Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)
Nach der Abstimmung im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments
Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) Nach der Abstimmung im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments
Marika Tändler/Enno Rosenthal
Am 23./24. Januar 2013[1] fanden im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI) des Europäischen Parlaments die Abstimmungen zum Kommissionsentwurf über die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik statt, welcher unter dem zuständigen Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos anhand von vier Berichten[2] initiiert wurde. Dabei war der Sitzungsraum gut gefüllt, unter anderen mit den entsprechenden Lobby- und Medienvertretern, was von der Wichtigkeit dieser Berichte zeugt. Die europäische Landwirtschaft umfasst insgesamt 14 Millionen Landwirte, welche eine Fläche von 172.5 Millionen Hektar bewirtschafteten. Nach Betriebsklassengrößen bewirtschafteten 50% der kleinen Betriebe lediglich 2.8% der Gesamtfläche, demgegenüber 50% der Großbetriebe mit mehr als 100ha insgesamt 46.6% der Gesamtfläche bewirtschaften[3]. Dabei ist jedoch ein genereller Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe von 20% in den Jahren 2003-2007 in den 27 EU-Mitgliedsländern zu beobachten.[4] Der Beschäftigungsanteil von Vollzeitarbeitskräften in den 27-EU-Mitgliedsländern lag 2005 bei 12.7 Millionen Beschäftigten, wobei 64.9% der Arbeitskräfte Männer waren und eine Tendenz feststellbar ist, Einkommensquellen aus nichtlandwirtschaftlicher Tätigkeit zu generieren.[5] Darüber hinaus leistet die Landwirtschaft einen Beitrag zur Entwicklung regionaler und ländlicher Strukturen und erreicht vor allem in diesen Gebieten einen hohen Arbeitsmarktanteil.[6]
Deutschland – ein Sonderfall in der europäischen Landwirtschaft
In Deutschland wurden 2010 rund 357.000 km² von 1,1 Millionen Arbeitskräften bewirtschaftet, was rund 48% der Gesamtfläche ausmacht. Dabei liegt in der Betriebsgröße der größte Unterschied zwischen Nord- und Süddeutschland, als auch zwischen Ost- und Westdeutschland. Im Norden und im Osten Deutschlands sind vornehmlich größere Betriebe anzutreffen. Dies ist auf historisch bedingte Entwicklungen in den Agrarstrukturen zurückzuführen. In Westdeutschland sind 94% der landwirtschaftlichen Betriebe familienbetriebene Einzelunternehmen, wobei die Hälfte davon Nebenerwerbsbetriebe darstellen. Insgesamt ist die Erwerbsbeteiligung in der Landwirtschaft in Westdeutschland seit den 70er Jahren um 50% gesunken, wobei die Betriebszahlen zwischen 1999 bis 2007 um rund 22% abgenommen haben.
