Martinas Woche 18_2022: Plenum in Straßburg vor Europäischen Gedenktagen
Plenum – 8. Mai 1945 – 9. Mai 1950/2022 – Treffen der Europapolitischen Sprecher*innen
Straßburg und Prag, das Plenum des Europaparlaments und eine Klausur der Europapolitischen Sprecherinnen und Sprecher, standen in der vorigen Woche auf dem Programm. Überdies endete die Woche mit dem 8. Mai, dem Tag, an dem wir die Befreiung vom Hitler-Faschismus, zumindest in Europa, begehen. Angesichts des Krieges in der Ukraine wurde einmal mehr deutlich, dass ritualisierte Mahnungen niemandem nützen, wenn die Geschichte im Dunkeln und die Gegenwart unverstanden bleiben. Der Schock des Angriffskrieges Putins zwingt uns, den Kampf gegen Faschismus, Antisemitismus und Rassismus als Tagesaufgabe zu begreifen. Frieden und Demokratie sind weltweit fragil und auch in Europa haben sich die Erzählungen nationalistischer Regierungen im Verbund mit Bürgerinnen und Bürgern längst mitten in der EU ausgebreitet. Ursachenforschung und politische Vorschläge für ein weltoffenes Europa, mit einer Sicherheitsarchitektur, die einer multilateralen Welt gerecht wird und Abrüstung sowie gerechten Welthandel vorantreibt, sind dringend notwendig. Bürgerinnen und Bürger Europas haben am 9. Mai Vorschläge in der Zukunftskonferenz verabschiedet. Damit muss sich linke Politik auseinandersetzen, will sie mit einer starken demokratischen Stimme 2024 die Entwicklungen in der EU mitbestimmen.
Plenum in Straßburg
In der vergangenen Woche traf sich das Europaparlament zu einer Plenartagung in Strasbourg und dies weitgehend in Präsenz. Erneut standen viele wichtige Themen, von der Pressefreiheit bis zu den wirtschaftlichen und politischen Folgen der Krieges in der Ukraine, auf der Tagesordnung. Überdies wurde eine Bericht des Sonderausschusses zur künstlichen Intelligenz abgestimmt. Der Mittwoch war den Haushaltentlastungen vorbehalten, wobei besonders die Entlastung der Grenzschutzagentur Frontex von linken Parlamentarierinnen und Parlamentariern nicht mitgetragen wurde. Mit Blick auf die kommenden Europawahlen beschloss das Parlament erstmalig die Aufstellung von Europäischen Listen, ein Novum, um das seit beinahe zwei Jahrzehnten gekämpft wurde.
8. Mai 1945 – Gedenktag und Auftrag
Russische Flaggen in Berlin am 8. Mai, dem Gedenktag für die Befreiung vom Hitler-Faschismus, zu untersagen, ist schon ziemlich geschichtsvergessen, um es noch höflich auszudrücken. Gedenktage sind ohnehin nicht dazu da, in Ritualen zu erstarren, sondern Geschichte wirklich aufzuarbeiten, den Kampf gegen den Neofaschismus heute als Tagesaufgabe zu verstehen und damit dem „Nie wieder!“ und auch dem „Nie wieder Krieg!“ reale Chancen zu geben. Der 8. Mai ist ein Tag, an dem wir der vielen Toten, davon 27 Millionen Menschen aus der Sowjetunion, Russen, Ukrainer, Belorussen und viele andere aus der Roten Armee gedenken und den Dank an die Anti-Hitlerkoalition lebendig halten.
Angesichts des Krieges in der Ukraine, wird der 8. Mai in diesem Jahr zugleich zu einer bitteren Erfahrungen, dass das Lernen aus der Geschichte kein Automatismus ist. Putin überfällt die Ukraine am 24.2.2022, nachdem die Annexion der Krim schon seit 2014 keine Konfliktlösungen nach sich zog. Und tatsächlich hält die Welt, nicht nur Europa den Atem an, weil dieser Völkerrechtsbruch von einem angekündigten Atombomben-Einsatz begleitet wurde, weil dieser aggressive Krieg die verantwortungslose Energiepolitik vieler europäischer Mitgliedsstaaten auf den Kopf stellt, weil jetzt schon Nordafrika eine Hungerkatastrophe droht, da eine der Kornkammern der Welt gerade in Blut getränkt wird. Und wir sehen nur Aufrüstungsstrategien in den Mitgliedsstaaten, die über kurz oder lang Ressourcen für die dringenden Lösungen gegen die Verheerungen durch den Klimawandel binden, die die soziale Wohlfahrt weiter drosseln und eine Welt der Abrüstung, der friedlichen Konfliktbeilegung und der politischen und kulturellen Annäherung in einen fernen Traum verwandeln. Die strategische Aufrüstung, sowohl in Mitgliedstaaten wie in der EU, nützt im aktuellen Krieg nichts. Sie kann den Völkerrechtsbruch Putins nicht ungeschehen machen und stellt für die Ukraine aktuell weder für den humanitären noch den militärischen Support irgendeine Hilfe dar. Eine Spirale der Abschreckung ist sicher das letzte, was eine unsichere, doch längst multipolare Welt braucht. Dass am 8. Mai 2022 Nachfahren der ehemaligen Befreier vom Hitlerfaschismus auf Ukrainerinnen und Ukrainer schießen, sie „entnazifizieren“ und „russifizieren“ wollen, zeigt, dass Europa bei der Aufarbeitung der Lehren aus dem 2. Weltkrieg gründlich versagt hat. