Türkei kein „Sicherer Drittstaat“
Martina Michels, stellvertretendes Mitglied der EU-Türkei-Delegation des Europaparlaments, kommentiert am Vortag der Grundsatzdebatte im Europäischen Parlament zum EU-Türkei-Deal, Veröffentlichungen der Tagesschau zu einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das die Sicherheit des Drittstaates Türkei in Frage stellt.
„Die Ergebnisse eines von der Linksfraktion im Bundestag in Auftrag gegebenen Gutachtens, strafen die Spitzen europäischer Politik weiter Lügen. Der ganze EU-Türkei-Deal ist darauf aufgebaut, dass einerseits Länder wie Griechenland ihre Gesetze so weit biegen, dass die Türkei als sicherer Drittstaat behandelt – nicht eingestuft – werden kann. Andererseits wird damit die Einstufung als Sicherer Drittstaat an keinerlei verlässliche völkerrechtliche Kriterien gebunden. Mit dem EU-Türkei-Deal im Gepäck erklärt damit auch Deutschland die Türkei unter Erdoğan auf Umwegen zum sicheren Drittstaat. „
Die Europaabgeordnete weiter: „Welche der vielen Kriterien, die die politische Grundlage des schäbigen Deals mit Ankara bilden, werden denn tatsächlich noch erfüllt? Zivilisten werden ermordet, Menschen zu Hunderttausenden aus ihrer Heimat vertrieben, Journalisten und Journalistinnen eingesperrt und eingeschüchtert, die kritischen Stimmen der Wissenschaft zum Schweigen gebracht. Erdoğan und seine AKP polarisieren immer weiter, nunmehr sogar auch in Deutschland, wie die Reaktionen um extra3 und Jan Böhmermann zeigen.“
„Wir waren von Anfang an gegen diese Verständigung zum Menschenhandel und gegen die Abmachung zum gemeinsamen Bruch des Völkerrechts. Nun hegt neben Amnesty International, den Vereinten Nationen und zahlreichen anderen Menschenrechtsorganisationen, auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Titels „Sicherer Drittstaat“ für die Türkei. Wie die tagesschau zitiert, heißt es im Gutachten unter anderem: „…Aufgrund von verschiedenen Berichten von Nichtregierungsorganisationen sowie von entsprechenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass die Anforderungen an einen sicheren Drittstaat in der Türkei nicht umfassend und in jedem Einzelfall gewährleistet sein könnten…“
„Auch das Parlament stellt den rechtsstaatlichen Verhältnissen in der Türkei ein außerordentlich schlechtes Zeugnis aus, wie die jüngsten Abstimmungen des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten (AFET) zeigten und die dazugehörige Grundsatzdebatte morgen früh ab 9 Uhr bezeugen wird.
Die Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten stehen ziemlich allein da mit ihrer wohlwollenden und tolerierenden Haltung gegenüber der türkischen Regierung. Gleichzeitig planen De Maizière und Co. schon die nächsten Abkommen mit Jordanien und Libyen. Damit werden keine nachhaltigen Lösungen für eine verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik innerhalb der EU entwickelt, sondern die Probleme ganz offensichtlich ausgelagert und dauerhaft vergrößert. Die EU-Kommission muss aus dieser unverantwortlichen Lage endlich Konsequenzen ziehen, bevor noch mehr Unschuldige und die europäische Glaubwürdigkeit vollends diesem unsäglichen Deal geopfert wird,“ fordert Martina Michels abschließend.