Geld gegen Reformen? EU plant den Haushalt ab 2027 komplett umzukrempeln
Am ersten Oktoberwochenende geisterten erste Nachrichten über eine „interne Präsentation“ in der EU-Kommission, den EU-Haushalt radikal umzubauen, durch die Medien. In Deutschland berichtet die FAZ recht ausführlich, der Focus unter der Überschrift „27 Programme statt 530: Geheimes Dokument zeigt, wie von der Leyen den EU-Haushalt radikal umbauen will“ zusammenfassend, obwohl die Runde um Von der Leyen lt. FAZ diese Überlegungen „als reines ‚Brainstorming‘ heruntergespielte. Konstanze Kriese fast Knackpunkte der Debatte zusammen und fordert eine demokratische Haushaltsreform.
Uptdate 3.12.2024:
Am 27. November 2024 wurde die neue EU-Kommission mit zwar nur 370 Stimmen vom Europaparlament bestätigt, doch nun kann sie durchstarten, auch ihre geplante Haushaltsreform in Angriff zu nehmen. Als Vizepräsident der Von der Leyen-II-Kommision ist Raffaele Fitto, ein Rechtsaussen-Vertreter von Melonis Brüder Italiens ins Amt gekommen. Er war in den frühen 2000er Jahren wegen illegaler Parteienfinanzierung angeklagt. Er wurde nur nicht verklagt, weil er Immunität genoss. Jetzt wurde für die Europäische Regionalpolitik verantwortlich gemacht. Er wird kein Bollwerk gegen die Haushaltsreformpläne von Von der Leyens sein, die die Kommunen und Regionen schwächen werden und der Kommission mehr Durchsgriffsrechte verschaffen soll. Im Hintergrund wird sich Italiens Regierungschefin Meloni schon die Hände reiben, denn dies ist nicht nur eine Axt am sozialen Europa, sondern auch Wasser auf die Mühlen all derer, die sagen, dass die EU undemokratisch ist und – so der ganz rechte Rand – am besten aufhören sollte zu existieren. Die neue Haushaltreform, so wie die ersten Umrisse aussehen, gibt diesen Nationalisten praktisch Futter, ihre Strategien weiter durchzusetzen und letztlich ein Europa der egoistischen Vaterländer und der neokolonialen Ausgrenzung salonfähig zu machen. Dabei können sie auch noch ganz unverhohlen mit antikapitalistischen Attitüden punkten, denn die neue Haushaltsstrategie wird den Wettbewerbsfokus für die großen Unternehmen unterstützen und die demokratische Kontrolle der EU-Fördergelder für strategische Investitionen weiter schleifen.
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Machtzuwachs für die EU-Kommission
Wie oft haben Fördergeldempfänger den EU-Förderdschungel reklamiert, die Antrags-Tools und die Undurchschaubarkeit kritisiert und gestaunt, mit wieviel Professionalität die Strukturförderung in den Regionen, in der Landwirtschaft, bei Corona-Krisenfonds oder bei dem modernen Just Transition-Fonds gemanagt wird, der insbesondere den Umbau der Energiebasis aus dem fossilen Zeitalter sozial und beschäftigungspolitisch bewältigen soll. Doch die geplante Haushaltsreform, die mit Entbürokratisierung und der erhofften Vereinfachung und Durchschaubarkeit daherkommt, entpuppt sich als Gift für die Kommunen und Regionen und brächte der EU-Kommission einen enormen Machtzuwachs im Konzert mit den Mitgliedstaaten.
Geld gegen Reformen
Überdies würde das Prinzip „Geld gegen Reformen“ etwas nach vorn stellen, dass die Europäischen Regionalpolitikerinnen und Regionalpolitiker mit ihrem inklusiven Bottom-up-Ansatz schon immer kritisiert haben, nämlich Fördergelder womöglich an makroökonomische Konditionalitäten zu binden und damit den Mitgliedsstaaten Reformen aufzuzwingen, die nach unseren Erfahrungen die öffentliche Daseinsvorsorge bisher immer nachhaltig beschädigt und soziale Rechte ausgehebelt haben. Dies hatte Martin Schirdewan in einer Studie von 2020, die unter dem Titel: „Disziplin und Strafen: Ende für den Stabilitäts- und Wachstumspaktforderte“ erschien, schon herausgearbeitet und im Fazit festhalten müssen:
„Seit Einführung des Europäischen Semesters im Jahr 2011 bis 2018 forderte die Kommission die einzelnen Mitgliedstaaten auf, das gesetzliche Renteneintrittsalter anzuheben und/oder die öffentlichen Ausgaben für Renten und Altersvorsorge zu senken. Es gab seither:
- 63 Aufforderungen, dass die Regierungen die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung und/oder die Auslagerung oder Privatisierung von Gesundheitsdienstleistungen kürzen.
