Fortgesetztes Politikversagen: Ratsgipfel versucht, sich um ehrliche Bestandaufnahme des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals zu mogeln

Es soll ein kurzer Ratsgipfel heute in Brüssel werden, der sich mit der Flüchtlingspolitik, Terrorismus, Sicherheit, Jugendarbeitslosigkeit und dem Brexit befassen soll. Die Türkei ist dabei kein vordringliches Thema, aber sie wird es de facto trotzdem werden. Martina Michels, stellvertretendes Mitglied in der Delegation für die EU-Türkei-Beziehungen, kommentiert dazu:

 

„Auf mindestens drei Ebenen werden sich die EU-Regierungschefinnen und -Chefs nicht dauerhaft um einen offenen, kritischen Dialog in den EU-Türkei-Beziehungen herummogeln können. Die zugespitzte politische Lage in der Türkei hat inzwischen Hundertausende Binnenflüchtlinge aus dem Südosten des Landes produziert, die zu den wenig integrierten Flüchtenden insbesondere aus Syrien und dem Irak hinzukommen.

Die Ignoranz gegenüber den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei lässt sich nicht in der Formel des Einfrierens der Beitrittsverhandlungen konservieren oder gar, wie der österreichische Außenminister Kurz fordert, zu einem Abbruch der Verhandlungen ausbauen. Diese Entscheidung war nichts weiter als ein Stoppschild gegenüber Erdoğans autokratischen Ansprüchen. Das Einfrieren ist unbedingt an einen deutlichen Dialog mit dem Nachbarland Türkei zu binden, damit demokratische Kräfte, Minderheiten- und Frauenrechte, Medienfreiheit und Grundrechte wieder gestärkt werden, statt den antiwestlichen Stimmungen in der Türkei Wasser auf die Mühlen zu gießen.“

„Dazu gehört allerdings auch ein Ehrlichmachen innerhalb der EU-Politik. Statt den schändlichen Flüchtlingsdeal auf Länder wie Mali, den Senegal, Niger, Nigeria und Äthiopien auszuweiten, ist endlich eine humane Asylpolitik in Europa wieder auf die Agenda zu setzen! Außerdem ist dies mit umfassender internationaler Hilfe für Flüchtlinge und einer gerechten Ausrichtung in Handelsbeziehungen und der Entwicklungspolitik zu verbinden. Dieser Ansatz muss konsequent mit einem Waffenexportverbot in Konfliktregionen, einschließlich der Türkei verbunden sein.

Eine Neuausrichtung der EU-Beziehungen zur Türkei ohne gegenseitige Erpressung ist an die friedliche Lösung der Kurdenfrage gebunden und damit an ein ernsthaftes Konzept zur Befriedung des Nahen Ostens und der Beendigung des Syrienkonflikts.“

Abschließend ergänzt Martina Michels: „Das Verhindern einer offenen Verständigung zu all diesen Punkten in den EU-Türkei-Beziehungen auf dem heutigen Ratsgipfel ist fortgesetztes Politikversagen der EU. Die allermeisten der häufig genannten 70 Millionen Flüchtlinge wollen und kommen gar nicht nach Europa. Trotzdem leiden sie auch außerhalb Europas unter der Untätigkeit der EU. Das Wegschauen und das Business-As-Usual-Gebaren der Regierungschefs reicher Länder leisten dazu einen unerträglichen Beitrag der Verantwortungslosigkeit. Während die EU in Uneinigkeit glänzt (bis zur Selbstverleugnung ihrer eigenen Beschlüsse), nutzt Erdoğan diesen Spielraum um tagtäglich Menschenrechte mit Füßen zu treten und Oppostionspolitikerinnen und –Politiker zu verfolgen und zu verhaften.“