In der DDR hielt in den 60er Jahren das System der Kollektivierung der Landwirtschaft Einzug, weswegen flächendeckend zahlreiche Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) gegründet wurden. Diese bewirtschafteten 1989 rund 87% der Fläche in Ostdeutschland. Während des Transformationsprozesses wurden diese vor allem in die Rechtsform einer juristischen Person überführt, also in eine GmbH oder Genossenschaft. Eine Vielzahl dieser Großbetriebe konnte bis heute überleben, wobei sich die Betriebszahlen zwischen den Jahren 1999-2007 bei einer Anzahl von 30.000 hielten.[7] Die mit der Gemeinsamen Agrarpolitik verbundenen Direktzahlungen machten im Durchschnitt 2008/2009 eine durchschnittliche Subventionierung von 25.595 je Betrieb aus, was einem Gewinnanteil von 85% der Betriebe entspricht.[8] Insgesamt umfassen die Mittel für die Gemeinsame Agrarpolitik an die Mitgliedsländer gut 37% des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFF) der EU, wobei daneben nur der Kohäsionsfonds mit 36% ein ähnliches Volumen vorzuweisen hat.[9]
Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union – GAP
Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU hat seine Wurzeln bereits im Jahr 1958 in Verbindung mit den Römischen Verträgen, als die damaligen Mitglieder Europas sich mit hohen Lebensmittelknappheiten konfrontiert sahen. Jedoch kam es bereits zu Beginn der 70er Jahre zu Überproduktionen, was zu den berüchtigten Milchseen und Butterbergen führte. Das Ergebnis bestand darin, dass 1984 die Milchquoten eingeführt wurden und in Folge dessen, die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform erkannt wurde. Die sogenannte MacSharry-Reform von 1992 führte neben der stufenweisen Reduzierung von Preissubventionen die Direktzahlungen für die Landwirte ein. Dabei waren diese noch gekoppelt, d.h. die Direktzahlungen wurden auf der Grundlage der Anbauflächen oder der Anzahl der Tiere gewährt. Diese Koppelung wurde jedoch mit der GAP-Reform von 2003 aufgehoben. Mit der Agenda 2000 wurde, neben der bereits bestehenden ersten Säule der Direktzahlungen, die zweite Säule für die Entwicklung der ländlichen Räume eingeführt, aber auch bestimmte Umweltauflagen bestimmt (‚CrossCompliance‘).[10] Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU ist somit in zwei Säulen eingeteilt: Die erste Säule beinhaltet die Direktzahlungen, aber auch notwendige Marktmaßnahmen, wie z.B. eine öffentliche Lagerhaltung. Mit der zweiten Säule ist der sogenannte Landwirtschaftsfonds zur Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) verbunden.
Aktuelle Reformvorschläge
Die von der Kommission im Jahr 2011 veröffentlichten vier Richtlinienvorschläge befassen sich mit den Direktzahlungen, den Landwirtschaftsfonds zur Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), einer gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie der Verordnung über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik, wobei die beiden erstgenannten von erhöhtem Interesse sind. Im Fokus des Reformvorschlages steht das sogenannte ‚Greening‘, wobei der Umwelt- und Klimaschutz eine besondere Rolle einnimmt. So wird unter anderem die Ressourcenschonung, die Treibhausgasemission und die Bewirtschaftungspraktik thematisiert. Daneben richtet sich die Reform aber auch anhand der Grundprinzipien der Gemeinsamen Agrarpolitik aus, wie sie im Artikel 39 im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgeschrieben sind. Unter anderem hat die Gemeinsame Agrarpolitik die Förderung der Produktivität, eine Marktstabilisierung, aber auch eine angemessene Güterversorgung zum Ziel. Der Kommissionsentwurf schlägt unter anderem vor, dass 30% der Direktzahlungen an die Landwirte von der Einhaltung der Greening-Maßnahmen abhängig gemacht werden sollen. Ein weiteres Merkmal wäre die Einrichtung ökologischer Vorrangflächen (ÖVF) von 7%.
