In Flüchtlingsfrage muss Merkel konkreter werden

Am Mittwoch hat Bundeskanzlerin Merkel im Europaparlament eine einheitliche Flüchtlingspolitik beschworen. Hinter den Kulissen gibt es aber widersprüchliche Töne. Die linke EU-Parlamentarierin Cornelia Ernst sagt nun: „Manche Debatten sind verheerend“. Sie fordert einen konkreteren Plan der Kanzlerin. Ein Interview.

Frau Ernst, im Europaparlament hat Kanzlerin Merkel noch einmal vehement die Einheit der Europäer in der Flüchtlingsfrage beschworen. Nur gemeinsam könne man die Krise meistern. Wie haben Sie die Rede wahrgenommen?

Ganz allgemein ausgedrückt, hat sie damit natürlich Recht. Es kann nicht sein, dass sich einzelne Länder ausnehmen. Aber man muss die ganze Wahrheit aussprechen, die momentan läuft. Es wird beispielsweise jetzt darüber geredet in der Flüchtlingsfrage für 400.000 Menschen gegebenenfalls die Genfer Flüchtlingskonvention auszusetzen. Das wird also nicht gesagt. Es ist also immer nur die Hälfte, die dargelegt wird. Natürlich muss man gemeinsam agieren, aber man muss auch deutlich machen, worum es geht. Es geht um Humanität gegenüber Flüchtlingen. Und da waren die Dinge in der Rede von Frau Merkel nicht konkret genug.

Sie haben es gerade angesprochen: Was geschieht denn hinter den Kulissen? Worüber wird im Verborgenen gesprochen, was in der Öffentlichkeit wenig auftaucht?

Es ist natürlich richtig, wenn die Kanzlerin sagt, man kann nicht einfach einen Aufnahmestopp verordnen, die Grenzen dichtmachen. Es ist falsch, wenn man nun daran geht, über die Innenministerkonferenz doch Begrenzungen vorzunehmen, was momentan ja gerade läuft. Was zum Inhalt hat, dass die so genannten unerwünschten Flüchtlinge abgeschoben werden. Zum einen über die „Save Country“-Regelung und zum anderen über die Pläne — die auch gestern geleakt worden sind — Menschen einfach abzuschieben, um Platz zu schaffen in Europa. Das passiert momentan, und darüber wird nicht offen diskutiert. Und da sind wir in einem Dilemma: Auf der einen Seite müssen wir der Kanzlerin Recht geben, man kann den Laden nicht einfach dicht machen. Auf der anderen Seite muss man sie kritisieren, weil sie nicht konsequent genug sagt, wie denn nun wirklich die Flüchtlingspolitik geregelt werden soll.

Das Credo der Kanzlerin ist ja: „Wir schaffen das“. Vor Abgeordneten der Europäischen Volkspartei EVP sagte Merkel nun auch noch einmal, manche Dinge seien nicht verhandelbar, wie zum Beispiel die Verweigerung der Aufnahme muslimischer Flüchtlinge, nur weil man eine Überfremdung befürchte. Da müsste die Linkspartei doch der Kanzlerin Applaus spenden, oder?

Ja. Weder muslimische, noch christliche, noch andere Glaubensbekenntnisse sollten hier eine Rolle spielen. Flüchtlinge sind Menschen. Und es muss gemessen werden, warum sie ihr Land verlassen. Das ist nicht nur Krieg, das sind auch Vertreibung, Diskriminierung, andere Gründe. Das ist entscheidend und nicht die Religion. Das darf man gar nicht erst aufkommen lassen. Auch die Debatten, die ich jetzt in den Medien finde, sind in meinen Augen verheerend.

In Deutschland wurde die Flüchtlingskrise jetzt zur Chefsache gemacht, die Kompetenzen liegen jetzt bei Kanzleramtsminister Altmaier. Für Sie eine richtige Entscheidung? 

Das ist schwer zu sagen. Dass das Chefsache werden muss, ist völlig klar. Aber ob das nun in den richtigen Händen liegt, wage ich zu bezweifeln. Aber wenn sie es zur Chefsache erklärt, dann muss sie es auch alles in die Hand nehmen. Dann muss dafür nicht nur die Aufnahme geregelt werden, sondern auch die Integration muss dann wirklich angepackt werden. Wenn sie das macht, dann bekommt sie unseren Beifall. Wenn nicht, dann ist dieses Amt von Altmaier eigentlich nur ein Störfaktor.

Sie haben den Innenminister schon angesprochen: de Maiziere hat sich jetzt für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen ausgesprochen. Das klingt wie eine Mahnung an die EU-Nachbarn und auch wie ein Selbstschutz Deutschlands. Wie verzweifelt ist die Lage denn zurzeit?

Die gesamte Diskussion um die Einführung von Grenzkontrollen, um Zäune an den Grenzen, um die Begrenzung der Freizügigkeit, halte ich für wirklich schlimm. Andere Länder außerhalb der EU müssen sehr viel mehr packen, und sie packen das auch. Beispielsweise Jordanien, ein Land mit 6,5 Millionen Einwohnern und 1,5 Millionen Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak.

Wenn wir bei einer Million Flüchtlingen — und niemand weiß, ob die Zahlen gerade stimmen — im reichen Deutschland sagen: „Wir schaffen das nicht“, ist das einfach indiskutabel. Wir schaffen das natürlich. Wir waren beim jordanischen Minister für Planung und Infrastruktur. Der hat uns, anstatt zu jammern, einen Drei-Jahresplan zur Integration der Flüchtlinge auf den Tisch gelegt. Und er sagte: „Schüttet uns nicht nur Geld rüber, sondern helft uns beim Aufbau von Schulen, helft uns beim Aufbau von Infrastruktur, dann können auch mehr Flüchtlinge bei uns bleiben.“ Und so konkret müssen wir auch denken.

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