Martinas Woche 30_2018
Brüssel – Berlin – Kiel: Handel ohne Demokratie – Breitbandausbau – Folgen von Asyl- und Sparpolitik vor Ort – Kiel ganz europäisch
Diesmal fangen wir die Woche von ihrem „Ende“ ein. Samstag, kurz nach Mitternacht steuerte Martina Berlin an. Sie kam vom Kieler Sommerfest, veranstaltet vom Kreisverband der LINKEN. Kurz nach 22 Uhr, irgendwo vor Prenzlau hielten wir an und bestaunten den Mond, der gerade wieder aus seinem Vollschatten hervortrat. Wir rekapitulierten die Woche, Junckers Selbstbeweihräucherung im Internationalen Handel, die Lage in Griechenland und wie wir Abstimmungen (Copyright und Digital Europe, 3. Beitrag) im September vorbereiten.
Europa vor Ort: Sommerfest im Kiel
Antonia Heckendorff hatte alles wunderbar vorbereitet. Mitten im schönen Schrevepark, am Schreventeich, intonierte nicht nur ein begabter Elvis-Imitator seine Songs, sondern machte sich auch eine wachsende Gruppe breit, die bei schönstem Sonnenschein, Lust auf politischen Debatten hatte und sich dazu eine Europaabgeordnete einlud. Immerhin, es war Freitagnachmittag. Neben Martina waren auch die beiden Schleswig-Holsteinischen Bundestagsabgeordneten, Cornelia Möhring und Lorenz Gösta Beutin, gekommen. Herzlich begrüßte der Kreisverband, vertreten durch Monika Kulas, die dann gleich, alle Klischees über den Haufen werfend, die perfekte Grillmeisterin gab. Gösta, der inzwischen selbst Mitglied im Kreisverband ist, übergab sofort an Martina und sie platzierte sich auf den Bierkisten, legte ihre Rede weg und erzählte von dem, was Medien in der Europapolitik gern verschweigen, von Niederlagen und Erfolgen und skizzierte damit deutlich, was die gesellschaftliche Linke und die LINKE noch vor sich hat, damit im kommenden Jahr vor den Europawahlen Stimmen der Vernunft für ein solidarisches Europa zu hören sind.
Überrascht waren viele, dass das Parlament längt einen Vorschlag für eine Dublin-Reform letztes Jahr vorgelegt hat, nur fasst ihn weder der Europäische Rat an, noch schreiben die Medien über diese demokratische Mehrheitsentscheidung des Parlaments. Wir verlinken deshalb hier noch einmal die Presserklärung zum letzten Regierungsgipfel von Cornelia Ernst, in der sie unter der Überschrift: „’Asylgipfel‘ der europäischen Egoisten – Regierungen ignorieren EP-Mehrheitsbeschluss“, nochmal auf diese unerträgliche politische Farce aufmerksam macht. Das sagt viel über den Zustand der Europapolitik innerhalb der Mitgliedsstaaten. Die Regierungen zeigen gern mit dem spitzen Finger auf Brüssel, doch genau dies ist derzeit eher Teil des Problem, weshalb Forderungen nach einem gestärkten Parlament mit echtem Initiativrecht das Mindeste sind. Anderseits stemmt ein Parlament gar nichts, wenn nicht ordentlich Druck aus der Zivilgesellschaft kommt, wie Martina am Beispiel der Abstimmungen zur Copyrightrichtlinie im Juli 2018 noch einmal nachzeichnete. Der Raum für die anschließenden Gespräche war eröffnet und füllte sich mit Fragen, Debatten, Positionen und Ideen. Vielleicht kann Martina bald auch eine Schulklasse aus Kiel in Brüssel begrüßen. Der Austausch ist dringend, wie ein Lehrer festhielt, der die mangelnde Information zur EU schon an den Schulplänen festmachen konnte. Martina freut sich schon auf eine Fortsetzung.
