Original von Banksy an der Tankstelle in Bethlehem
Original von Banksy an der Tankstelle in Bethlehem

Martinas Woche 24/2021: Europaparlament tagt wieder in Strasbourg

Globale Impfstoffgerechtigkeit – Europäischer Impfpass – Belarus – Armenien – Israel – Lux Filmpreis

Ein Jahr und zwei Monate tagte das Europaparlament in den Plenarwochen nicht in Strasbourg, sondern nutzte den kleineren Plenarsaal in Brüssel oder alle Möglichkeiten der online-Kommunikation. Vor allem die Abstimmungen werden noch weiterhin online stattfinden. Doch der große Plenarsaal in Strasbourg war in der vergangenen Woche wieder der Ort der Plenardebatten und der Ort der Zeremonie zur Auszeichnung der Gewinner des Lux-Film-Preises. Die Pandemie ist nicht vorbei und viele Abgeordnete arbeiteten weiter vom häuslichen Homeoffice, stimmten in ihren Büros ab oder reisten ganz ohne Mitarbeiter nach Frankreich, denn noch nicht alle jungen Kolleginnen und Kollegen können sicher reisen. 

Und ganz ehrlich, so sehr man der französischen Region wieder das lebendige Europäische politische Leben wünscht, weil es in Pandemie freien Tagen ein Besucher*innen-Magnet ist, so sehr steht einmal mehr die Frage im Raum, ob das die richtige Lösung ist, die Arbeit des Europaparlaments dauerhaft mit diesen Reisen zu belasten oder ob nicht andere Europäische Institutionen mit einem hohen öffentlichen Prestige dauerhaft nach Strasbourg verlegt werden sollten. Die „one Seat“-Kampagne gibt es schon lange und auch wir sind da für Ressourcen schonende Lösungen offen. Doch dafür müssen sich Mehrheiten finden und Frankreich zustimmen. 

Wie auch immer, das Gepäck für die Plenarwoche war reichlich und wir berichten – wie immer – von einem Ausschnitt der Entscheidungen in der vergangenen Woche in Strasbourg und von einem Besuch von  Martina Michels beim Armenischen Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Berlin.

 

Corona I: Europaparlament fordert die Aussetzung der Impfstoff-Patente

Und damit liegt der Ball bei der EU-Kommission und dem Europäischen Rat, endlich weitere Schritte zu einer global gerechten Pandemie-Bekämpfung zu gehen, in der auch die aufwändige Impfstoff-Produktion unterstützt werden muss, wollen wir nicht von weiteren Escape-Varianten des Virus überrascht werden. Das Parlament hat vorgelegt: „Gegen den erbitterten Widerstand der Wirtschaftsliberalen, einschließlich des EVP-Schattenberichterstatters Sven Simon, hat sich eine Mehrheit der EU-Abgeordneten dafür stark gemacht, dass Europa diesmal auf der richtigen Seite der Geschichte stehen soll. Die Mehrzahl der Mitglieder des Europaparlaments hat im Plenum Gewissen gezeigt und damit auch der Forderung von über 100 Mitgliedstaaten der WTO beigepflichtet, den Patentschutz auf Corona-Impfstoffe vorübergehend auszusetzen. Das ist ein Votum für die Menschlichkeit. Bedauerlich, dass die Abgeordneten von CDU, AfD und FDP sich diesem Schritt geschlossen verweigerten.“ , resümiert Helmut Scholz in seiner Pressemeldung zur Abstimmung.

 

Corona II: Was bringt das Europäische Impfzertifikat?

