„Asyl ist ein Menschenrecht“
Griechenland begeht schwere Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen – finanziert von der EU.
Ein Besuch der Europaabgeordneten Cornelia Ernst im griechischen Internierungslager Korinth.
Anfang Dezember 2012 besuchte die Europaabgeordnete Dr. Cornelia Ernst (DIE LINKE) eines der Internierungslager für so genannte illegale Migranten und Flüchtlinge in der Region Attika in Griechenland. Die Möglichkeit, direkt mit den Menschen in einem der Lager zu sprechen ergab sich durch die Teilnahme an einem Seminar zur „Europäischen und griechischen Migrationspolitik in Zeiten der Krise“, einer gemeinsamen Veranstaltung des Brüssler und des Athener Büros der Rosa-Luxemburg Stiftung.
Cornelia Ernst ist für die Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke Vollmitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Flüchtlingspolitik, Migration und Minderheiten.
Im Mai 2011 war die Europaabgeordnete aus Sachsen auf eigene Faust nach Lampedusa gereist; im Dezember 2009 besuchte sie den Kosovo. „Das direkte Gespräch, der Austausch mit den Betroffenen ist wichtiger als alles andere“, sagt sie. „Jeder Politiker, der sich mit Asyl- und Migrationsfragen beschäftigt sollte regelmäßig an den Ort des Geschehens reisen, um zu begreifen, wie es den Menschen dort geht.“
DIE LINKE. im Europäischen Parlament streitet für ein humanes und menschenwürdiges Asyl- und Migrationssystem in Europa. „Flüchtlingen muss das Tor zu Europa offenstehen“, meint Cornelia Ernst , „hierfür ist eine wirksame Politik zur Stärkung demokratischer Kräfte und der Entwicklung in den Herkunfttsländern der Flüchtlinge unerlässlich.“
Die Situation von Migrantinnen und Migranten in Griechenland spitzt sich zu. Der EU-Mitgliedstaat befindet sich seit einigen Jahren in einer tiefen Krise, die, ausgelöst durch die Ankündigung der Regierung über die hohe öffentliche Verschuldung, längst zu einer sozialen Krise geworden ist. Betroffen sind wie immer in solchen Fällen die schwächsten Glieder der Kette: In Armut lebende Menschen, Alte, Kranke, Erwerbslose, Kinder, Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge. Die Verfehlungen der griechischen und der europäischen Migrations- und Asylpolitik haben in den letzten Jahren zu unmenschlichen Lebensbedingungen sowohl in den Städten als auch in den völlig überfüllten Internierungslagern geführt.
Seit die damalige griechische Regierung im April das erste Internierungslager für Einwanderer und Asylsuchende errichtete sind überall in Griechenland weitere solcher Lager entstanden. Hinter Stacheldraht und abgeschirmt von der Öffentlichkeit warten Tausende von ihnen auf ihre Abschiebung. Finanziert wird die massenhafte Menschenrechtsverletzung von der EU.
Unter dem Druck der Wirtschafts- und Finanzkrise gerät die Asylpolitik in Griechenland zunehmend zum Katalysator einer humanitären Katastrophe. Mehrere Tausend Asylanträge werden gestellt, doch die Verwaltung ist überfordert; das Asylsystem kollabiert. Die Hellenic League for Human Rights (HLHR), eine 1953 gegründete Menschenrechts-NRO, schätzt dass derzeit etwa 400.000 Menschen in Griechenland ohne Papiere leben. Laut dem griechischen Flüchtlingsrat gibt es derzeit etwa zehn Internierungslager überall im Land, die genaue Zahl kennt niemand. Medienberichten zufolge will die Regierung dreißig bis fünfzig dieser Lager errichten. “Unsere Anwälte bekommen kaum Zugang zu den Lagern”, klagt der Direktor des griechischen Flüchtlingsrates, Panos Christodoulou.
Das Internierungslager in Korinth – inhumane Zustände
Neben Amydazela, dem bekanntesten Lager im Nordwesten Athens gibt es in der Region Attika auch Lager in Elliniko und Korinth. Bei deren Eröffnung im August gab es Proteste der Bewohner der Stadt. Viele von ihnen wollen keine “kriminelle Ausländer” zum Nachbarn, auch nicht wenn diese hinter meterhohem Stacheldraht eingesperrt sind. Die Neonazis der Partei “Goldene Morgenröte” protestierten in Korinth, dass ein Militärlager zum “Tourismuszentrum für Illegale” gemacht werde. Die Verwaltungsbehörden von Korinth, einer 30.000 Einwohnerstadt etwa 80km südwestlich Athens boykottieren das Lager indem sie den Strom abstellen oder sich weigern, die Abfälle zu entsorgen.
Doch nicht alle folgen dem strukturellen Rassismus, der sich in Krisenzeiten immer deutlicher zeigt. Ein Mitglied der antirassistischen Initiative Korinth berichtet von dem Aufstand der Insassen am 23. Oktober. “Die Inhaftierten haben gegen die unmenschlichen Bedingungen protestiert. Die Militärpolizei hat den Aufstand brutal niedergeschlagen. Seitdem sind alle Räume da drinnen vergittert.” Die Mitglieder der Initiative haben bislang keinen Zutritt zum Lager bekommen. Während des Besuchs der Gruppe der Rosa-Luxemburg Stiftung schließt sich ein Vertreter der antirassistischen Initiative an. Die Wachen protestieren zunächst, lassen den Mann dann aber mit auf das Gelände.