Das Abstimmungsergebnis im Agrarausschuss
Zu den vier Verordnungsvorschlägen der Kommission wurden zunächst Stellungnahmen einzelner Berichterstatter ausgearbeitet. Diese konnten wiederum von allen Mitglieder des Ausschusses als auch von allen anderen gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments durch Änderungsanträge kommentiert werden. Dabei kam die historische Summe von über 8.000 Änderungsanträgen zusammen. Um das Verfahren zunächst einmal transparent zu gestalten, wurde beschlossen, den Art. 70 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments betreffend interinstitutionelle Verhandlungen im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren anzuwenden.[11] Bei diesem Verfahren werden einzelne Kompromissvorschläge anhand der Änderungsanträge erstellt. Das birgt allerdings die Gefahr, dass gerade die parlamentarischen Minderheiten nicht genügend einbezogen werden. Diese erarbeiteten Kompromissvorschläge wurden anschließend am 23./24. Januar 2013 neben einer Vielzahl von Änderungsanträgen zur Abstimmung gebracht. Die Kompromissvorschläge verwässerten allerdings den Kommissionsvorschlag erheblich, so wurde eine schrittweise Einrichtung ökologischer Vorrangflächen (ÖVF) von 3% für 2014/2015, 5% in 2015/-2017 und eventuell nach 2018 auf 7% nach nochmaliger Prüfung durch die Kommission beschlossen. Die Kappung wurde auf 300.000 Euro gesetzt, wobei ab 150.000 Euro Kürzungen für zusätzliche Mittel greifen. Beibehalten wurde der Vorschlag der Kommission 30% der Direkthilfen abhängig von den Greening-Maßnahmen zu gestalten. Hinsichtlich der Bewirtschaftungspraktiken wurde festgelegt, dass Betriebe mit mehr als 10ha mehr als eine Feldfrucht anbauen müssen, Betriebe bis 30ha mindestens zwei Kulturen in einem Verhältnis von höchstens 80:20 und Betriebe über einer Gesamtnutzfläche von über 30ha müssen eine Mindestdiversifizierung von drei Kulturen beachten. Außerdem wurde ein Mittel-Transfer von der ersten Säule zur zweiten von bis zu 15% und ein Mittel-Transfer von der zweiten Säule zur ersten von bis zu 5% festgelegt. Ein weiteres Abstimmungsergebnis lag in der nun enthaltenen Möglichkeit der doppelten Förderung für umweltfreundliche Maßnahmen, sowohl aus Säule 1 als auch aus Säule 2. Für die Mittel der Risiko-Management Tools wurde beschlossen, dass diese nicht wie bisher vorgeschlagen aus der ersten Säule der Direktzahlungen zu entnehmen sind, sondern aus der zweiten Säule des Landwirtschaftsfonds. Zudem wurden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, Listen mit Ausnahmen von Direktzahlungen, wie zum Beispiel für Flughäfen, zu erstellen. Darüber hinaus soll gewährleistet bleiben, dass kein Mitgliedsland weniger als 65% des EU-Durchschnitts an Mitteln erhält. Das Abstimmungsergebnis war eindeutig. So lag die Zustimmung der vertretenen Abgeordneten für die Kompromissvorschläge hinsichtlich der Direktzahlungen bei der Gesamtabstimmung zur Aufnahme von interinstitutionellen Verhandlungen, gemäß Artikel 70 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, bei 31 zu 12 Gegenstimmen. Die Zustimmung für die Kompromissvorschläge hinsichtlich des Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) lag bei der Gesamtabstimmung zur Aufnahme von interinstitutionellen Verhandlungen bei 34 zu 10 Gegenstimmen.
Die nächsten Schritte
Im März werden die Kompromissaushandlungen in das Plenum in Straßburg getragen. Dabei können erneut Änderungsanträge eingereicht werden, was voraussehbar umfangreich geschehen wird. Darüber hinaus gab es noch vor den Abstimmungen im Agrar-Ausschuss vom Vorsitzenden Paolo De Castro die Versicherung einer umfangreichen Debatte im Plenum. Sollten diese Kompromisse als Verhandlungsgrundlage mit einer Mehrheit im Plenum durchgehen, finden anschließend die Trilog-Verhandlungen statt. Dabei werden Vertreter der Kommission, des Europäischen Rates und des Parlaments anwesend sein. Wann eine Einigung über die GAP-Reform erzielt werden wird, ist noch nicht abzusehen. Das Arbeitsprogramm der aktuellen Ratpräsidentschaft Irlands, welche bis Juni 2013 gehen wird, sieht allerdings eine mögliche Einigung bis zum Ende der Präsidentschaft vor. Dies darf jedoch bezweifelt werden! In der aktuellen Debatte konzentriert sich DIE LINKE wie bisher auf folgende Positionen:
1. Eine „Aufweichung“ oder „Verwässerung“ der KOM Vorschläge lehnt DIE LINKE kategorisch ab, denn die Vorschläge berücksichtigen bei den Direktzahlungen soziale Belange nicht ausreichend und lassen bei den Umweltstandards zu viele Spielräume, wodurch die Ziele der GAP Reform bis 2020 nicht erreicht werden können.
