Ein Bericht über die Ukraine-Reise von Dr. Cornelia Ernst, Europaabgeordnete DIE LINKE.

Vom 06.07.2017 bis zum 10.07.2017 wurde ich von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sowie mehreren linken Aktivist*innen in die Ukraine, in die Nähe von Kiew, eingeladen um mir ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.

Die Berichte über den momentanen Zustand des Landes sind, egal aus welcher Sicht, eher einseitig ausgelegt und vermitteln lediglich oberflächliche Kenntnisse. Darum wurde es Zeit, sich selbst der Sache anzunehmen und zu ergründen, wie es um die gesellschaftliche Situation des Landes bestellt ist, besonders aus linker Sicht.

Donnerstagnacht angekommen ging es auch schon Freitag morgen los. Zwei junge Aktivist*innen der Parteiorganisation Soziale Bewegung, welche wir dort ideell unterstützen, führten uns durch das links politische Kiew und in die jüngste Geschichte des Landes ein. Wir wurden über den Maidan geführt, welcher 2014 Mittelpunkt des politischen Umsturzes war und durch weitere Teile der Stadt in denen die Anwendung des Gesetzes zum Verbot kommunistischer Symbole zum Vorschein trat. Dieses Gesetzt macht Schluss mit der alten Symbolik und versucht somit einen entscheidenden Teil der ukrainischen Geschichte auszublenden. So wird beispielsweise die öffentliche Zurschaustellung von Hammer und Sichel mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft.

Danach trafen wir uns mit einem jungen Aktivisten, der uns über die ständige Bedrohung von Rechts und Repression berichtete. Selbst Opfer eines Überfalls geworden, sprach er über die Untätigkeit der dortigen Strafverfolgungsbehörden und über seine Pläne, in Deutschland politisches Asyl zu beantragen, wobei wir ihn tatkräftig unterstützen werden. Über weitere Besuche, in einem linken Kulturzentrum und einer Demonstration der ultra-rechten Partei Swoboda, gelangten wir zu unserem letzten Termin dieses Tages: zum Treffen mit der Parteiorganisation Soziale Bewegung. Aus einer Graswurzelbewegung entstanden, haben sie sich zum Ziel gesetzt, eine Partei zu werden, die die Interessen der Menschen in der Ukraine vertritt. Zum Verständnis: Es gibt in der Ukraine keine staatliche Parteienfinanzierung, sondern diese werden von den dortigen Oligarchen finanziert. Dies will die Soziale Bewegung nicht. Zudem weist diese junge Organisation ein Parteiprogramm auf, welches zu 80 % dem Unsrigen entspricht. Ein Grund mehr diese Struktur zu unterstützen.

Durch das oben genannte Gesetz gelähmt, kommt noch ein entscheidender Punkt für linke Aktivist*innen hinzu. Sobald sie Kritik am Staat ausüben, auch wenn sie lediglich den Krieg in der Ostukraine kritisieren, gelten sie als pro-russische Separatist*innen. Der Staat argumentiert nur schwarz und weiß. Bist du nicht für uns (national eingestellt), bist du gegen uns (für den Verlust der Gebiete im Osten). Dieser Nationalismus setzt sich wie Feinstaub in der ukrainischen Gesellschaft ab und macht es sehr schwer, sich linkspolitisch zu betätigen. Eine Lösung dafür sei es, zuerst die soziale Ungleichheit im Land zu beenden und dann den Krieg, so die Soziale Bewegung.

Der Samstag stand im Zeichen der Rosa-Luxemburg-Stiftung. In deren Räumen fanden den gesamten Tag über diverse Treffen statt. Zuerst trafen wir Juri, welcher ein Minenarbeiter und  Gewerkschaftsführer in Krivoy Rig (Krivij Rih) ist. Er berichtete über den Kampf der Arbeiter*innen in der Minenstadt, welche inzwischen 10 % des Bruttoinlandprodukts der Ukraine ausmacht. Hierbei tat sich eine weitere Gelegenheit zur Hilfe auf: Es ist zu erwähnen, dass die Minenarbeiter*innen lediglich mit 150 € pro Monat abgespeist werden, während die Tochter des Eigentümers der Mine für 64 Miollionen Euro in Versailles heiratet. Juri möchte durch eine Studie in Erfahrung bringen, wo die Gewinne des Unternehmens hingehen, da diese anscheinend nicht bei den Angestellten landen. Dabei sind wir selbstverständlich bereit zu unterstützen.

Nachfolgend fand ein Treffen mit Queer-Aktivist*innen statt (Homo-, Les, Bi-, Transsexuelle Menschen), welche uns über den Stand der Minderheitenrechte und deren tägliche Arbeit informierten. Auch hier stellte sich heraus, dass der Krieg im Osten selbst durch diese Szene geht und ein Großteil der Minderheiten selbst national eingestellt ist. Von den Anwesenden, bei diesen Treffen, wird dies abgelehnt. Die geschilderten Erlebnisse der Aktivist*innen lassen eher auf eine sich verbessernde, aber desolate Situation für Minderheiten schließen. Der Aktivismus ist immer noch gesprägt von Übergriffen und Ablehnung. Es ist aber beachtens- und unterstützenswert das diese Menschen ihre Arbeit weiterführen. Nach diesem Treffen erhielten wir eine Führung durch die Holocaustgedenkstätte Babyn Jar, in der am 2. Oktober 1941 innerhalb von 36 Stunden 33.771 Juden getötet wurden. Die endgültige Anzahl der Opfer ist jedoch weitaus höher und unter den Ermordeten befanden sich auch weitere Menschen, beispielsweise Roma.

Der Sonntag verlief etwas entspannter, begann und endete, mit einem Treffen zwischen uns und Amnesty International, aktiv in der Ukraine gegen Menschenrechtsverletzungen. Neben einer weiteren Beschreibung der Situation von Queer-Aktivist*innen kam die Beschreibung des Klerus‘ hinzu, der in der Ukraine mafiöse Strukturen annimmt und sich auch ähnlich der Mafia verhält. Neben den Privilegien, wie zollfrei Waren einführen zu können, unterhält die Kirche eigene Betriebe und ist mit einem ‚Ausschuss für moralische Fragen‘ im Parlament vertreten, der Einfluss auf Gesetze nimmt. So wurde zum Beispiel die Umsetzung der Istanbulkonvention (aus 2011: Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) an den Ausschuss verwiesen, der nun die Umsetzung derart verwässert, dass dies noch internationale Gerichte beschäftigen wird.

Alles in Allem vermittelte die Reise einen realistischen Eindruck des momentanen gesellschaftlichen Zustandes des Landes. Vom Krieg und einer ohnmächtigen und nationalistisch agierenden Regierung gezeichnet, versuchen junge Linke das Land und die Gesellschaft in einer positiven Art und Weise zu formen, welches aber momentan ein Ding der Unmöglichkeit darstellt. Dazu bedarf es unserer Unterstützung. Und diese werden wir geben, so wie sie es erachten.