Martina Michels, MdEP, vor Besuchergruppe am 23.5.2023
Martina Michels, MdEP, vor Besuchergruppe am 23.5.2023

Martinas Woche 39/40_2023: Europapolitik kompakt in Brüssel, Wiesbaden, Straßburg, Bitterfeld

Fraktionsvorsitzende in Wiesbaden – Medienfreiheitsakt – EU-Migrationspakt – Handelspolitik EU-China – EU-Erweiterung – Solarenergie und EU-Förderungen – Israel

Martinas Woche führt uns diesmal nach Wiesbaden zu IG Metall-Betriebsräten bei Continental und damit zur Autoindustrie, weiter geht es nach Straßburg zum Plenum der vergangenen Woche und abschließend nach Bitterfeld-Wolfen. Martina besuchte den Solarzellenhersteller Meyer Burger und die Gespräche dort waren ein eigenständiger Kommentar zu vielen Debatten der Plenarwoche zum europäischen Investitionsschutz und der Ausgestaltung des internationalen Handels, auch wenn der EU-Asyl- und Migrationspakt und das Medienfreiheitsgesetz medial im Fokus dieser Plenartagung in Straßburg waren.

Das Wochenende war und. ist international überschattet mit den Angriffe der Hamas auf Israel. Martina kämpft als Mitglied der EU-Isreal-Delegation seit Jahren für einen Versöhnungsprozess in dieser Region, für die Stärkung zivilgesellschaftlicher Gruppen in Israel, für Dialoge unter Parlamentarier*innen, die einer Zweistaatenlösung noch eine Chance geben und das Existenzrecht Israels als Grundlage ihres Handels begreifen.    

In Deutschland begann die Auswertung der Landtagswahlen in Hessen und Bayern, bei denen die AfD zulegte und viele Wählerinnen und Wähler die Regierungsparteien in Deutschland abstraften, besonders die SPD. Überschattet wurde dieser Landtagswahlkampf tatsächlich auch von bundes- und europapolitischen Themen, zuerst einer Lösung in der Asyl- und Migrationspolitik, die nicht mit immer mehr Populismus und Chauvinismus auf ihre menschenrechtlich entscheidende Perspektive zurückzuführen ist. Investitionsstaus beim Ausbau von Kindergärten, bei bezahlbaren Wohnungen in den großen Städten, die genau genommen nichts mit Zuwanderung und der Aufnahme von Geflüchteten zu tun haben, wenn der politische Wille vorhanden wäre, werden immer mehr gegen die ungelösten Fragen einer tragfähigen Migrationspolitik ausgespielt und treffen am Ende die, die unsere Hilfe und unseren Schutz am dringendsten benötigen.   

 

Die Fraktionsvorsitzendenkonferenz war zu Gast bei Gewerkschafter*innen von Continental

Die Fraktionsvorsitzendenkonferenz der Linken traf sich vor einer reichlichen Woche in Wiesbaden. Neben dem Austausch zu aktuellen Themen und Aufgaben in den Fraktionen der Landtage, des Bundestages und der Delegation im Europaparlament standen Besuche verschiedener betrieblicher Interessenvertretungen auf dem Programm.
Eines der Treffen war eine intensive Begegnung mit Betriebsräten der IG Metall Continental. Es ging um die aktuelle Situation der Beschäftigten in der Automobilindustrie, die mit anhaltender Automatisierung konfrontiert sind. Sparpolitik und der verstärkte Einsatz von Leiharbeit sind weitere Probleme, die das Handeln der Gewerkschaften als Interessenvertretung der Belegschaften fordern. Martina berichtete in den Gesprächen über den gegenwärtigen Stand zur Arbeit am Initiativbericht zur Lage der Automobilindustrie, der gerade im Regionalauschuss im Europaparlament verhandelt wird. 

 

Plenum I: Einigungen im Migrationspakt offen? Menschenrechte wegverhandelt!

