe Konferenzteilnehmer, liebe Freundinnen und Freunde,

es ist mir eine große Freude, Sie noch einmal sehr herzlich im Namen der Fraktion der Europäischen Linken, aber auch im Namen der Kurdischen Freundschaftsgruppe hier, im Europäischen Parlament zu begrüßen!

Dies ist bereits die 9. Konferenz, die wir als GUE/NGL gemeinsam mit dem EUTCC-Netzwerk organisieren. Unser Ziel ist es, der Kurdenfrage im Erweiterungsprozess ein angemessenes Gewicht zu geben.

Soweit ich das als Teilnehmer der Konferenzen der letzten Jahre erlebt habe, waren die Konferenzen hier stets von einer Atmosphäre der Spannung, der Aufmerksamkeit und Erwartung, aber auch der Hoffnung geprägt. Die erste dieser Konferenzen zu den Beziehungen zwischen der EU, der Türkei und den Kurden wurde 2004 organisiert. Anlass und Ausgangspunkt dieser ersten großen Konferenz war der Beschluss des EU-Rates, die Türkei offiziell zum Beitrittskandidaten zu ernennen. 2005 hat die EU-Kommission die Beitrittsverhandlungen mit der türkischen Regierung begonnen.

Die Verhandlungen sind seitdem eher schleppend verlaufen. Die Türkei hat eine Reihe von Reformen in Angriff genommen, etwa auf dem Gebiet der Justiz. Dazu werden wir gleich noch mehr hören. Viele Verhandlungsfortschritte haben aber auch auf dem guten Willen und – man muss es wohl so sagen – Vorschusslorbeeren der Europäischen Kommission beruht. Die Fortschrittsberichte von Kommission und Parlament waren stets darum bemüht, eine Balance zwischen Anerkennung für Reformbemühungen und Kritik für andauernde Einschränkungen der Bürgerrechte zu finden.

Vorschusslorbeeren auf der einen Seite, Hoffnung auf der anderen Seite. Ein großer Teil der Hoffnung, die hier in diesem Saal, auf den vergangenen Konferenzen zu spüren war, hat immer auch zu einem Teil auf den Versprechen und Ankündigungen der türkischen Regierung beruht. Ich habe den Eindruck, dass vielen Kurden die Hoffnung auf eine Demokratie, in der sie sich zu ihrer Identität bekennen können, in denen die Vielfalt in der Türkei respektiert, geschätzt und gefördert wird, inzwischen verloren gegangen ist.

Sie wissen es: Einem dramatischen Hungerstreik hatten sich im vergangenen Monat über 700 politische Gefangene, aber auch namhafte Persönlichkeiten, die heute hier bei uns sind, angeschlossen. Der internationalen Öffentlichkeit wurde die wachsende Verzweiflung der Kurden in der Türkei förmlich vor Augen geführt. Ich – und ich denke ich kann hier für sehr viele Mitglieder des Europäischen Parlaments sprechen – war sehr erleichtert, dass die Hungerstreikenden den Appell von Abdullah Öcalan beherzigt haben und durch die Beendigung ihrer Aktion schlimmeres verhindert haben.

Liebe Freundinnen und Freunde, ich habe den Eindruck, die Türkei steht heute mehr denn je an einem Scheidepunkt. Die türkische Regierung, Premierminister Erdogan, aber auch Medienschaffende und die Bürger des Landes müssen sich entscheiden:

Möchte die Türkei dem blutigen und leidensvollen Konflikt um die Rechte der Kurden ein friedliches Ende setzen? Möchte die Türkei das Erbe der Militärdiktatur endlich durch eine echte und mutige Reform der Verfassung ein Ende setzen? Möchte die Türkei einen dauerhaften Beitrag leisten für die Befriedung des Nahen Ostens? Oder möchte man all diese Chancen vorübergehen lassen?

Diese Verantwortung liegt heute zuallererst in den Händen der Konfliktparteien des eskalierenden türkisch-kurdischen Bürgerkriegs: Schafft es die AKP-Regierung, schafft es die PKK, sich miteinander an einen Tisch zu setzen, oder versagen sie gegenüber dieser historischen Aufgabe?

Es ist ein mehr als deutliches Zeichen, wenn sich vier Träger des Friedensnobelpreises aus den USA, aus Südafrika, aus Tibet und aus Ost-Timor zusammenschließen, um sich für einen ernsthaften Anlauf zu Friedensverhandlungen einzusetzen. Dem Appell der Internationalen Friedensinitiative habe ich nichts hinzuzufügen, außer dem Hinweis, dass Versprechen erfüllt werden wollen. Es ist gefährlich, Hoffnungen und Erwartungen zu schüren, die letztlich unerfüllt bleiben. Die sich möglicherweise als nichts weiter als Lügen herausstellen. Die Folgen liegen dann auch in der Verantwortung desjenigen, der diese Versprechen schuldig blieb.

Lassen Sie mich noch eine letzte Anmerkung machen: Die EU-Kommission hat im Oktober ihre Einschätzung über den Fortschritt in der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien veröffentlicht. Der Bericht hat ein relativ realistisches Bild des Stillstandes gezeichnet und hat in der türkischen Öffentlichkeit für Empörung gesorgt. Offensichtlich scheint die Kommission nicht unbegrenzt Vorschusslorbeeren verteilen zu wollen. Die Sensibilität für die Lage der Kurden hat sich in der internationalen Öffentlichkeit erhöht. Der 62-tägige Hungerstreik hat hier einen – wenn auch schmerzvollen – Beitrag geleistet. Auch der neue Präsident des Europäischen Parlaments ist offen für die Belange der Kurden in der Türkei. 

Wenig tut sich alleine in meinem Land, in der Bundesrepublik Deutschland. Als Bundeskanzlerin Merkel Premierminister Erdogan Ende Oktober in Berlin empfangen hat, hat sie ihm erneut ihre Solidarität im Kampf gegen die PKK zugesichert. Von Menschenrechtsverletzungen gegenüber der kurdischen Bevölkerung war nichts zu hören. Die Bundesrepublik paktiert auch weiterhin blind mit der türkischen Regierung, liefert Oppositionelle aus und kriminalisiert offen kurdische Vereine. Das ist ein Skandal, für den ich mich als Deutscher schäme.

Die EU ist ein kompliziertes Gefüge, das nicht immer mit einer Stimme spricht. Wenn Sie enttäuscht sind, weil Sie keine Stimmen hören, die sich für das kurdische Volk einsetzen, schauen Sie genau hin, wer die falschen Freunde der Bürger der Türkei sind. Das ist meine Bitte an Sie.

Am Montag dieser Woche haben vier Träger des Friedensnobelpreises einen wichtigen Beitrag für den Frieden zwischen Türken und Kurden geleistet. Am Montag der kommenden Woche werden Vertreter der Europäischen Union in Oslo den Friedensnobelpreis entgegennehmen. Dieser Preis muss der EU eine Verpflichtung sein, glaubwürdiger zu werden in ihrer Außen- und Menschenrechtspolitik und ihren Druck für die Demokratisierung der Türkei zu erhöhen.