Die Zukunft sauberer Energie
Wasserstoff und die Zukunft des Energiesystems
Im Sommer 2020 präsentierte die Europäische Kommission eine EU-Strategie zur Integration des Energiesystems (COM(2020) 299 final) und eine eng damit verbundene Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa (COM(2020) 301 final) in der sie Pläne vorstellt mit denen das Energiesystem zur EU Klimaneutralität bis 2050 beitragen soll. Dazu sollen vor allem Energieeffizienz und Elektrifizierung von Verkehr und Wärme beitragen. Es ist aber auch ein enormer Ausbau der Wasserstoffwirtschaft vorgesehen. Die linke GUE/NGL Fraktion im Europaparlament veranstaltete am 17. November 2020 dazu ein internationales Webinar in Zusammenarbeit mit transform! europe, um wichtige soziale und ökologische Fragen rund um Wasserstoff und die Zukunft der europäischen Energiesysteme zu diskutieren. Die zentrale Frage des von Roland Kulke (transform! europe) moderierten Webinars war: Wem gehört die Energie von morgen?
Bereits 1874 beschreibt Science-Fiction Autor Jules Vernes in seinem Buch „Die geheimnisvolle Insel“ eine utopische, von Wasserstoff angetriebene Gesellschaft. Die Kommission knüpft derzeit ähnlich große Hoffnungen an die Wasserstofftechnologie wie seinerzeit Jules Verne und sieht die EU bereits als Zentrum eines globalen Wasserstoffmarktes. Manuel Bompard (La France Insoumise, LFI) sieht zwar sehr wohl großes Potential im Wasserstoff. Zugleich schränkt er die Hoffnung ein, dass Wasserstoff so etwas wie das „Öl des 21. Jhds.“ werden könnte. Bompard erklärte, dass Wasserstoff an sich keine Energiequelle darstellt, sondern nur ein Energieträger, also wie ein Speicher wirkt. Im Gegensatz zu Öl findet man jedoch keine Wasserstoffquellen auf der Erde. Die Produktion von Wasserstoff setzt große Mengen von Energie voraus – das ist der große Unterschied in der Verfügbarkeit zu Öl! Wasserstoff muss aufwändig durch Vergasungsprozesse fossiler Brennstoffe (grauer bzw. blauer Wasserstoff) oder durch Elektrolyse gewonnen werden. Wirklich sauber ist Wasserstoff nur dann, wenn er auch aus erneuerbarem Strom (sog. „grüner Wasserstoff“) gewonnen wird und nicht aus Erdgas oder Kohle wie es derzeit über 90% der Wasserstoffproduktion. Ähnlich fahrlässig wäre es Wasserstoff aus Atomstrom herzustellen. Eine Umstellung auf erneuerbare Energien würde bei derzeitiger Produktion bereits 80% der Kapazitäten von Wind und Solaranlagen in Europa in Anspruch nehmen. Wasserstoff ist also kein Wundermittel gegen den Klimawandel. Bompard sieht in Wasserstoff vor allem ein Speichermedium für die Überschussproduktion von Wind und Solaranlagen, dass aufgrund seiner begrenzten Verfügbarkeit sparsam und planmäßig eingesetzt werden muss. Wo dies geschehen soll muss gesellschaftlich diskutiert werden. Die sehr energieintensiven industriellen Prozesse Stahl- und Zementherstellung werden in Zukunft wohl nicht ohne Wasserstoff auskommen können.
Bompard erzählte von zwei konkreten Projekten, die in Frankreich zurzeit an der neoliberalen Politik der Regierung und den Kapitalinteressen großer multinationaler Firmen scheitern: zum einen wirbt die CGT in Dünkirchen dafür ein örtliches Stahlwerk mit lokal hergestelltem Wasserstoff zu versorgen. All dies würde perfekt auf einer von TOTAL 2010 stillgelegten Ölraffinerie stattfinden können. Personal, Wind, Gelände und Stahlwerk sind bereits vorhanden, nur der politische Wille fehlt. Ein ähnliches Projekt schwebt der Gewerkschaft in Belfort im Osten Frankreichs vor bei dem General Electric ein Werk still legt. Auch hier gäbe es gute Möglichkeiten für die Schaffung lokaler und grüner Jobs im Hochtechnologiebereich – wäre der politische Wille vorhanden.