Gerade wird er in vielen Mitgliedstaaten praktisch eingeführt: der digitale Impfpass für die Impfungen gegen Covid19. Weiterhin wird auch der Internationale Gelbe Impfpass gültig sein. Die gesamte Impfpass-Entwicklung soll Reisen erleichtern, vor allem auch Menschen, die beruflich pendeln, das andauernde Testen trotz erfolgten Impfungen ersparen. Im Konzert der Pandemiebekämpfung spielt dieser neue Impfpass jedoch keine tragende Rolle, wie Cornelia Ernst zurecht anmerkt. Und sie hält zugleich fest, dass selbst der Impfpass letztlich kein wirklich europäisches Instrument geworden ist: „Die Bürgerinnen und Bürger in der EU bekommen mit dem Impfzertifikat Reisefreiheiten zurück, vieles wird für sie leichter. Doch die EU bleibt teilweise zersplittert. Es gibt weiterhin Unsicherheiten, die die Wirkung des Zertifikats schwächen. Den Mitgliedstaaten war es wichtiger, Schlupflöcher für nationale Alleingänge aufrechtzuerhalten. Noch nicht einmal bei einem COVID19-Zertifikat siegt der Gemeinsinn. Außerdem dürfen wir uns nichts vormachen: das Zertifikat ist kein Instrument der Pandemiebekämpfung.“

 

The winner is… Lux Filmpreis 2020/2021 vergeben

Mittwoch in der Mittagsstunde wurden die Gewinner des Lux Filmpreises in einer feierlichen Zeremonie im Europäischen Parlament bekannt gegeben. Dabei wiederholte sich etwas, was dem Filmschaffen schon während der ganzen Corona-Zeit widerfährt: Die Preisverleihung fand beinahe ohne Publikum für Schauspieler und die Filmregisseure statt. Eine schwierige Situation. Trotzdem nutzten die Filmemacher ihre Dankesreden, um mehr als ihre Filmstoffe zu repräsentieren. Sie verwiesen auf die Repressionen in Belarus, auf die Mühen der filmischen Dokumentation unerträglicher Korruption, die den Menschen Freiheit und, wie im Gewinnerfilm „Kollektiv – Korruption tötet“ von Alexander Nanau, einer rumänisch-französische Koproduktion, ihr Leben kostet. Er forderte in der Dankesrede, „dass Europa unbedingt die systematische Gängelung von Investitionen in Bildung und Kultur überwinden muss.“ Martina fasste die Ergebnisse der Preisverleihung in einer Pressemeldung zusammen.

 

Grundrechte in Belarus garantieren, aber wie?

Die Situation in Belarus, die Repression der politischen Opposition, der Kulturleute und Journalist*innen, spielte nicht nur einen Moment bei der Lux-Filmpreis-Verleihung eine Rolle. Sie war auch Debattengegenstand des Plenums im Europaparlament. Schnell ist die EU immer mit ihren Sanktionsrufen. Doch helfen sie wirklich, die autoritäre Entwicklung in Belarus zu stoppen, den Menschen den ersehnten demokratischen Aufbruch wieder zu ermöglichen? „‚Eine vierte Umdrehung der Sanktionsspirale wird kurz- und mittelfristig keine Änderung der Situation herbeiführen – und sie trifft die gesamte Bevölkerung, wenn Wirtschaft und Arbeit flächendeckend betroffen sind.‘ Gebraucht werde ein ernsthafter Dialog zwischen der EU, Belarus und Russland, wenn die politischen Spannungen in der Region abgebaut, Vertrauen aufgebaut, wirtschaftliche, handelspolitische und kulturelle Beziehungen ausgebaut und vor allem demokratische Stützpfeiler im Land erbaut werden sollen“, so Helmut Scholz, der auch in der Delegation EU – Belarus ist, in der Debatte.

