Arbeitsstart in den Ausschüssen vor der parlamentarischen Sommerpause
Wenn ihr schon immer wissen wolltet, was so ein Ausschuss im Europaparlament bearbeitet, wie er mit Expertise und Zivilgesellschaft in Kontakt kommt und wie er letztlich die europäische Gesetzgebung ankurbelt und mitbestimmt, wir werden es an dieser Stelle zu Beginn der Legislatur einmal schildern. Später bei der konkreten Arbeit an politischen Themen wird dann Gelegenheit sein, die Arbeit in den Ausschüssen weiter zu konkretisieren.
Während im Arbeitssitz des Europaparlaments in Brüssel derzeit viele Kisten durchs Haus geschoben werden, die neuen Arbeitsräume der wiedergewählten und neu gewählten Abgeordneten und ihrer Teams bezogen werden, manch Telefon noch schweigt, aber die Mailadressen langsam alle vergeben sind und alle wenigstens elektronisch erreichbar sind, trafen sich am Montag und Dienstag die Abgeordneten erstmalig in ihren Ausschüssen.
Neben den Ausschussvorsitzenden, deren Stellvertreter*innen und den Abgeordneten selbst, sind die Fraktionen in den Ausschussleitungen auch durch ihre Koordinator*innen vertreten, die dann die Arbeit gemeinsam unter allen Fraktionen planen, aufteilen, koordinieren und sich das eine oder andere Mal auch streiten, wer welchen Bericht entwirft und damit oft sehr langfristig Einfluss auf die wesentlichen Arbeitsergebnisse der Ausschüsse nimmt. Alle Ausschussvorsitzenden treffen sich regelmäßig in einem eigene Gremium, denn es gibt mitunter auch Kompetenzstreitigkeiten bei politischen Fragen über die Ausschussverantwortungen. So dauerte es wohl viele Jahre bis ein Bericht zur Kulturindustrie, die mehr Beschäftigte als die Auto-, die Lebensmittel- oder die chemische Industrie hat, dann auch in geteilter Verantwortung vom Industrieausschuss gemeinsam mit dem Kulturausschuss erarbeitet wurde.
Wer arbeitet von unserer Delegation in welchen Ausschüssen?
Die Ausschüsse, in denen die Abgeordneten unserer Delegation – Özlem Demirel, Carola Rackete (parteilos) und Martin Schirdewan – in der kommenden Legislatur aktiv sind, findet ihr seit heute auch unter deren Profil auf unserer Website.
Özlem Demirel wird erneut Mitglied im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE), Mitglied im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten (AFET), sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Beschäftigung und Soziales (EMPL) und neu im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten und Innenpolitik (LIBE) aktiv werden.
Carola Rackete ist jetzt Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI), Stellvertretendes Mitglied in den Ausschüssen für Wirtschaft und Währung (ECON) sowie Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI).
Martin Schirdewan wird weiterhin Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) und neu als stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel (INTA) aktiv.
Wie arbeiten die Ausschüsse?
Im Mittelpunkt der Ausschussarbeit stehen Berichte, die entweder als Initiativberichte und Stellungnahmen zu Berichten anderer Ausschüsse entworfen werden. Diese Berichte sind oft eine erste, meistens kritische Antwort auf Kommissionsmitteilungen zu bestimmten Vorhaben. Damit werden sie entscheidend für die Orientierung auf spätere Gesetzgebungsverfahren. Mit den Initiativberichten aus den Ausschüssen entwickelt das Parlament am Ende gemeinsame Positionen, skizziert politische Konfliktlagen und stellt konkrete Forderungen an die EU-Kommission, was demnächst und möglich schnell passieren soll: z. B. der Entwurf einer Richtlinie, eine Halbzeitüberprüfung, eine Verordnung oder die dringende Überarbeitung einer Richtlinie, die den politischen Herausforderungen ordentlich hinterherhinkt. So wurde zum Beispiel die über ein Jahrzehnt alte Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ 2018 von der Audio-Visuellen Mediendienste-Richtlinie abgelöst, weil das neue Zeitalter der großem Plattformen politisch noch völlig unreguliert war und neben dem analogen Fernsehen es schon lange – von Nachrichten bis zu Serien – ein audiovisuelles Leben im Netz gab an dem sich auch die Fernsehanstalten beteiligten. Deshalb wurde diese Richtlinie dann auch gern „Netflix“-Richtlinie genannt, weil erstmals Videosharing-Plattformen Auflagen zum Jugendschutz, zum Urheberrecht, zur Werbung und am Wichtigsten zum Auffinden europäischer Werke erfüllen mussten.
