Martinas Woche 46_2017
Strasbourg – Berlin: Regionalpolitik – Brexit – Medienfreiheit – 100 Jahre Oktoberrevolution – EU-Asylpolitik – neue Gesichter – neue Termine
Kaum in Straßburg angekommen, begann am Abend eine Sondersitzung des EP-Regionalausschusses REGI. Dienstagmittag wurde der LUX-Film-Preis 2017 vergeben. Abends kam der EU-Chefverhandler für den Brexit, Michel Barnier, in unsere Fraktion. Und gern hätte Martina die Aktuelle Stunde (‚Topical Debate‘) am Mittwochnachmittag dazu genutzt, Europas Geschichte für die Bewältigung aktueller Herausforderungen zu befragen. Doch es gibt Stöckchen, über die niemand springen muss. Deshalb entschied sie sich, gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen, einer Aktuellen Stunde fern zu bleiben. Am Donnerstag stimmte das Parlament einem Mandat zum Verhandeln über die Reformierung der EU-Asylpolitik zu. Wir begrüßen einen neuen Kollegen und haben Tipps für Veranstaltungen in Berlin.
Zukunft der Regionalpolitik im Parlament und im Ministerrat
In Straßburg angekommen, begann gleich nach der Plenumseröffnung und der Fraktionssitzung am Montagabend eine Sondersitzung des Regionalausschusses REGI. Die Kommissarin Corina Crețu war gekommen, um 500 Millionen Euro für die Jugendgarantie in einem Sonderverfahren – ohne Änderungsanträge – auf den Weg zu bringen, weil dies bis Dezember entschieden sein muss. Einerseits: Wer will sich angesichts der Jugendarbeitslosigkeit in Europa dieser Mittelzuweisung in den Weg stellen? Andererseits bergen solche aktionistischen Arbeitsweisen auch Risiken, denn das Parlament ist damit seiner demokratischen Rechte beraubt, die Ausgestaltung konkreter mitzubestimmen. Diese Crux wurde in der Debatte entsprechend deutlich ausgesprochen. Solche hausgemachten Demokratiedefizite sind letztlich unnötig. Zugleich machte Kommissarin Crețu mit einfachen Worten auf eine unheilige Praxis der Kommunen in den Mitgliedsländern aufmerksam, indem sie zuspitzend formulierte: „Wenn Mittelzuweisungen gut geklappt haben, dann war es am Ende das Werk des örtlichen Bürgermeisters, geht etwas schief, dann war es EU.“ So ganz unbekannt ist uns diese Praxis leider nicht, denn zumindest in der Kommunikation in den Kommunen kann man immer wieder feststellen, dass viele Bürgerinnen und Bürger gar nicht wissen, wo in ihrem Alltag Gelder aus den Kohäsionsfonds verborgen sind, vom Fahrradweg bis zur Wirtschaftsförderung. Gut wäre es aber, wenn die Transparenz größer wäre, denn die Debatte um die Zukunft der Kohäsionspolitik läuft gerade auf Hochtouren, wie Martina Michels und Nora Schüttpelz in einem Bericht vom Ministerrat, der am Mittwoch tagte, darstellen. Dazu hatte Martina auch ein Pressestatement herausgegeben. Denn wenn, wie beim Brexit, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird und die Kohäsionspolitik anderen Schwerpunksetzungen geopfert wird, dann wird auch das Rückgrat der Demokratie, die öffentliche Daseinsvorsorge vor Ort, darunter zu leiden haben. Das ist dann letztlich auch ein Schlag ins Kontor eines kritischen und zugleich produktiven europapolitischen Denkens, das wir 2019 zu den Europawahlen so konkret wie möglich brauchen, wenn wir Rechtspopulisten, die entgegen ihrer nationalstaatlichen Rückzugsideologie europäisch sehr gut vernetzt sind, stoppen wollen.
The winner is… Samiblood: LUX Film Preis 2017 vergeben
Ein doppelter Außenseiter gewann in diesem Jahr den Lux-Film-Preis. Der ruhige Film mit den biografischen Rückblenden einer Sami und ihrer Schwester setzt in einfachen und zugleich harten Szenen Diskriminierung und Rassismus in Szene. Die Schauspielerinnen verwiesen in ihrer kurzen Dankesrede darauf, dass das „Wir“ und „Die“-Denken überall der Vergangenheit angehören sollte. Auch die anderen nominierten Filme sind beeindruckend: Einer porträtiert eine Gruppe aus Paris, die sich gegen die Diskriminierung von HIV-Positiven einsetzt.
BPM (Beats per Minute), ein anderer, Film versetzt deutsche Arbeiter in Bugarien eine modernen Western. Unser Bericht zur Preisverleihung ist hier zu finden.
