NATO-Gipfel offenbart auseinanderdriftende Interessen
Zum Verlauf des Londoner NATO-Gipfels erklärt Özlem Alev Demirel, stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments (SEDE):
„Weder der feierliche Auftakt noch die vorab vereinbarte ‚Londoner Erklärung‘ können darüber hinwegtäuschen, dass die NATO aktuell einer politischen Zerreißprobe ausgesetzt ist, deren Ursache in den immer weiter auseinanderdriftenden wirtschaftlichen Interessen ihrer großen Mitglieder liegt. Ein geradezu peinlicher Hinweis darauf ist die Tatsache, dass die Initiative des deutschen Außenministers Heiko Maas, eine Expertengruppe zu kreieren, die über ‚eine bessere politische Abstimmung der Partner‘ nachdenken solle, allen Ernstes in die Abschlusserklärung des Gipfels aufgenommen wurde. Eine solche ‚politische Abstimmung‘ findet eben angesichts der ambivalenten zwischenstaatlichen Beziehungen der verschiedenen Mitgliedstaaten nicht statt – und ist auch kaum noch erfolgreich möglich. Vielmehr hat der Jubiläumsgipfel in London erneut die bestehenden Konflikte innerhalb der NATO aufgezeigt.“
„Zu konstatieren ist:
- Die stattfindenden und angedrohten Handelskriege innerhalb der ‚westlichen Allianz‘ haben mittlerweile solche Ausmaße angenommen, dass sie Fragen der militärischen Zusammenarbeit zu beeinträchtigen beginnen.
- Die USA wollen nicht mehr der Großzahler einer Ordnung von internationalen Beziehungen sein, deren größter Profiteure nicht mehr sie selbst sind.
- Die Europäer, allen voran Deutschland und Frankreich, versuchen, die politische Krise in der NATO dazu zu nutzen, ihre eigene Rüstungsindustrie intensiv auszubauen. So will man den europäischen Konzernen astronomische Profite zuführen statt den US-amerikanischen. Erst vor einigen Tagen hat die EU der Europäischen Weltraumbehörde ESA ein Rekordbudget von 16 Milliarden Euro zugesagt.“
„In Zeiten wirtschaftlicher Flaute, drohender Wirtschaftskrise und abnehmender Profitraten sind all die Milliarden, die jetzt intensiv in die Rüstungsindustrie hineingesteckt werden, willkommene ‚Investitionen‘ für die großen europäischen Rüstungskonzerne. Doch weder das Ziel der NATO, die nationalen Rüstungshaushalte auf zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts anzuheben, noch die milliardenschweren europäischen Aufrüstungsprojekte sind die richtigen Antworten auf die heutigen Herausforderungen. Statt Milliarden in Aufrüstungsprojekten zu versenken, müssen diese Gelder in die öffentliche und soziale Infrastruktur investiert werden. Das wäre ein Beitrag für eine sichere Zukunft.“