Die EU muss endlich das Finanzsystem reformieren. Dafür ist es nötig, dass mehr Abgeordnete den Lobbyisten widerstehen.

Gastbeitrag von Fabio De Masi, Philippe Lamberts und Marco Zanni

Wir schlagen Alarm. Sieben Jahre nach Beginn der heftigsten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1920er Jahren ist eine Mehrheit europäischer Politiker dabei, die wichtigste Reform der Europäischen Union (EU) im Finanzsektor endgültig zu begraben: eine Trennung riskanter Kasinogeschäfte vom seriösen Kredit- und Einlagengeschäft.

Den europäischen Bankensektor dominieren nach wie vor wenige „systemische“ Institute. Diese sind so groß, komplex und zu eng verflochten, dass weder Bankvorstände noch Aufseher oder die Politik in der Lage sind, die Risiken zu überblicken, die von ihnen für das Finanzsystem und Europas Volkswirtschaften ausgehen. Viele dieser Banken sind größer als etliche Ökonomien Europas. Der Kollaps einer einzelnen Mega-Bank könnte nach wie vor die EU-Wirtschaft in einen Abwärtsstrudel reißen. Somit sind auch politische Versprechen, wie von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der G20, nach denen Steuerzahler nie wieder für die Risiken der Finanzwirtschaft haften sollen, entweder eine bewusste Täuschung oder leichtsinnig.

Die Mega-Banken sind seit drei Jahrzehnten weitaus schneller gewachsen als die Wirtschaft. Dahinter steht kaum realwirtschaftliche Aktivität, sondern vielmehr Spekulation mit Verbriefungen und Derivaten sowie eine immer größere Schuldenfinanzierung. Ein starker Finanzsektor mit kundenorientierten Dienstleistungen im Kredit- und ergänzend auch Kapitalmarktbereich ist wichtig für die Finanzierung von Investitionen. Die meisten Studien zeigen jedoch: Sobald der Finanzsektor zu groß wird, schadet er dem Wachstum.

Mega-Banken betreiben sowohl spekulative Handelsgeschäfte auf eigene Rechnung als auch traditionelle Geschäfte im Kundenauftrag. Dies hat gefährliche Nebenwirkungen. So wirken Spareinlagen der Bankkunden als günstige Finanzierungsquelle für das Kasino. Dadurch haben Mega-Banken einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Instituten und ihre Spielbuden können ein höheres Risiko eingehen. Zudem fungieren die Handelssparten als Paketzentrum für verpackte und verbriefte Kundenkredite, wodurch ein Anreiz entsteht möglichst viele solcher Kredite auch an weniger solvente Kunden zu vergeben. Die implizite Garantie der Steuerzahler ist eine Subvention für spekulative Geschäfte, die den Banken bei eigener Haftung häufig zu riskant wären. Die wahren Gegner der Marktwirtschaft heißen daher BNP-Paribas, Deutsche Bank & Co.

Eine effektive Bankentrennung hingegen würde das Finanzsystem transparent machen, es stärker an der Realwirtschaft ausrichten und gegenüber systemischen Risiken absichern. Die klare Trennung kundenorientierter Kernbankgeschäfte, welche nach wie vor durch den Staat geschützt wären, sowie spekulativer Handelsgeschäfte, die nun ohne Subventionen auskommen müssten, wäre ein Gewinn für unsere Volkswirtschaft, Kunden und Steuerzahler. Zudem wäre eine solche Regulierung weniger komplex und böte den Aufsehern mehr Rechtssicherheit gegen die smarten Juristen der Mega-Banken sowie den politischen Druck aus Europas Hauptstädten. Der Glass-Steagal Act unter US-Präsident Roosevelt umfasste beispielsweise etwas mehr als 30 Seiten und schuf klare Regeln, während die EU-Gesetzgebung zu Banken Tausende Seiten umfasst.

Im Januar 2014 machte die damalige EU-Kommission einen Vorschlag. Dieser sah zwar keine automatische Trennung aller Mega-Banken vor, hätte den Aufsichtsbehörden für die größten Institute aber kaum eine andere Wahl gelassen. Statt diesen Vorschlag weiter zu stärken, knickten im Laufe der Beratungen immer mehr Europaabgeordnete sowie Regierungen im Europäischen Rat unter dem Druck der Finanzlobby ein.

Die Argumente gegen ein Trennbankensystem sind nicht neu. So gefährdet es angeblich die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Banken. Diese nützt allerdings wenig, wenn die gleichen Institute eine Gefahr für unsere Volkswirtschaft darstellen. Zudem haben es gerade auch Banken mit regionalem und klassischem Geschäftsmodell (wie die Sparkassen) besser durch die Finanzkrise geschafft und die Kreditvergabe weniger eingeschränkt. Zudem wird behauptet, die weitere Regulierung von Mega-Banken würde die Kreditvergabe einschränken. Auch dies ist fadenscheinig. Es war die Instabilität des Finanzsystems, welche die Krise befördert hat. Zudem fehlt es nicht an Liquidität, sondern an Investitionsbereitschaft und Kreditnachfrage wegen der Kürzungspolitik in Europa.

Zeit und Vergesslichkeit sind das größte Risiko für die Regulierung der Finanzmärkte. Wenn nun Mega-Banken als Lösung für Europas Probleme gefeiert werden, scheint vergessen, dass sie uns bisher schon sieben Jahre Wachstum und Millionen Jobs gekostet haben. Abgesehen von den 1,6 Billionen Euro Kosten für die Rettung der Finanzmärkte. Darauf blieb die öffentliche Hand sitzen und die Kürzungspolitik hat die Krise seitdem verschärft.

Eine echte Bankenreform ist weiter möglich. Am 26. Mai haben Liberale und Konservative die Abstimmung im Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments verloren und die Annahme einer verwässerten Version des Kommissionsvorschlags wurde verhindert. Nun kommt es zu neuen Verhandlungen. Wir und unsere Fraktionen werden dafür kämpfen, eine Mehrheit für eine echte Reform zu gewinnen. Dafür müssen aber mehr Abgeordnete den Lobbyisten widerstehen und für einen Bankensektor im Interesse der Allgemeinheit und der Realwirtschaft streiten.

Fabio De Masi, Philippe Lamberts, Marco Zanni sind Europaabgeordnete. De Masi ist bei der Links-Partei, Lamberts bei den Grünen in Belgien, Zanni bei der 5-Sterne-Bewegung in Italien.

Der für die Frankfurter Rundschau verfasste Gastbeitrag findet sich außerdem hier