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der späteren Osterweiterung der EU haben wir es nicht geschafft, Vertrauen zwischen den Ländern in ganz Europa herzustellen und zugleich haben wir bei energiepolitischen und wirtschaftlichen Interessen alle Augen zu gedrückt und die Entwicklungen Russlands zu einer aggressiven Autokratie schlicht übersehen (wollen). Jetzt liegen viele Fragen auf dem Tisch, wie dieser Krieg schnellstens beendet werden kann, so dass die Ukraine als selbstständiger Staat nicht von der Landkarte radiert wird und den Widerstand leistenden Menschen in der Ukraine nicht Repression und „Umerziehung“ drohen, sondern ein Verhandlungsraum entsteht, der Putin in die Schranken eines völkerrechtlich basierten 21. Jahrhunderts weist. Damit steht für linken Kräfte ein klares Verständnis einer zukünftigen, weltoffenen EU zur Debatte, die derzeit halb Osteuropa und gerade vielen jungen Menschen als Hoffnung erscheint. Davon könnte unsere Kritik am aktuellen Zustand der EU geleitet werden.
9. Mai 1950 Europatag – Europäische Zukunftskonferenz legt Ergebnisse vor
Mit dem heutigen Tag findet die Zukunftskonferenz, die die Kommission kurz vor Beginn der Pandemie ausrief, einen vorläufigen Abschluss. „Am 10. März 2021 unterzeichneten der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli, der Premierminister Portugals, António Costa – im Namen des Rates der EU – und die Präsidentin der Kommission, Ursula von der Leyen, die Gemeinsame Erklärung zur Konferenz über die Zukunft Europas.“, erinnert die Online-Plattform der Konferenz, auf der man auch die Ergebnisse findet. Jetzt entscheidet sich, ob sie als demokratische Fassade bald verblasst oder eine ernsthafte Anregung werden kann, die EU zu reformieren, sie endlich zu europäisieren, dem Parlament und den europäischen Ideen eines friedlichen Zusammenlebens, das über Binnenmarkt-Gemeinsamkeiten weit hinausgeht, ein durchsetzungsfähiges Gesicht zu geben. Einmal mehr ist dafür ein Konvent gefordert, der über den Lissabonner Vertrag hinaus die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die soziale Säule, den Kulturaustausch stärker machen kann, aber auch die Fähigkeit, die EU in einem internationalen Sicherheitssystem, das konsequent auf Abrüstung setzt, zu verorten. Damit wäre ein politischer Raum geschaffen, eine humane Migrationspolitik an den Außengrenzen der EU zu entwickeln, der sich aus einer nachhaltigen Klimapolitik genauso speist, wie aus vielen Details, die von der digitalen Bildung bis zu einer Landwirtschaftspolitik reichen, die den europäischen Protektionismus endlich beendet. Helmut Scholz vertrat unsere Fraktion engagiert in der Zukunftskonferenz, begleitete Jugendliche und Bürgerinnen und Bürger, die in Arbeitsgruppen ihre Positionen entwarfen und ausdiskutierten. Der 9. Mai 2022, der Europatag ist ein guter Tag, um die Konferenzergebnisse vorzulegen und deren Umsetzung in Angriff zu nehmen. „Am 9. Mai 1950 schlug der französische Außenminister Robert Schuman in einer Rede die Schaffung einer, Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vor, deren Mitglieder ihre Kohle- und Stahlproduktion zusammenlegen sollten.“ Diese Deklaration wird gemeinhin als die Geburtsurkunde der EU verstanden, obwohl es mit dem Manifest von Ventotene viel ältere und komplexere Vorschläge für ein gemeinsames Europa als politisches Projekt gibt.
Klausurtreffen der Europapolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Linksfraktionen gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 5. bis 7. Mai in Prag
„Über die EU zu reden, als sei sie der Teufel, ist nicht zeitgemäß.“ haben wir unseren Bericht vom Klausurtreffen der Europapolitischen Sprecherinnen überschrieben. Dies sagte Ivo Georgiew aus Kiew den Linke aus Deutschland, die sich in Prag trafen. Und auch aus den anderen osteuropäischen Ländern wurde ein nachvollziehbares Bild der EU skizziert, dass kaum ablehnend, sondern gerade für viele junge Menschen mit Hoffnungen verbunden ist. Die „Politische und soziale Lage in Mittel-, Ost- und Südeuropa“ war der Debattengegenstand der Klausur der Europapolitischen Sprecher*innen in Prag, den wir gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) und vielen interessanten Gästen aus Tschechien, Polen, Ungarn und der Ukraine erörterten.