Mal hat sich der Ministerrat in Brüssel zu gemeinsamen Asyl- und weiteren Migrationsregularien geeinigt, mal wird darauf verwiesen, dass die Verhandlungen noch mitten im Trilog stecken und alles andere als in trockenen Tüchern sind. Pro Asyl bezeichnete das monatelange Hin und Her jüngst salopp als Verhandlungskrimi, obwohl einem bei den Festlegungen eher das Grauen beschleicht. Neben einem de facto seit 2017 ausgesessenen Verhandlungsparcours, bei dem zuletzt Italien Druck auf alle anderen europäischen Regierungen ausübte, indem es die von Deutschland finanzierten Seenotretter*innen einmal mehr kritisierten, wurde plötzlich wieder der Verhandlungsdurchbruch beim sogenannten Krisenmechanismus vermeldet. Am Mittwochvormittag zelebrierte das Parlament erneut die Verschiebung der politischen Entscheidungskorridore nach rechts, indem erneut insbesondere von konservativer Seite eine mangelnde Ausfinanzierung von Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten, egal ob aus der Ukraine oder Afghanistan, gegen Klärungen eines menschenrechtlich fairen Asylverfahrens an den Außengrenzen der EU ausgespielt wurde. Dass dies ganz ohne Vertretung der flüchtenden Menschen stattfindet, monierte Cornelia Ernst in einer Generalkritik am Stand des Asylpakts. Nachdem wir jahrelang auf die Wiederaufnahme der Verhandlungen um eine humane Flüchtlingspolitik gestritten haben, fordern wir beim derzeitigen Verhandlungstand hingegen ein sofortiges Stopp: 

„Dieser Wahnsinn, eine Reform um der Reform willen zu beschließen, muss sofort gestoppt werden. Wir fordern die unverzügliche Einberufung eines europäischen Migrationsrates, der Notwendigkeiten asylsuchender Menschen formuliert, die im Pakt Berücksichtigung finden müssen. Dazu gehören die in allen Mitgliedstaaten ansässigen Geflüchtetenvertretungen, NGOs in Drittstaaten und vor allem sie selbst – Geflüchtete. Ihre Stimme muss Gehör finden. Die EU muss eine gerechte Gesetzesregelung finden, die die Belange aller Beteiligten berücksichtigt.“  

 

Plenum II: Medienfreiheitsgesetz – die Quadratur des Kreises

„Weitere staatliche Eingriffe in journalistische Arbeit sind jetzt massiv begrenzt, wenn auch mit Ausnahmen, wie dem Richtervorbehalt. Der Einsatz von Spionagesoftware gegen Journalist*innen und ihre Quellen ist weitgehend untersagt, wobei ich mir hier das komplette Verbot gewünscht hätte.“, 

kommentierte Martina Michels die Parlamentsposition, die am Dienstag beschlossen wurde und weit über den Verhandlungsentwurf der EU-Kommission von 2022 hinaus geht. Doch auch in der Parlamentsposition gibt es allerhand Fallstricke, die eine Anerkennung von vielen Mitgliedstaaten, allen voran Ungarn und Polen, aber aus anderen Gründen auch Frankreich und Deutschland, eher schwierig werden lassen. 
Zum problematischen Artikel 17 kommentierte Martina: 

„Der umstrittene Artikel 17, der die ungehinderte Garantie der Veröffentlichungsrechte und die Streitbeilegung zwischen Medienproduzent*innen, die teilweise national schon stark reguliert sind, und besonders großen Online-Plattformen regeln wird, ist ein tragfähiger Kompromiss, der an Regelungen aus der audio-visuellen Mediendienste-Richtlinie und aus dem Gesetz über digitale Dienstleistungen anknüpft. Er enthält erneut tendenziell eine Medienausnahme, die den großen öffentlich-rechtlichen Produzent*innen nützlich sein sollte und zugleich die modernen, gewachsenen Medienlandschaften respektiert.“


Und ja, die Medienausnahme hilft den öffentlich-rechtlichen Medien, bevorzugt sie jedoch gegenüber Bloggern und anderen journalistisch Tätigen und hat damit auch einen gewissen Diskriminierungseffekt, den man nicht übersehen darf.
Jetzt beginnen die schwierigen Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission, die schon bis Februar 2024 im Rahmen der Spanischen Ratspräsidentschaft abgeschlossen sein sollen. Das ist ein derart ehrgeiziges Unterfangen, dass dessen Realisierung eher überraschen dürfte.

Plenum III: EU-China – Schlafwandeln im Handelskrieg und Entmachtung des Parlaments

Zur Dienstagdebatte im Plenum In Sachen Handelspolitik kommentierte Helmut Scholz schon vorab, dass die EU auf Konfrontation zu China geht. 

