Ohnmacht gegenüber den Regierungen
Die LINKE-Europaabgeordnete Cornelia Ernst zur EU-Flüchtlingspolitik und den Kampf des Kommissionspräsidenten um eine Verteilungsquote
Die Bemühungen um eine »gerechte Verteilung« der Flüchtlinge in der EU kommen kaum voran – für die Europaabgeordnete Cornelia Ernst muss die Migrations- und Asylpolitik auf eine »völlig andere Basis« gestellt werden.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kommt mit seinen Bemühungen um eine »gerechte Verteilung« der Flüchtlinge in der EU kaum voran. Schon seine»State of the Union«-Rede hatte er zu einer scharfen Kritik am Zustand der EU gemacht. Scheitert Juncker mit seinen Vorschlägen?
Es ist realistisch zu sagen, dass die EU in keinem guten Zustand ist. Und das hat Juncker ganz konkret an der Flüchtlingsfrage festgemacht. Der andere Punkt aber ist: Juncker ist nicht konsequent, er bleibt auf halbem Wege stehen. Er redet von Zahlen, von Flüchtlingen, die gerecht auf die EU-Staaten verteilt werden müssen. Aber es geht nicht um Zahlen, sondern um Menschen. Wenn zwischen »guten« und »schlechten« Flüchtlingen unterschieden wird, wenn die Liste sogenannter sicherer Staaten erweitert werden soll, wenn zum Beispiel in afrikanischen Ländern eine »Vorauswahl« von Flüchtlingen betrieben wird, ist das keine Lösung des Problems, sondern nur eine Verschiebung. Letztlich geht es darum, die Migrations- und Asylpolitik der EU auf eine völlig andere Basis zu stellen.
Das geht aber nur mit den Staaten selbst.
Das ist richtig, und man merkt dem Kommissionspräsidenten die Ohnmacht gegenüber den Regierungen an. Wenn die EU in dieser Frage keinen Konsens zustande bringt, der menschenwürdig ist, dann frage ich mich, ob die EU als Gemeinschaft noch eine Zukunft hat.
Die Linksfraktion hat ein eigenes Papier zur Flüchtlingspolitik vorgelegt. Was sind die Kernpunkte?
Nach unserer Auffassung muss es vor allem legale Wege für Flüchtlinge in die EU geben und dafür muss ein dauerhafter Mechanismus geschaffen werden. Und wenn es um die Verteilung von Flüchtlingen geht, wollen wir, dass auch familiäre und verwandtschaftliche Zusammenhänge berücksichtigt werden. Es macht keinen Sinn, beispielsweise einen Syrer nach Estland zu schicken, wenn er seine ganzen Verwandten in Paris hat. Natürlich ist das kompliziert, aber man muss es versuchen. Zudem muss Staaten wie Libanon oder Jordanien, die Zehntausende Flüchtlinge aufgenommen haben und aufnehmen, sofort geholfen werden. Diese Länder schaffen es nicht allein, eine menschenwürdige Unterbringung der Kriegsvertriebenen zu gewährleisten. Daneben haben wir in unserem Papier noch eine Reihe anderer Punkte angesprochen, wie die Einführung von Arbeitsvisa für Menschen, die aus wirtschaftlicher Not nach Europa kommen.
Das ist aber mehr als Asylpolitik.
Ja, wir brauchen nicht nur eine Asylpolitik, die diesen Namen auch verdient, sondern ebenso ein tragfähiges Einwanderungskonzept. Und dafür einen europäischen Rahmen. Das muss mit einer reformierten Entwicklungszusammenarbeit verknüpft werden, die Fluchtursachen vor Ort bekämpft. Da liegen die meisten europäischen Staaten weit hinter den Notwendigkeiten zurück.
Welche Chance hat das Konzept der Linksfraktion, in die reale Politik einzufließen?
Die sind ja größer, als ich dachte. Es gibt ja sogar schon bei Merkel – wenn auch vorsichtige – Tendenzen, das Dublin-System in Frage zu stellen. Dieses Dublin-System muss weg, sonst ist eine vernünftige und menschenwürdige Flüchtlingspolitik in Europa nicht zu machen.