Oft finden vor der Arbeit an Initiativberichten Anhörungen statt oder es werden thematische Ausschussreisen organisiert.
Neben der Berichterstatterin oder dem Berichterstatter, nach denen der Bericht benannt wird, arbeiten alle Fraktionen mit sogenannten Schattenberichterstatter*innen bei der Erarbeitung mit. Das sind demokratische Aushandlungsprozesse, die in dieser Art in nationalen Parlamenten nicht üblich sind. Einen großen Teil der Ausschussarbeit kann man überdies sehr transparent verfolgen, weil alle Ausschusssitzungen live übertragen werden und auch später abrufbar sind. An dieser Stelle ist das Europaparlament überaus transparent.
Viel aufwändiger und in seinen Folgen noch langfristiger sind legislative Berichte, die sich dann immer auf konkrete Entwürfe der EU-Kommission beziehen, die sich eigentlich u. a. auf die Initiativberichte des Parlaments stützen sollten. Doch dies ist nicht immer der Fall, denn die Kommission entwickelt ihre Entwürfe nach einem öffentlichen Konsultationsverfahren, in dem Lobbyisten aller Art, Gewerkschaften, NGOs Stellungnahmen abgeben und auch der Ausschuss der Regionen, in dem ein wenig die Stimme der Kommunen vertreten ist, dann oft seine ersten Stellungnahme veröffentlicht.
Dann sind die Ausschüssen mit den konkreten gesetzlichen Vorhaben befasst. Hat dann irgendwann das ganze Parlament die Ausschusspositionen (mit weiteren Änderungen) angenommen, beginnt die gemeinsame Arbeit mit dem Co-Gesetzgeber in der EU, dem Europäischen Rat. Vermittelnd tritt in diesen Aushandlungen – Trilog genannt – wieder die EU-Kommission auf. Diese Triloge finden allerdings hinter verschlossenen Türen statt und sind alles andere als ein transparenter demokratischer Gesetzgebungsprozess. Das kritisieren wir seit Jahren. Überdies sollen seit dieser Legislatur die unmittelbaren Mitarbeiter*innen der Abgeordneten, die akkreditierten parlamentarischen Assistenten (APA) von den Trilogen ausgeschlossen werden. Sie haben dann oft bis zu 2 Jahre und mehr an einen Bericht mitgearbeitet, kennen jede Metamorphose und sind auch auskunftsfähig für Bürgerinnen und Bürger, für die Kolleginnen und Kollegen, die zu anderen Themen arbeiten. Sie waren monatelang eine wichtige Stütze für die Abgeordneten und die Fraktion und sollen bei den entscheiden Verhandlungen nun vor der Tür bleiben?
Zurecht entsteht hier gerade Protest, diese Regelung wieder zu kippen.
Alle Ausschüsse und deren Mitglieder findet man auf der Homepage des Europaparlaments, auch die Ausschusssitzungen und deren Videoübertragung in 24 Sprachen, die Dokumente und Texte, um die es in der Ausschusssitzung geht. Seid ihr also fachpolitisch an bestimmten Themen interessiert, findet ihr hier viel Material und auch in den Newslettern der Ausschüsse kurze Informationen.
Dass wir gesondert hier zur Ausschussarbeit weiter berichten werden, hat den Hintergrund, dass wir oft Minderheitenpositionen vertreten oder es mit dem einen oder anderen politischen Vorschlag geschafft haben auch einen ganzen Ausschuss oder gar das Parlament zu überzeugen. Doch wir wissen, der Erfolg hat oft viele Väter und Mütter. Also nutzen wir hier die Chance, manch Prozess der politischen Meinungsbildung im Parlament zu erhellen. So ist zum Beispiel die Forderung der Freigabe der Patente für Impfstoffe während der Pandemie durch die linke Fraktion zu einer gemeinsamen Parlamentsposition geworden.
Und natürlich freuen wir uns, wenn ihr nachfragt, selbst Ideen habt oder in einen Austausch um die Durchsetzung politischer Projekte für mehr sozial-ökologischen Umbau, mehr soziale Rechte insgesamt, mehr internationale Kooperation, den Schutz bürgerlicher Freiheiten und viele andere Problemlagen, die uns täglich beschäftigen – vom bezahlbaren Wohnen bis zur Deckelung von Lebenshaltungskosten – mit uns treten wollt.