- An die Mitgliedstaaten wurde 50 Mal die Aufforderung gerichtet, das Lohnwachstum zu unterbinden, während Anweisungen zur Verringerung der Arbeitsplatzsicherheit, des Beschäftigungsschutzes vor Entlassungen und der Rechte von Arbeitnehmern und Gewerkschaften auf Tarifverhandlungen 38 Mal erteilt wurden.
- Zusätzlich zu den routinemäßigen Forderungen, die Staatsausgaben für Sozialdienstleistungen generell zu senken, hat die Kommission 45 spezifische Forderungen gestellt, die darauf abzielen, die Leistungen für Arbeitslose, schutzbedürftige Menschen und Menschen mit Behinderungen zu verringern oder zu streichen, unter anderem durch Strafmaßnahmen, um diese Personen in den Arbeitsmarkt zu zwingen.“
Die offizielle Debatte zum Ansatz „Geld gegen Reformen“ geht bisher in eine andere Richtung und wird u. a. vom konservativen CEP Think Tank als Vorteil der radikalen Entwurfspläne klassifiziert. In der ersten Einschätzung, die erinnert, welche Erfahrungen bisher mit dem Rechtsstaatsmechanismus beim Umgang mit dem NextGenerationEU-Fonds gemacht wurden (gedacht als Lex Ungarn und Polen), formulieren Matthias Kullas und Henning Vöpel für das CEP:
Die EU-Kommission könnte politische Ziele verstärkt durch fiskalische Anreize erreichen, nicht nur durch Regulierung(.)
Der Reformvorschlag würde auch dazu führen, dass die EU-Kommission politische Ziele erreichen kann, indem sie Finanzmittel bereitstellt. Bisher kann sie ihre politischen Ziele fast nur durch Regulierung erreichen. Dies wird als ein Grund für die „Regulierungswut“ der EU angeführt. Der diskutierte Reformvorschlag des EU-Haushalts könnte dies ändern.
Die lang schon praktizierte makro-ökonomische Konditionalisierung, die gebunden ist am Fortbestand des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in seiner investitionsbremsenden Sparideologie, spielt in der Bewertung derer, die den Haushaltsvorschlag überwiegend begrüßen, keine Rolle. Kaum verwunderlich daher auch, das Finanzminister Lindner die Pläne schon begrüßt hat.
Wie wäre es mit sozialen und ökologischen Konditionen?
Laut CEP sind diese Orientierungen nicht ausgeschlossen, so sie als Prioritäten der EU angesehen werden. Doch die sind auf dem sozialen Auge blind und werden eher als ökologische und digitale Transformationen formuliert.
Die Umbaupläne erschienen ausgerechnet vor der „European Week of Regions and Cities“ auf der sich Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über die Zukunft der europäischen Kohäsionspolitik austauschen, die 1993 eingeführt, die Chancengleichheit im europäischen Binnenmarkt herstellen sollte. Sie war von Beginn an auf die Angleichung wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Unterschiede orientiert und damit kein rein wirtschaftspolitisches Investitionsinstrument. Mit dieser Funktionsweise genoss die Kohäsionspolitik – als eine Dimension europäischer Sozialpolitik -Europäischen Verfassungsrang im Artikel 174 AEUV und Artikel 130d EG-Vertrag. Dabei ging es, wie Thomas Schwab in einem Beitrag der Zeitschrift Makronom aus der vergangenen Woche herausarbeitet, nie um einen einfachen Ausgleichsmechanismus, sondern um mehr Handlungskompetenz der Regionen, um Kulturprojekte, Ausbildungsangebote oder Integration für viele Menschen und eben auch Investitionen vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen und dies auch über Grenzen von Mitgliedstaaten hinweg. Investitionen an soziale und ökologische Konditionen zu binden, ist nicht neu, sollte jedoch selbstverständlicher sein, genau wie der mit vielen EU-Programmen verbundene Europäische Mehrwert, sei es für Bahntrassen, digitale Projekte, für die Europäische Filmproduktion und Medienöffentlichkeit, den Schutz großer Flüsse oder der Förderung von Mobilität für grenzüberschreitende Bildung und Forschung. Wo hat der Europäische Mehrwert, die europäische demokratische Öffentlichkeit in dem neuen Haushaltskonzept eigentlich noch ihren Platz, wenn die Mitgliedstaaten der Adressat sind? Das CEP behauptet zwar, dass nun gerade Projekte mit europäischen Mehrwert gefördert werden könnten, meint dies jedoch rein wirtschaftlich, liefert dafür jedoch keinerlei Beweis. Andererseits weist selbst das CEP daraufhin, dass die mangelnde Haushaltskontrolle im neuen Vorschlag verstärkt wird.