Besuch beim armenischen Botschafter in Berlin

Am Donnerstagnachmittag kam Martina mit dem Botschafter Armeniens in der Bundesrepublik Deutschland, Ashot Smbatyan, in Berlin ins Gespräch. Die Konfliktlage nach dem von Russland herbeigeführten Waffenstillstand ist vor allem für Armenien und die Enklave Bergkarabach weiterhin extrem angespannt. Die politische Führung in Armenien, einem kleinen Land von der Größe Brandenburgs, ist geschwächt und die Demütigung des Ausgangs des 44-Tage-Krieges, den Aserbaidschan begann und mit starker Hilfe der Türkei und Waffenlieferungen aus Israel führte, sind für die Bürgerinnen und Bürger tief und reißen in einem langen geschichtlichen Konfliktfeld auch alte Verletzungen erneut auf. Die EU hielt und hält sich „vornehm“ zurück und finanzierte durch ihren wirtschaftlichen Fokus de facto Aserbaidschans Stärke durch die Erdölimporte mit. Die jahrzehntelangen Vermittlungen der OSZE sowie der Minsk-Gruppe waren aufgrund der Halsstarrigkeit beider Seiten erfolglos. Russlands Eingreifen beendet den Krieg und russische Truppen sichern den fragilen Waffenstillstand bis mindestens November 2025, wenn nicht eines der betroffenen Länder sechs Monate vorher den Vertrag aufkündigt. Doch eine politische Lösung für die betroffenen Gebiete wurde damit weder erreicht oder angestrebt. Armenien benötigt, neben einer innenpolitischen Stabilisierung, auch internationale Unterstützung und die Anerkennung seiner Interessenlagen. So betonte der Botschafter, dass Armenien mehr Begegnungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene, besonders der Jugend, zwischen Ländern der EU und Armenien wünschte, eine Beschleunigung der Visaliberalisierungsverhandlungen mit der EU begrüßte, die EU sich dringend für die Ermöglichung humanitärer Hilfeleistungen in Bergkarabach einsetzen muss und die großen Erfolge Armeniens in Sachen Rechtsstaatlichkeit und parlamentarischer Strukturen anerkannt werden sollten. Martina gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Ergebnisse der anstehenden, vorgezogenen Parlamentswahlen am 20. Juni 2021 das Land politische stärken und sich die durch den Krieg entstandene Polarisierung langsam wieder aufheben möge.

 

Netanyahus Ende: Israel hat eine neue Regierung

In der vergangenen Woche hatten wir schon auf das Für und Wider der aktuellen Regierungsbildung in Israel aus der Perspektive des Chefredakteurs des Verfassungsblogs verwiesen. Und plötzlich ist es soweit. 60 Abgeordnete stimmten für und 59 Abgeordnete gegen das neue Regierungsbündnis unter Naftali Bennett, der jedoch in einer Art vereinbarter Rotation in zwei Jahren vom bisherigen Oppositionsführer Jair Lapid abgelöst wird. Mehr Demokratie und weniger Nationalismus möchte man Israel wünschen, einen ernsthaften Vertrauensaufbau zu den arabischen Nachbarn über das stets irgendwie loyale Jordanien hinaus und Schritte zur eigentlichen Lösung eines – längst einen Teil der Jugend – ermüdenden Konflikts zwischen Israelis und Palästinenser*innen. Es gab immer Hoffungsmomente, doch ebenso viele Rückschläge und da war die internationale Staatengemeinschaft, die nie frei von Instrumentalisierungen der Konfliktparteien agierte, sei es mit Waffenlieferungen oder politischen Signalen, die die Versöhnung auf die lange Bank schoben. Viele Menschen, die in Israel und den autonomen Gebieten leben, sind die Leidtragenden dieser Jahrzehnte langen Lösungsunfähigkeit von Politik und Diplomatie. Vielleicht provoziert das neue Bündnis auch ein gesellschaftlichen Aufbruch, der selbstbestimmt Konfliktlösungen einfordert. Eigentlich überfällig.  

Helmut Scholz im Plenarsaal in Straßburg
THE LEFT

Treffen mit dem Botschafter Armeniens in Deutschland, 10.6.2021
Jörg Bochmann

Strasbourg, im Parlamentsgebäude
Konstanze Kriese

Bahnhof Strasbourg
Konstanze Kriese

Abstimmung zum Änderungsantrag zur Patentfreigabe, eine Stimme Vorsprung
via Büro Helmut Scholz

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