Derzeit werden rund 600 Männer abgeschirmt von der Außenwelt in den ehemaligen Kasernen gefangen gehalten. Sie kommen aus Afghanistan, Bangladesch, Pakistan, Tunesien, Marokko und anderen Ländern nach Griechenland, um in Europa ein besseres Leben zu führen. Sie wollen arbeiten und sie suchen Sicherheit.
“Taliban”, sagt ein junger Mann knapp und entblößt eine tiefe Narbe, die sich von seinem Bauchnabel bis zur Brust zieht. Weitere Narben sind wie helle Pinselstriche über seinen Torso verteilt. Seine Zelleninsassen nicken schweigend. Auch sie haben Brandmale, Narben und Wunden, die nicht heilen wollen. Ein Mann aus Pakistan erzählt, man habe ihn vor drei Monaten nachts hierher gebracht. Er wisse nicht, wo seine Frau und seine beiden Kinder seien: “Ich habe Angst. Was ist, wenn ihnen etwas zugestoßen ist?”
Viele der hier Inhaftierten wissen nicht, wie lange sie noch im Lager bleiben müssen. Der Winter naht, draußen weht ein scharfer Wind von der nahen Küste.
Den Männern fehlt es am Notwendigsten: Sie haben kein warmes Wasser, keine medizinische Versorgung, keine ausreichende Nahrung und viele von ihnen nicht genügend warme Kleidung.
Zum Schutz vor Wind und Kälte hat jeder von ihnen eine Decke. Ihre Betten haben sie notdürftig mit Plastikplanen oder Stoffresten verhüllt. Sie haben nur das, was sie bei ihrer Festnahme am Leib trugen. Die Gefahr, dass sich Krankheiten ausbreiten ist groß – die Lager sind überfüllt, die Hygienebedingungen liegen unterhalb jeglicher akzeptierter Mindeststandards. Die Männer in Korinth und in den anderen Abschiebeknästen leben in Ungewissheit und Angst. Viele von ihnen sind seit Jahren in Griechenland. Ihre Asylanträge werden abgelehnt, was sie in den Augen des Systems automatisch zu Illegalen, zu Kriminellen macht. “Das hier ist ein Gefängnis. Aber was ist unser Verbrechen?”, will Hassan aus Bangladesch wissen, “wir wollen niemandem zur Last fallen, wir arbeiten hart.”
“Ohne Euch existieren wir nicht. Ihr müsst draußen erzählen, was hier passiert. Wieso hört uns niemand zu? Wie kann Europa so etwas zulassen?”, fragt Ben aus Algerien. Er berichtet von täglicher Gewalt durch die Wachen im Lager.
EU finanziert systematische Menschenrechtsverletzungen
Die Binnenländer der EU machen sich selbst die Hände nicht schmutzig. Sie lassen Griechenland, Spanien und Italien die Verbrechen der militarisierten Flüchtlingsabwehr erledigen. Mit EU-Geldern werden Asylknäste in Drittländern finanziert. Die Asylsysteme in Europa leben davon, dass sie Flüchtlinge wie Verschiebemasse benutzen können. Anstelle einer solidarischen europäischen Einwanderungspolitik, wonach Flüchtlingsströme organisiert auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt werden zahlt die EU jährlich hohe Summen für die Abschottung der Außengrenzen, die Perfektionierung von Haftkapazitäten und die Jagd auf “Illegale”.
„Frontex“ als Migrationsabwehragentur wurde professionalisiert, die hohen Zahlen der Toten im Mittelmeer sind unverändert hoch. Jetzt soll sogar eine weitere Maßnahme zur „Abwehr“ der Migranten umgesetzt werden, Eurosure, ein Grenzüberwachungssystem. Dublin III hat am Umgang mit Migration nichts geändert. Weiterhin führt das System dazu, dass ein großer Teil der Mitgliedstaaten sich aus der migrationspolitischen Verantwortung stehlen kann.
Neben den Unsummen, die für FRONTEX ausgegeben werden gibt es das EU-Programm “Solidarität und Steuerung der Migrationsströme” (kurz: SOLID .nein, kein Scherz.), zur “fairen Lastenverteilung”. Es ist das finanzkräftigste Instrument der gesamten EU-Innenpolitik. Griechenland hat in diesem Jahr 44.745.804,00 aus dem Fond “Außengrenzen” erhalten.
Zur Information: Das SOLID Programm besteht aus vier verschiedenen Instrumenten.
– Europäischer Flüchtlingsfonds
– Europäischer Integrationsfonds
– Europäischer Rückkehrfonds
– Europäischer Außengrenzenfonds
Wenig überraschend: Der Anteil des Außengrenzenfonds – für den Schutz, die Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen sowie die Verbesserung von Haftkapazitäten ist der größte vom Gesamtbudget. des SOLID Programms.
Von insgesamt rund 4 Milliarden Euro verschlingt die Flüchtlingsabwehr 1,82 Milliarden Euro (Zeitraum 2007-2013). Der Anteil des Europäischen Integrationsfonds für Integrationsmaßnahmen von Drittstaatsangehörigen beträgt mit
800 Mio. weniger als die Hälfte.
Informationen über die einzelnen Fonds sowie die Ziele des SOLID Programms finden sich hier: