Mit freundlichem Desinteresse aus den EU-Hauptstädten: Erdoğans nächster Coup
Heute Vormittag fand sich die erwartete Mehrheit im türkischen Parlament, um gut einem Viertel der Abgeordneten ihre parlamentarische Immunität zu entziehen. Dazu erklärt Martina Michels, stellvertretendes Mitglied in der EU-Türkei-Delegation des Europaparlaments:
„Mit der Aufhebung der Immunität oppositioneller Abgeordneter erklärt Erdoğan jetzt auch den parlamentarischen Widerstand zu Freiwild und eröffnet das nächste Kapitel in seinem Krieg gegen alle, die nicht für ihn sind. Die Entscheidung zugunsten des AKP-Vorschlags mit einer zwei Drittel Mehrheit kam zwar nicht überraschend, doch bleiben Konsequenzen durch die europäischen Hauptstädte trotzdem aus – sie sehen nichts, hören nichts und sagen nichts: das ist unverantwortlich, kurzsichtig und unwürdig!“, so die Europaabgeordnete.
„Die EU deckt Ankara den Rücken, während Erdoğan seinen perfiden Feldzug gegen jegliche Opposition im Inland fortführt und ausweitet. Mit der Aufhebung der Immunität setzt er besonders die Abgeordneten der pro-kurdischen und linken Partei im türkischen Parlament, der HDP, einer neuen Gefahr um ihr Leben aus, indem er seine hetzerischen Verleumdungen und haltlose Terrorismus-Definition nun auch parlamentarisch „legitimiert“.“
Martina Michels abschließend: „Nach dem Krieg, der Verfolgung und der Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung, der Zivilgesellschaft und der Pressefreiheit, zerschlägt Erdoğan nun auch das parlamentarische Feigenblatt seiner Allmachtsfantasien. Trotzdem war dieser Schritt für Erdoğan nur eine weitere Etappe auf dem Weg zur Verfassungsänderung und seinem Totalzugriff auf die Türkei. Die EU und vor allem ihre Mitgliedstaaten machen sich erneut historisch schuldig wenn sie weiterhin ignorieren, was sich am Nadelöhr zwischen der EU-Außengrenze und den Kriegen in Syrien und der Südost-Türkei abspielt.“