„Auch das Schutzinstrument gegen wirtschaftlichen Zwang zielt in diese Richtung. Parlament und Kommission haben die Chance vertan, die EU umfassend zu schützen, etwa durch extraterritoriale US-Sanktionen. Ähnlich die Ankündigung der EU-Kommission, gegen die staatliche Förderung chinesischer Hersteller von E-Autos vorzugehen: Statt glaubwürdige Antworten auf globale Herausforderungen zu suchen, schlafwandeln Kommission und Parlament zunehmend in einen Handelskrieg mit ungewissem Ausgang.“ 

In der Plenardebatte kritisierte Helmut Scholz dann die Konstruktion des nötigen Schutzinstruments, das in eine geopolitische Strategie der EU eingebunden wird. Doch Außenpolitik unterliegt nicht derselben parlamentarischen Kontrolle wie die Internationale Handelspolitik. Deshalb betont Scholz: 

„In der Handelspolitik stehen wir dem Rat gleichberechtigt gegenüber. Aufgrund des außenpolitischen Bezugs ist es aber der Rat, der eine politische Monopolstellung bei diesem Instrument einnimmt, während wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf die Zuschauerränge verbannt werden. Mit diesem Gesetz besteht die Gefahr, einen undemokratischen Präzedenzfall in der EU-Handelspolitik zu schaffen.“

 

Plenum IV: Überfälliger Schritt – Ausstieg der EU aus dem Energiecharta-Vertrag

Medial kaum beachtet wurde die Debatte um den schon seit einem Jahr betriebenen Ausstieg der EU aus dem Energiecharta-Vertrag, der ein Bremsklotz auf dem Weg in eine solare Energiewende war, in welchem der 20 Jahre währende Schutz Ressourcen fressender und Klima belastender Energieproduktion vereinbart waren und auch die internationalen Streitbeilegungen außerhalb staatlicher Gerichtsbarkeit anerkannt wurden. Es wird Zeit, dass beides nicht mehr bestimmend ist und dem Vertrags-Ausstieg endlich Taten folgen, erklärte Helmut Scholz mit Hinweis auf eine umfassende Studie.

 

Bitterfeld: Solarindustrie im zweiten Aufbruch braucht Investitionsschutz

Am vergangenen Freitag nach der Plenarwoche in Straßburg fuhren Martina und Jörg Bochmann nach Bitterfeld-Wolfen, genauer nach Thalheim ins dortige Gewerbegebiet „Solar Valley“ zum komplett neuen Werk des Unternehmens Meyer Burger (Technology AG). Eingefädelt hatte das Treffen die Bitterfeld-Wolfener Stadträtin Dagmar Zoschke, denn es geht um die Zukunft der europäischen Solarindustrie und konkret um 380 Arbeitsplätze in der Region. Martina wurde von Christoph Podewils, Leiter Politik und Unternehmenskommunikation in Deutschland des Schweizer Unternehmens, empfangen. Nach einer Besichtigung der fast vollständig automatisierten, parallelen Fertigung der Solarzellen in den 300 Meter langen Hallen ging es um sehr Konkretes in Sachen Zukunftsaussichten der Branche. 
Im Gespräch ging es um EU-Fördermittel. Ebenso wurden große Erwartungen an die gerade zu schaffende EU-Plattform für strategische Technologien für Europa (Strategic Technologies for Europe Platform, STEP) geknüpft. Aus Sicht des Unternehmens reiche dies allerdings nicht aus, um den europäischen Markt vor der geostrategisch eingesetzten Marktbeherrschung Chinas in dieser Branche zu schützen. Andererseits nutzt Meyer Burger aber auch die Segnungen des amerikanischen IRA (Inflation Reduction Act 2022) und errichtet zwei Werke in den USA, schon weil diese ihren Markt vor den Importen chinesischer Solarprodukte schützen und nur im eigenen Land hergestellte Produkte subventionieren. 
Der gesamte Bericht von Jörg Bochmann zu dieser schwierigen Gemengelage ist hier zu finden.

 

Martina Michels verurteilt Angriffe der Hamas auf Israel

Schon am Samstag reagierte Martina auf Twitter: „Ich verurteile aufs Schärfste den Angriff der Hamas mit tausenden Raketen und Angriffen in israelische Ortschaften, mit Geiselnahmen, Toten und Verletzten. Kriegsverbrechen sind nicht zu rechtfertigen. Der Kreislauf der Gewalt muss beendet werden.“ Sie ist überzeugt davon, dass dieser Angriff auch der gesamten Bewegung um die Garantie der Rechte der palästinensischen Bevölkerung schadet, die Region weiter destabilisiert und auch innerhalb Israels die massive Opposition gegen die umstrittene Justizreform schwächen kann.     

© European Union 2023 - Source : EP
Philippe BUISSIN

Helmut Scholz im Plenum

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European Parliament

Besuch bei Meyer Burger in Bitterfeld-Wolfen
Jörg Bochmann

FVK bei der IG Metall Continental

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