2. Das Budget und die Verordnung für den Europäischen Landwirtschaftsfonds zur Entwicklung des ländlichen Raumes erfüllen nach der derzeitigen Vorlage die Anforderungen zur Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung der ländlichen Räume in Europa und der Bundesrepublik nicht.
3. In der gesamten EU sollen die entkoppelten Direktzahlungen gleiche Umwelt- und Sozialleistungen gleichwertig bis zum Ende 2020 den aktiven Landwirtschaftsbetrieben vergüten. Dazu gehört eine 100%ige Umsetzung der Greeningmaßnahmen für 100% Flächenprämie. Ein Betrieb der nicht umweltgerecht arbeitet soll keine öffentlichen Leistungen erhalten. Bei Kappung und Degression sollen die Arbeitskosten der betroffenen Betriebe berücksichtigt werden, unabhängig von deren Rechts- oder Betriebsform.
4. Risiko-Management Tools und Marktmaßnahmen sollen aus Mitteln der I. Säule finanziert werden. Bis 15% der Mittel I. Säule sollen zur Stärkung der Effektivität des ELER bei 100% EU Finanzierung umgeschichtet werden.
5. Eine weitere Schwächung des ELER durch Umschichtung von Mitteln in die erste Säule lehnen wir ab. Die II. Säule der Agrarpolitik muss die finanzielle Leistungsfähigkeit der Mitgliedsstaaten besser berücksichtigen als bisher vorgesehen.
AG Agrarpolitik/ländlicher Raum beim Parteivorstand DIE LINKE
Enno Rosenthal (Vorsitzender Sprecher/innenrat) Marika Tändler (wissenschaftliche Mitarbeiterin, MdEP Prof. Dr. Lothar Bisky)
Aktuelle Verhandlungsinformationen: http://www.europarl.europa.eu/committees/de/AGRI/home.html
[1] Mediathek EP: http://www.europarl.europa.eu/ep-live/de/committees/video?event=20130123-0900-COMMITTEE-AGRI, 06. 05.2013.
[2]Luis Manuel CAPOULAS SANTOS: ‚Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik‘ – 2011/0288 (COD) Luis Manuel CAPOULAS SANTOS ‚Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Förderung der ländlichen Entwicklung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)‘ – 2011/0282 (COD) Giovanni LA VIA ‚Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik‘ – 2011/0288 (COD) Michel DANTIN ‚Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung „Einheitliche GMO“)‘ – 2011/0281 (COD)
[3] Quelle: Landwirtschaft in Deutschland und der Europäischen Union 2009, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, 2009.
[4] Quelle: Eurostat Pressemitteilung: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/5-11102011-AP/DE/5-11102011-AP-DE.PDF, 05. Februar 2013.
[5] Quelle: Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei 7, Eurostat Jahrbuch 2008.
[6] Quelle: Nahrungsmittel und Landwirtschaft, OECD 2010.
[7] Quelle: Agrarstrukturen in Deutschland – Einheit in Vielfalt. Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 2010.
[8] Quelle: Die deutsche Landwirtschaft – Leistungen in Daten und Fakten, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 2010.
[9] Quelle: http://ec.europa.eu/budget/library/biblio/documents/fin_fwk1420/MFF_COM_2012_388_de.pdf#page=18; 04.02.2013.
[10] Quelle: Anja Rohwers: Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU -Fluch oder Segen?, in ifo Schnelltest 03/2010, 63. Jahrgang.
[11]http://www.europarl.europa.eu/sides/getLastRules.do?language=DE&reference=TOC, 04.02.2013.