Juncker feiert sich selbst: Mehr Soja und mehr Flüssiggas statt Autozölle
Die einen feiern Junckers Verhandlungsgergebnis mit Trump, obwohl inzwischen der Katzenjammer auch den Mainstream erreicht hat. Die anderen halten die Zusagen für eine Atempause, besonders für die deutsche Autoindustrie und kritisieren den unübersehbaren „America first“-Ansatz. Martinas Kollege Helmut Scholz, Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel, spitzt die Kritik am Ergebnis, dessen politischen Gehalt und dem Zustandekommen zu: „Die ‚Sonderregelungen‘, die Trump und Juncker vereinbarten, sind nichts anderes als ein TTIP light.“, schreibt er in einem Kommentar. „Zweitens wurden das Europaparlament und insbesondere der Ausschuss für internationalen Handel (INTA) offensichtlich an der Nase herumgeführt. Denn dort hatte die Kommission solche Deals wie den jetzigen ausdrücklich ausgeschlossen. Ein neues Mandat für Verhandlungen sei notwendig. Dies zeigt auch, dass eine reale Mitsprache der Abgeordneten in Handelsfragen, wie sich schon bei TTIP, CETA und JEFTA zeigte, nicht erwünscht, weil unbequem ist.“ Das demokratische Defizit beim Zustandekommen der Verhandlungsergebnisse geht einher mit der Ignoranz gegenüber sozialen und ökologischen Massstäben, sowie Verbraucher*innenschutznormen und würgt damit schon im Ansatz eine Handelspolitik ab, die nicht nur den großen Playern und den hochentwickelten Weltregionen nützt. Damit verschärfen derartige Handelsdeals, die sich nicht nur gegen China und Russland richten, internationale Konfliktpotentiale statt Wege zu einer gerechteren Weltordnung zu stabilisieren.
EU-Fördermittel für Breitbandausbau
Wir haben in der letzten Wochenrückschau (vorletzter Beitrag) über den Fehlstart bei WIFI4EU berichtet. Hinter den nun hoffentlich wachsenden Möglichkeiten von städtischen WLAN und offenen Netzen in Gemeinden, steht zugleich die Frage der Netzinfrastruktur und auch da hapert es in einigen europäischen Regionen, obwohl die EU hier schon seit 2016 verstärkt Infrastrukturhilfen auflegt, allerdings im Rahmen des durchaus kritisch zu sehenden Europäischen Fonds für Strategische Investitionen (EFSI), der zugleich eine Privatisierung von Investitionen nach sich zieht und damit die Effekte nicht nur unkontrollierbar macht, sondern sich letztlich auch der dauerhaften demokratischen Kontrolle entzieht.
Unabhängig der Kritik, wollen wir nachschauen, wie es derzeit aussieht: Und man höre und staune – oder auch nicht – Deutschland ist beim Breitbandnetzausbau nicht gerade ein Vorreiter, weshalb sich die große Koalition das, was sie seit Langem aus europäischer Sicht tun soll, noch einmal in den Koalitionsvertrag schrieb und so tat, als ob sie den Breitbandausbau gerade selbst erfunden hätten. Auf unserem EU-Fördermittelportal berichteten wir in der vergangenen Woche über den Connecting Europe Broadband Fund (CEBF) und andere Finanzierungen für Breitband-Projekte, it denen über fünf Jahre immerhin mindestens eine Milliarde Euro mobilisiert werden sollten.
Griechenland: Musterland einer verfehlten Sparpolitik?
Gerade toben Feuer in Griechenland, die schon über 100 Menschenleben forderten. Es ist furchtbar und schockierend und wo wir können, wollen wir unseren griechischen Freundinnen und Freunden beistehen. Voller Hoffnung schaute man auf das Ende der absurden Troikapolitik, dass dem Land zusätzlich soziale Tiefschläge und Wirtschaftskraft kostete. Andererseits gehört das Land zu denen, die seit Jahren die unsolidarischen Dublinregelungen ausbaden und mit Menschen auf der Flucht auf den Inseln allein gelassen werden. Daran hat auch der unsägliche EU-Türkei-Deal wenig geändert.
Tsipras, der im September auch im Europäischen Parlament erwartet wird, übernahm persönlich die Verantwortung für die Folgen der über mehrere Tage unkontrollierten Brände.
Mein Kollege, Martin Schirdewan, fuhr in der vergangenen Woche nach Griechenland, um sich auf Lesbos die aktuelle Situation von Geflüchteten und den dort aktiven NGOs anzuschauen. Vor der Abreise betonte er nochmals, dass wir die humanitäre Katastrophe auf dem Mittelmeer nicht länger hinnehmen können.
Hinweis:
Martinas Woche geht ab heute in einen vierwöchige Sommermodus. Keine Sorge, wenn der Mond platzt, melden wir uns auch aktuell zu Wort, geben Hinweise und Hintergrundinformationen. Andererseits müssen wir Vieles für den Herbst vorbereiten, sitzen an Artikeln und Publikationen und haben eine Büroklausur am 28.8. geplant. Deshalb werden wir in den vier folgenden Ausgaben„best of“-Beiträge aus dem vergangenen Jahr kommentieren und Literaturtipps einstellen.
Also: Lasst euch überraschen!