Über die Modalitäten für eine umsichtig geplante Wasserstoffstrategie sprach Jean-Claude Simon (transform! europe) und hob dabei vor allem die Bedeutung der betrieblichen Mitbestimmung und Selbstverwaltung durch die Beschäftigten sowie die Rolle öffentlicher Investitionen in der kapitalintensiven Wasserstoffherstellung hervor. Simon erwartet enorme Umwälzungen der Industrie und im Energiesektor und plädiert im Anbetracht der gegenwärtigen sozialen und ökologischen Herausforderungen für eine grundlegende Umstrukturierung und Demokratisierung der Wirtschaft. Eine Grundlage des neuen Denkens müsse die Ent-Kommodifizierung von Arbeit sein, also das Ende der für den Kapitalismus zentralen Tatsache, dass dort Arbeit als wirtschaftliches Gut wahrgenommen wird. Dabei hat, so Jean-Claude Simon, die Internationale Arbeitsorganisation ILO bereits 1944 ihn ihrer wegweisenden Philadelphia-Deklaration im ersten Artikel klargemacht: „Arbeit ist keine Ware“. Simon geht davon aus, dass wir innerhalb des Marktes die riesigen gesellschaftlichen Ressourcen, die für den sozio-ökologischen Wandel nötig sind, nicht aufbringen können. Eine Demokratisierung der Wirtschaft muss sowohl die lokale Autonomie stärken, als auch, die regionale, nationale und europäische Demokratie. In einer ausdifferenzierten globalen Gesellschaft gibt es außerdem wirtschaftliche Prozesse, die öffentlicher und demokratischer Planung unterliegen sollten.
Die zweite Runde des Webinars wurde von Cornelia Ernst (DIE LINKE.) eingeleitet. Jetzt drehte sich alles um die Frage: „Wem gehört das Energiesystem?. Ernst erklärt, dass die sog. „Energiesystem Integration“ die Zukunft von Energie, Verkehr, Wohnen und dem gesellschaftlichen Leben nachhaltig verändern wird. Unter Energiesystemintegration verstehen wir eine ganzheitliche Betrachtung und Planung des Energiesystems, seiner Infrastruktur, der verschiedenen Energiequellen und -träger, um alle Ressourcen effizient zu nutzen und den Energiebedarf zu reduzieren. Ernst beklagt, dass Regionen, Kommunen und Bürger*innen von der Kommission bisher kaum berücksichtigt werden. Es gäbe auch keinerlei Fokus auf soziale Fragen bei den gegenwärtigen Vorschlägen der Kommission zu Reform des Energiesystems. Das will Ernst ändern, denn der Übergang zu einem neuen Energiesystem bietet neben Herausforderungen auch große Chancen für eine bessere Zukunft. Ein neuartiges integriertes Energiesystem auf der Grundlage erneuerbarer Energien und Digitalisierung eignet sich besonders für eine dezentrale Energieerzeugung und -nutzung. Dies wiederum kann sogenannte Energiegemeinden, Genossenschaften, Kooperativen, Eigenenergieproduzent*innen (Prosumer), Mieterstrom oder Prozesse der Re-Kommunalisierung begünstigen. Ernst macht klar, dass die Rede von der Brückentechnologie Erdgas Ideologie ist, es gibt schlicht und einfach keine Brückentechnologie. Einmal gebaut stehen die Infrastrukturen ein Leben lang. Außerdem ist die Verlockung groß, die Wasserstoffwirtschaft mit Hilfe von fossilem (grauen und blauen) Wasserstoff anzukurbeln, darin sieht sie eine Falle in die wir nicht tappen dürfen. Ernst hält fest, dass wir nur dann an eine Wasserstoffwirtschaft denken können, wenn wir auch zeitgleich die erneuerbaren Energien massiv ausbauen. Cornelia Ernst hält auch eine gezielte Industriepolitik für notwendig, damit die notwendigen Kapazitäten zur Produktion von Solar- und Windkraftanlagen und gute Industriearbeitsplätze zu schaffen.
