Gestern tagte der EU-Türkei-Sondergipfel in Brüssel. Er konnte keine Beschlüsse fassen, aber den Verhandlungsstand fixieren, mit dem die Mitgliedstaaten in den Ratsgipfel am 17. und 18. März 2016 gehen. Die EU hat neue Forderungen der Türkei auf dem Tisch. 

Sie will mindestens 6 Mrd. Euro für die Integration ihrer 2,7 Millionen Flüchtlinge im Land und besondere Regelungen und Finanzierung der Rückführung von Flüchtlingen, sowie  eine beschleunigte Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen. 

Martina Michels, stellvertretendes Mitglied in der Delegation EU-Türkei, die im vergangenen Jahr viermal in der Türkei war, davon dreimal in Diyarbakır und zweimal zur Wahlbeobachtung, kommentiert Ergebnisse des Sondergipfels.

„Gestern betonte Parlamentspräsident Schulz in einem Schreiben an die Mitglieder des Europaparlaments, dass die Lösung der Flüchtlingsfrage nicht mit den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vermischt werden darf. Doch genau das ist erneut geschehen, auch wenn dies in den Dokumenten nicht widergespiegelt wird. So lange die EU-Institutionen und die Mitgliedsländer sich auf diesen Ablasshandel bei der Lösung der Flüchtlingsfrage einlassen, bestimmt die Türkei die Preise.

So lange nichts weiter als Regulationspakete geschnürt werden, die sich auf die aktuellen Flüchtlingsbewegungen beziehen und die am Ende doch nicht umgesetzt werden, bringt dieser Zugang, der nun auf 20.000 weitere Flüchtlinge pro Jahr, die zwischen den Mitgliedsländern aufgeteilt werden sollen, vorn und hinten nichts. Im September 2015 hatten sich die Mitgliedstaaten darauf geeinigt, dass 160.000 Flüchtlinge in dieser Weise ein neues Zuhause finden sollten und gerade einmal für 400 Menschen gelang dies. Zugleich irrten längst über 1 Million Menschen auf der Flucht durch Europa. Inzwischen ist die Balkanroute verstopft, Griechenland allein mit vielen Asylsuchenden und Osteuropa klinkt sich aus einer gemeinsamen Lösungen per se aus, während Österreich und Schweden, die noch letzten immer mit Deutschland gemeinsam die Grenzen offen hielten, ihre Grenzen dicht gemacht haben.“ 

Martina Michels erörtert weiter: 

„Es gibt keinen einzigen Vorschlag zur Eindämmung von Fluchtursachen und damit hat die Türkei auf Jahre hinaus, die Regulierung von Fluchtbewegungen in Europa wie ein Faustpfand für Forderungen gegenüber der EU in der Hand. „Zurück zu Schengen“, was immer noch bis Ende das Jahres das große Ziel ist, kann und wird nicht funktionieren, wenn auf der anderen Seite nur eine Abschottung Europas steht und die NATO in der Ägäis begrüßt wird. Dorthin gehören Seenotrettung und medizinische Hilfe, ein menschenwürdiger Empfang bei der Registrierung und Antragstellung, aber keine NATO.

Die Türkei zum Türsteher dieser wirkungslosen Flüchtlingspolitik zu machen, ist nicht nur abenteuerlich aufgrund der repressiven Innenpolitik und der Rolle der Türkei im Syrienkrieg, dieser Zugang ist auch völkerrechtlich fragwürdig. Die Genfer Flüchtlingskonvention wird von der Türkei nicht in voller Gänze anerkannt. Wenn dies für Europa der Vertragspartner für die Auslagerung der eigenen Versäumnisse ist, macht sich die EU mitschuldig an jedem Syrer, der an der türkischen Grenze erschossen wird.“

Abschließend ergänzt Martina Michels:

„Ob drei oder sechs Mrd. Euro für die Türkei, ist angesichts der 1,6 Billionen Euro für die Bankenrettung letztlich nicht die entscheidende Frage, sondern ob die EU noch gemeinsam eine humane Flüchtlingspolitik zustande bekommt und umfassend das Grundrecht auf Asyl garantiert oder ob sie auf Kosten der Menschenrechte diesseits und jenseits des Mittelmeeres so lange weiterwursteln will, bis sie sich selbst demontiert hat. Angesichts der Lage in Syrien und der großen Flüchtlingscamps im Libanon und in Jordanien, sollte die EU, sollten die Mitgliedstaaten endlich einen anderen Weg einschlagen und das Sterben im Mittelmeer beenden und endlich Fluchtursachen bekämpfen.