Brexit: Michel Barnier in der Fraktion zu Gast
Eine interne Debatte war vereinbart. Viele Fragen wurden gestellt und durch Barnier gleichsam nochmals verdeutlicht, dass es zuerst um die Garantie der Grundrechte von über vier Millionen Menschen in den Brexit-Verhandlungen geht, Briten, die in der EU leben und EU-Bürger*innen aus anderen Mitgliedstaaten, die in Großbritannien leben. Auch die Wahrung des Karfreitagsabkommens ist auf dem Schirm der EU-Interessen. Gabi Zimmer hat die Beratung kommentiert. Am nächsten Tag, als sich eine Abgeordnete aus dem rechtskonservativen Lager im Parlament beschwerte, warum Barnier zu den Linken geht, während sie ihm noch nie begegnen durfte, wusste das ganze Haus von dem Arbeitstreffen. Ein wenig hat uns das dann doch amüsiert, denn solche Ansinnen, mit Barnier Tacheles zu reden, muss die empörte Abgeordnete letztlich mit ihrer Fraktion klären, statt sich im Plenum zu mokieren.
Aktuelle Stunde: ‚Das Erbe der totalitaristischen bolschewikischen Revolution von 1917′
Ursprünglich hatte Martina Redezeit für diese ‚Topical Debate‘ (= Aktuelle Stunde im EP) beantragt. Doch sie hat sich letztlich anders entschieden und blieb der Debatte bewusst fern. Damit war sie nicht allein, auch die deutschen Sozialdemokraten und anderen Delegationen und Abgeordnete unserer Fraktion, wie Barbara Spinelli, trafen dieselbe Entscheidung. Hier ist Martinas Begründung, die sie im Auftrag der Delegation formulierte, warum man nicht über jedes Stöckchen springen muss, wenn die Konservativen bzw. Christdemokraten eine ideologisierte Geschichtsstunde abhalten wollen, die zur De-Legitimation historischer Ereignisse und deren Nachfahren einladen soll. Irgendwie ist den Konservativen und ihren besonders rechtausladenden Freunden nicht einmal aufgefallen, dass Putin selbst nicht an die Oktoberrevolution erinnern will und sie damit alle mit Putin im gleichen Fahrwasser schwammen, wenn auch mit verschiedenen Begründungen. Etwas eigenwillig zusammengefasst im ersten Aufsatz der Extraausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) ist besonders dieser Aspekt nachlesbar. Andererseits war das Ganze dann die erwartete Lehrstunde eines modernen Populismus‘. Wer sich die eskalierende Debatte antuen will, kann das u.a. hier tun.
Reform der gescheiterten EU-Asylpolitik: Dublin IV – Der Trilog beginnt
Am Donnerstag stimmte das Parlament über ein Verhandlungsmandat des EP-Innenausschusses (LIBE) ab, um die Reform der Dublin-Verordnung weiterzutreiben. Die krudesten Vorstellungen der Kommission, die eine Art Vorsortierung (Aussortierung) vorm Stellen des eigentlichen Asylantrag erfunden hatte, sind vom Tisch. Es gibt beim Familiennachzug weitreichende Überlegungen, doch die Verhandlungen zwischen den gesetzgebenden EU-Institutionen beginnen gerade erst. Wir müssen genau begleiten, was nun von den Mitgliedstaaten kommt. Cornelia Ernst war Schattenberichterstatterin im LIBE-Ausschuss für die GUE/NGL und positionierte sich positiv zum Ausschussergebnis und der Abstimmung im Plenum. Euractiv hatte nochmals zusammengefasst. Kritische Stimmen zum Verhandlungsangebot des Parlaments kommen von ProAsyl, die zugleich natürlich auch den verschärften Kommissionsvorschlag vehement ablehnen.
Martin Schirdewan kommt in unsere Delegation als Europaabgeordneter
…und die sozialen Netzwerke freuen sich mit. Nachdem Martinas Kollege, Fabio De Masi, in den Bundestag eingezogen ist, kommt nun Martin Schirdewan, der zuvor die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Brüssel vertrat, ins Parlament als Europaabgeordneter. Martina geht begeistern davon aus, dass mit Martin Schirdewan auch die Regional- und Strukturpolitik einen Mitstreiter mehr bekommt, denn Martin hatte dieses Themenfeld schon in der Vergangenheit aus der Perspektive ostdeutscher Länder beackert.
TIPP: Veranstaltungen zur Medienfreiheit am 8. Dezember 2017 in Berlin, im Europäischen Haus, im Europäischen Salon beim ND und in einer Abendveranstaltung im Café Sibylle
Detaillierte Infos zum Programm und zur Anmeldung sind hier zu finden.