Regionen im Abseits europäischer Politikentwicklung?
Prompt kam im Umfeld des Europäischen Treffens der Regionalpolitik die entsprechende Kritik an Von der Leyens Haushalts-Plänen:
„…die spezifische Förderung strukturschwacher Regionen könnte unter dem neuen System leiden, wenn die EU ihre Zahlungen zukünftig direkt mit den Nationalstaaten aushandelt. ,Wenn das stimmt, schwächt das die Kohäsionspolitik‘, sagte Vasco Alves Cordeiro, der portugiesische Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen, der FAZ. ‚Sie stellt die Regionen nicht in den Mittelpunkt der Politik, sie stellt sie auf skandalöse Weise ins Abseits.‘“
ist das erste Fazit der ebenfalls in Brüssel tagenden Versammlung der Regionalpolitikerinnen und Regionalpolitiker, die direkt aus den Mitgliedstaaten kommend, mit großen Engagement ihre Stellungnahmen zu allen Europäischen politischen Vorhaben abgeben. Überdies schwächt dieser Ansatz für die Vergabe der durchaus übersichtlicheren Haushaltsmittel auch die Mitsprache des Parlaments, seines Regional- und seines Haushaltsausschusses, die häufig eng mit dem Ausschuss der Regionen zusammenarbeiten.
Was wissen wir über die Umbaupläne?
Die FAZ skizziert im Telegrammstil die Umbaupläne folgendermaßen:
„…die beiden bisher größten Budgetposten, die Subventionen für die Landwirte sowie die Förderung strukturschwacher Regionen, (sollen) in der nächsten Finanzperiode 2028 bis 2034 wegfallen. Sie machen momentan jeweils ein Drittel des Haushalts von zuletzt rund 140 Milliarden Euro im Jahr aus. Stattdessen wird der Großteil des Budgets – darunter die Agrar- und Strukturhilfen – nach Vorbild des 2021 geschaffenen Corona-Aufbaufonds als eine Art „Zuschuss“ zum nationalen Haushalt an die EU-Staaten überwiesen. Die müssen im Gegenzug mit der Kommission vorab nationale Pläne mit politischen Reformen und Zielen vereinbaren. Erst wenn sie diese erfüllen, erhalten sie auch Geld. Auch das Prinzip „Geld für Reformen“ ist dem Corona-Fonds entnommen. Neben diesem Haushaltsposten sollen es drei weitere geben: den Fonds für Wettbewerbsfähigkeit, die Außenpolitik unter der Überschrift „Global Europe“ und die Verwaltungskosten.“
Die neue Kommissionsstrategie, bei der der Green Deal unter ein Wettbewerbsprimat untergepflügt wurde, spiegelt sich in dieser Haushaltsbudgetierung. Genaue Zahlen sind noch nicht bekannt- Doch man kann schon jetzt davon ausgehen, dass die Investitionen in die Aufrüstung in mehr als einem der vier Posten vorkommen wird, während die ökologischen und sozialen Herausforderungen nicht die erste Geige spielen, obwohl deren Bewältigung unterm Strich viel mehr internationale Sicherheit und Konfliktvermeidung produzieren würde. CEP berichtet über die geplanten Fondsportfolios:
„Der Fonds für Wettbewerbsfähigkeit soll alle bisherigen Programme zusammenfassen, die – im weitesten Sinne –
Wettbewerbsfähigkeit fördern, etwa den Innovationsfonds, den Verteidigungsfonds und den
Investitionsfonds (auch bekannt als Juncker-Fonds).“
Kritik vom Europäischen Rechnungshof
Kritik an den Plänen kam nicht nur von den Regionalpolitikerinnen und Regionalpolitikerin, sondern auch vom Europäischen Rechnungshof, denn die Kommission will sich aus der Mittelkontrolle verabschieden.
