Seltene Erden, Lithium & Co – Wettlauf um kritische Rohstoffe
Fachausschüsse beraten über „sicheren und nachhaltigen Zugang zu kritischen Rohstoffen“
Diese Woche tagen die Fachausschüsse des Europäischen Parlaments – auch der Handelsausschuss, in dem ich die Arbeit der Linksfraktion LEFT koordiniere. Einer der Punkte auf der Tagesordnung: die Kommissionsinitiative für einen „sicheren und nachhaltigen Zugang zu kritischen Rohstoffen“. Glaubt man der Kommission, soll die Initiative helfen, den grünen Umbau der europäischen Wirtschaft zu schultern. Doch das Vorhaben wirft auch die Frage auf, welche politischen und wirtschaftlichen Beziehungen wir zum Rest der Welt anstreben – Grund genug, diese Initiative kurz vorzustellen.
Kohle, Erdöl, Gas… das Abbrennen dieser Energieträger versorgt uns noch immer mit Strom, Wärme und Mobilität – und bringt ein seit Jahrtausenden stabiles Klima zum Kippen. In der EU-Kommission scheint man zu verstehen, dass es so nicht weitergehen kann: Diese Woche eröffnete Ursula von der Leyen in Brüssel die Postwachstumskonferenz „Beyond Growth 2023“, ein Großevent, gestemmt von 18 Europaabgeordneten verschiedener Fraktionen, darunter ich und drei weitere Kolleg:innen der Linksfraktion LEFT. „Heute lassen wir das auf fossilen Brennstoffen beruhende Wachstumsmodell hinter uns“, versprach die Kommissionspräsidentin dabei vor den über 5000 Teilnehmer:innen.
Tatsächlich hat sich die EU das Ziel gesetzt, den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase in den kommenden Jahren drastisch zu verringern. Hierzu soll massiv in neue Technologien investiert werden, wie Windparks an Land und vor den Küsten, batteriegestützte Elektromobilität, intelligente Stromnetze oder Sonnenenergie. So soll Europa nicht nur seine Verpflichtungen zum Klimaschutz erfüllen, sondern zugleich auch unabhängiger von Öl- und Gaseinfuhren aus Russland, Saudi-Arabien oder den Golfstaaten werden.
Der Haken: Auch für diese neue, klimafreundlichere Energieinfrastruktur braucht es Unmengen an – oft sehr knappen – Rohstoffen. Für die Magnete von Windturbinen werden Seltenerdmetalle benötigt. In Wasserstoffzellen steckt Platin. Lithium wird in Elektrofahrzeugen verarbeitet, Nickel und Kobalt in aufladbaren Batterien… Und weil nicht nur Europa so schnell wie möglich aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas aussteigen will, dürfte der Bedarf an diesen Mineralen und Metallen in den kommenden Jahren massiv zunehmen.
Die Gewinnung und – oft sehr energieintensive – Aufbereitung dieser „kritischen“ Rohstoffe findet in der Regel außerhalb der EU statt. In zahlreichen Fällen ist es gar ein einziger Handelspartner, der nahezu den gesamten Bedarf der Union abdeckt. Besonders die Abhängigkeit von China – etwa bei den Einfuhren von Seltenen Erden, Magnesium oder raffiniertem Kobalt – ist der Kommission dabei ein Dorn im Auge.
Doch diese Abhängigkeiten sind hausgemacht: Lange setzte man in der EU darauf, sich möglichst billig im Ausland zu versorgen: Von Rohstoffen, über Vorprodukte bis hin zu ganzen Lieferketten – wieso selbst produzieren, wenn die Einfuhr aus ärmeren Ländern ohne nennenswerten Arbeitnehmerschutz weitaus höhere Gewinnmargen verspricht?
Mit der am 16. März vorgelegten Initiative untermauert die Kommission nun ihr neues industrie- und handelspolitisches Ziel einer „offenen strategischen Autonomie“. Der Verordnungsentwurf setzt auf mehreren Ebenen an: Einerseits soll mehr Klarheit über bestehende Abhängigkeiten geschaffen werden. Große Unternehmen, die knappe und strategisch wichtige Rohstoffe importieren oder verarbeiten, müssen ihre Bezugsquellen melden und ihre Vorratshaltung ausbauen.
Auch der Abbau strategischer Rohstoffe und ihre Weiterverarbeitung sollen gestärkt werden. Beschleunigte Genehmigungsverfahren und Finanzhilfen sollen dafür sorgen, dass mindestens 10 % des EU-Bedarfs in der EU abgebaut und mindestens 40 % im Binnenmarkt verarbeitet werden.
Daneben will die Kommission verhindern, dass kostbare Ressourcen im Abfall landen. Über Fortschritte bei der Wiederverwertung sollen mindestens 15 % der EU-Nachfrage durch rückgewonnene Rohstoffe gedeckt werden. Strengere Vorgaben richten sich einerseits an Bergbauunternehmen, die ihre Abfallprodukte besser verwerten müssen; zum anderen werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, ausgediente Smartphones, Batterien und andere Altprodukten konsequenter zu recyceln, um verbaute Rohstoffe zurückzugewinnen.
Eine letzte Säule des Kommissionsplans betrifft die Handelspolitik. Rohstoffe, die nicht in der EU gewonnen oder recycelt werden, sollen künftig von einem breiteren Club an Handelspartnern stammen. Die Kommission schlägt vor, strategische Partnerschaften zu schließen, um so „zuverlässige“ rohstoffreiche Länder enger an die EU zu binden. Den Partnerländern werden Investitionen versprochen, damit die gewonnenen Rohstoffe vor Ort verarbeitet werden können und sie so stärker von ihrem natürlichen Reichtum profitieren. Und um die begehrten Rohstoffe zu ergattern, ist auch vorgesehen, den Abschluss von Freihandelsabkommen mit Chile, Australien, Indonesien entschlossener voranzutreiben.
Wohin steuert die Kommission mit dieser Initiative? Einen größeren Teil des Bedarfs an Rohstoffen und Vorprodukten selbst zu decken, ist sicher zu begrüßen. Die Verlagerung von Bergbau und Industrie an Standorte mit den niedrigsten Löhnen und schwächsten Umwelt- und Sozialstandards ist ein Fehler, aus dem zu lernen ist. Die vorgeschlagene Beschleunigung von Genehmigungsverfahren darf allerdings nicht dazu führen, dass Umweltauflagen aufgeweicht und die Bedürfnisse der örtlichen Bevölkerung ignoriert werden.
Und wie sieht es mit dem Versprechen aus, die Belastungsgrenzen des Planeten zu achten und unsere Wirtschaft entsprechend umzubauen? Der angepriesene „grüne Umbau“ der Wirtschaft muss mehr sein als das Futter für den nächsten Wirtschaftsboom. Ja, natürliche Ressourcen sind endlich. Doch die Antwort der EU darf nicht sein, sich die wertvollsten Rohstoffe unter den Nagel zu reißen und ärmeren Ländern so den Weg in eine zugleich leistungsfähige und klimafreundliche Energieversorgung zu versperren.
Und schließlich: Ein Wettlauf um bilaterale Handelsbündnisse wird die Spannungen mit rohstoffreichen Ländern wie China oder Russland nicht beheben. Dialog, Kooperation und die Suche nach multilateralen Lösungen sind zielführender als ein „Kalter Krieg“ um Seltene Erden, Lithium & Co.