Auch Molly Walsh (Friends of the Earth Europe, FoEE) gibt zu bedenken, dass die Wasserstoffstrategie von der Erdgaslobby vorangetrieben wird und zweifelt deshalb an der Nachhaltigkeit einer umfangreichen Wasserstoffwirtschaft. Als langjährige Aktivistin für Energiegemeinden (englisch: „energy communities“), konnte sie von unterschiedlichen Initiativen berichten, die zu einer sozial-ökologische Transformation im Energiesektor beitragen. FoEE ist seit Jahren eine der führenden europäischen NGOs im Feld der „Energie Demokratie“ und kann auf ein umfassendes Wissen auf diesem Feld zurückgreifen. Es gibt viele Arten der sozial-ökologischen Energieproduktion. Molly Walsh zog allerdings aus dem profunden Wissen von FoEE den Schluss, dass die Kooperation von städtischen öffentlichen Strukturen und Energiekooperativen sich als die beste Form der sozialökologischen Produktion, Verteilung und Konsumption von Energie erwiesen hat. Im Spätherbst 2020 hat FoEE dazu die große Publikation Community Energy: A practical guide to reclaiming power herausgebracht. Etwas zugespitzt formuliert können wir hier das beste beider Welten kombinieren: den ökologischen Antrieb von Bürger*innen mit den sozialen Unterstützungsmöglichkeiten, die die öffentliche Hand besitzt. Bei guter Zusammenarbeit wird die Demokratie in beiden Strukturen gestärkt: innerhalb der Kooperative und innerhalb der Stadt. Aus Schottland wusste Molly Walsh von einer Genossenschaft zu berichten die in Zusammenarbeit mit der Stadt Edinburgh Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden angebracht hat und die Profite nutzte, um die öffentliche Bibliothek energetisch zu sanieren und Bildungsprojekte zu finanzieren. In Spanien setzt sich eine feministisch geprägte Bewegung gegen Stromspeeren von Haushalten die unter Energiearmut leiden ein und in der Gemeinde Eeklo in Flandern konnten energiearme Haushalte mit Unterstützung der Stadt Teil einer Energiegenossenschaft werden und so ihre Stromkosten senken.
Auf die Vorträge der Referent*innen folgte eine angeregte Diskussion mit dem Publikum, die zu dem Ergebnis kam, dass eine Nachhaltige auf erneuerbaren Energien basiertes System kleinteilige, dezentralisierte und demokratisierte Energieproduktion begünstigt, die Bürger*innen und Gemeinden in die Lage versetzt soziale und ökologische Ziele zu erreichen.
In der Diskussion wurde aber herausgearbeitet, dass mit dem Wasserstoff im Gegensatz zu Photovoltaik- und Windenergie eine Technologie Einzug in unsere Energiesysteme hält, die keine „eingebaute Tendenz“ zur Demokratisierung aufweist. Während die Preise für erneuerbare Energien sinken und bereits mit geringem Kapitalaufwand angeschafft und betrieben werden können, sind die Elektrolyseanlagen zur Wasserstoff Herstellung teure, technisch anspruchsvolle und verhältnismäßig große Geräte die sich nur in seltenen Fällen für von Bürger*innen getragene Initiativen eignen. Wasserstoff ist also eine kapitalintensive Technologie, die Großunternehmen begünstigt, darum spielt die betriebliche Beteiligung von Gewerkschaften und den Beschäftigten hier eine noch größere Rolle als wenn wir Photovoltaik und Windenergie diskutieren. Ein wichtiges Feld der Auseinandersetzungen wird also die gesetzgeberische Regulierungsebene sowie die betriebliche Interessenvertretung sein. Auf die Frage wem gehört das Energiesystem der Zukunft gibt es also keine eindeutige Antwort, sondern vielmehr eine Vielzahl von Alternativen die auch Bürger*innen und Beschäftigten Handlungsmöglichkeiten in ihrem jeweiligen Umfeld ermöglichen. Wir haben gute Voraussetzungen für eine Demokratisierung des Energiesystems. Wie die vielen positiven Beispiele zeigen, kann es sich lohnen dafür zu streiten. Wir laden Sie herzlich ein sich die Videoaufnahmen des Webinars anzusehen um sich inspirieren zu lassen.