„Der Europäische Rechnungshof hat den Ansatz ‚Geld für Reformen‘ des Corona-Fonds eben deshalb mehrfach kritisiert. Der Hof hatte zuletzt im September festgestellt, dass die Gefahr von Fehlern groß ist, wenn die EU nicht – wie bisher im EU-Haushalt – im Nachhinein die Kosten für Projekte erstattet, sondern den Staaten schon Geld zahlt, sobald sie bestimmte Reformen erfüllt und einzelne Etappen der damit verknüpften Projekte beendet haben.“ (FAZ)
Martin Schirdewan reagierte auf den Bericht des Rechungshofes vergangenene Woche und warf der EU-Kommission vor, das Problem der Haushaltskontrolle bisher verharmlost zu haben. Mit dem neuen Ansatz, auch wenn er derzeit als „Brainstorming“ verstanden werden soll, wird der EU-Haushalt nicht nur undemokratischer, er wird im Sinne der Investitionslenkung noch schwerer kontrollierbar und dies ist offenbar gewollt. Dabei sind die Probleme der mangelnden demokratischen Kontrolle von Investitionen an private Unternehmen mindestens seit dem Juncker-Plan für strategische Investitionen (2020) bekannt. Und sollte man sich hier auch nur im Ansatz etwas von dem amerikanischen IRA (Inflation Reduction Act) abgeschaut haben, so ist die Investitionsinititiave aus Übersee, auch wenn das Geld dort ebenso vorrangig an private Unternehmen, zumindest nicht mit Lohndumping und ökologischer Blindheit gepflastert.
Was sich alles ändern muss: Investitionsbremse raus aus den Verträgen – sozial-ökologische Konditionierung der Zuschüsse und demokratische Haushaltskontrolle
Die europäischen Fiskalregeln – der Stabilität- und Wachstumspakt – haben sich als Investitionsbremse erwiesen. Mit der Corona-Krise wurden sie ausgesetzt, doch das 3-Prozent-Defizit-Kriterium und die 60-Prozent-Schuldenstandsquote bleiben erhalten, obwohl es dafür keinerlei ökonomische Begründung gibt. Wir fordern, dass diese Schuldenbremse aufgehoben wird, um langfristige sozialökologische Investitionen zu ermöglichen. Den ersten Schritt kann man auch ohne Änderung der Verträge gehen, indem öffentliche Nettoinvestitionen über Kredite finanziert werden dürfen. Öffentliche Investitionen gehören nicht in die Schuldenstandsrechnung mit Ausnahme von Investitionen in Rüstungs- und Militärausgaben, denn sie tragen nicht zur Erhöhung des gesellschaftlichen Wohlstands bei.
Wenn wir grob davon ausgehen, dass der EU-Haushalt verdoppelt werden müsste (vergleicht man die Europäische Investitionsquote mit anderen Weltregionen) mussen wir umverteilen. Eine Finanztransaktionssteuer und eine Gesamtbesteuerung von Konzernen auf EU-Ebene durch die direkte Besteuerung von 25 Prozent der Unternehmensgewinne helfen, die Steuern in der EU zu harmonisieren. Wir wollen Strukturmittel der EU gezielt für den sozialökologischen Umbau einsetzen, um die Menschen und Regionen in der Konversion zu unterstützen: Umbau von Wirtschaft und Verkehr, von Energie und Landwirtschaft. Statt Geld für Frontex und Pesco brauchen wir Finanzmittel für zivile Konfliktlösungen. internationale Kooperation, Bildungs- und Kulturaustausch. Eine Ausgaben-Orientierung an den UN-Nachhaltigkeitszielen erfordert die Möglichkeiten der eigenen Schuldenaufnahmen und damit einer neuen Rolle der EZB.
Entscheidend bei allen Haushaltsreformen ist eine umfassende Kontrolle durch das EU-Parlament, die demokratische Mitsprache der Regionen und Kommunen. Demokratie kostet, aber eine Haushaltsreform mit weniger Demokratie kostet uns am Ende sicher mehr, denn sie ist Wasser auf die Mühlen derer, die zu einem Europa der Vaterländer zurückwollen.