Die Krise und Krisenpolitik in der EU
Von Sabine Wils
Als im Frühjahr 2010 mit Griechenland ein Mitgliedsstaat der Euro-Zone kurz vor dem finanziellen Kollaps stand, war allen klar: Der Euro brennt. Dem Krisenpaket für Griechenland folgte in kürzester Zeit ein 750 Milliarden Euro schwerer Euro-Rettungsschirm, der in Not gekommene EU-Staaten stabilisieren soll. Dies geschah nicht, um etwa Konjunkturpakete für klamme EU-Staaten zu ermöglichen. Im Gegenteil: Der Rettungsschirm, der sogenannte „Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus“ (EFSF) ist keine humanitäre Hilfeleistung. Er ist vielmehr ein Signal an Banken, Pensionsfonds und Versicherungen: Rutscht ein Staat in die Zahlungsunfähigkeit, können auch mit Hilfe von der EU die Zinsen für Staatsanleihen hoch verschuldeter Eurostaaten weiter in die Höhe getrieben werden, da für ihre Gewinne im Zweifel die übrigen Eurostaaten aufkommen.
Zugleich werden mit diesen „Hilfspaketen“ den Bittstellern drastische Haushaltskürzungsprogramme auferlegt. EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds (IWF), die diese Programme den betroffenen Staaten jeweils aufoktroyieren, sind deshalb dort höchst unbeliebt. In Irland demonstrierten am 27. November 2010 zehntausende Menschen gegen die Regierung, weil sie entgegen ihren Zusagen sich nun doch unter den Rettungsschirm flüchtete und damit die Souveränität des Landes preisgab. Unterstützungsleistungen aus der EU gehen mit brutalen Auflagen für die krisengebeutelten Länder einher: Renten, Gehälter und Sozialleistungen werden drastisch reduziert, bislang durch den Staat geschützte Bereiche müssen für das Kapital geöffnet werden und öffentliche Investitionen werden gekappt. Zugleich wird eine solch geringe Unternehmenssteuer von 12,5 %, wie in Irland, nicht angetastet. Die EFSF-Mittel sind zudem alles andere als noble Spenden, auch hier geht es um verzinste Kredite, die den „Geberländern“ hohe Einnahmen versprechen.
Die Rolle des Euro
Der europäische Binnenmarkt und der Euro wirken als Hebel zur Ausplünderung wirtschaftlich schwächerer EU-Länder. Profitiert haben davon besonders die wirtschaftsstarken Mitgliedsländer der EU, allen voran Deutschland. Es sind vor allem deutsche Banken, Versicherungen und – dank der „Riester-Rente“ – Renten- und Pensionsfonds, die gewaltige Mengen Kapital an die wirtschaftlich schwachen Staaten in der EU verliehen haben. In der Weltwirtschaftskrise waren diese Staaten am wenigsten in der Lage, durch große Konjunkturpakete und Bankenrettungsfonds ihre Wirtschaft zu stabilisieren. Sie mussten weitere Kredite aufnehmen und in dem Maße, wie ihre Verschuldung wuchs, erhöhten die Gläubiger die Zinsen, die sie dafür nahmen. Mit Griechenland und Irland sind nun bereits zwei Euro-Länder an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit gedrängt worden.
Morgen können dies auch Portugal, Spanien und vielleicht auch Italien sein.
All diese Länder haben neben schweren Haushaltsdefiziten eine weitere Gemeinsamkeit: Sie haben den Euro als Währung eingeführt und damit eine aktive eigene Währungspolitik aufgegeben. Während andere EU-Mitgliedsstaaten in der Krise ihre Währungen massiv abwerteten (der polnische Złoty wurde 2009 z. B. über Nacht um über ein Drittel seines Wertes im Vergleich zum Euro abgewertet), um damit ihre (Export-)Wirtschaft auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu halten, bleiben den Staaten der Euro-Zone die Hände gebunden. Sie haben nur die Möglichkeit, durch massiven Druck auf Löhne, Gehälter und Steuern ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhalten.
Alles dem Wettbewerb unterordnen!
Standortvorteile für die eigene Wirtschaft rücken damit immer mehr in den Fokus neoliberaler Politik. Genehmigungsverfahren zu vorgeblich zukunftsweisenden Technologien wie CCS (dem Abscheiden und unterirdischen Verpressen von CO2) oder für den Neubau von AKWs geraten unter Druck. Umwelt- und Klimaschutzstandards gelten als teure Mehraufwendung, die es allemal zu umgehen gilt.
Entsprechend äußerte sich Graham Weale, der Chefvolkswirt von RWE am 29.11.2010 in der Financial Times Deutschland: „Klimaschutz um jeden Preis macht keinen Sinn, er muss effizient sein und fairen Wettbewerb schaffen. Was nicht marktgerecht ist, wird unter dem Druck des Wettbewerbs zusammenbrechen.“
Lediglich Wettbewerbsvorteile wollen auch Umweltminister Röttgen sowie der britische und der französische Energieminister für ihre Länder erreichen, indem sie schärfere Klimaschutzziele für die EU in Kombination mit Investitionsprogrammen für die öffentliche Infrastruktur fordern. Mit strengeren Umweltauflagen sollen technische Innovationen befördert werden, auch damit Deutschland, Frankreich und Großbritannien weiter modernste Umwelttechnologien exportieren können.
Militarisierung der EU
Einhergehend mit den sich verschärfenden kapitalistischen Widersprüchen bemühen sich die Staaten in der EU, die Union zur Sicherung der eigenen Rohstoffquellen (z. B. von sogenannten Seltenen Erden) militärisch nutzbar zu machen. Das „Weißbuch“ der Bundeswehr von 2006 schreibt bereits fest, dass zur Sicherung von Energie- und Rohstoffquellen auch militärische Einsätze Wahl der Mittel sein können. Die Aufrüstungsverpflichtung der EU-Staaten nach dem Lissabon-Vertrag und eine gemeinsame Interventionspolitik, die sich als „Sicherheitspolitik“ tarnt, sind da nur konsequent. Pleite-Kandidaten wie Griechenland haben deswegen, auch in der Krise, immer noch gigantische Militäretats, die weitgehend unberührt bleiben. Gekauft wird vor allem bei den großen Rüstungsproduzenten in der EU (in Deutschland, Frankreich und in Großbritannien).
Entdemokratisierung der EU-Länder
Während brutales Lohndumping, Zerstörung der natürlichen Umwelt und der Ellenbogenkampf um die Rohstoffplätze der Welt mittels der EU auf dem Rücken der schwächeren EU-Partner ausgetragen werden, will vor allem die deutsche Bundesregierung die Daumenschrauben für von der Pleite bedrohte EU-Länder weiter anziehen. Bis zur Einschränkung der politischen Partizipationsmöglichkeiten (Verlust des Stimmrechts im Europäischen Rat) reichen die Vorschläge, kommen EU-Staaten nicht aus eigener Kraft aus der Defizitfalle. Diejenigen europäischen Länder, die mittels des Euros und der EU über Jahre insbesondere von der deutschen Wirtschaftspolitik gebeutelt wurden, sollen jetzt auch noch den Rest Souveränität verlieren.
Doch damit konnte sich die Bundesregierung bisher nicht durchsetzen. Sie begnügt sich einstweilen damit, den Defizitstaaten brutale Sparpakete zu diktieren, die ihre Binnenwirtschaft weiter abwürgen und die Abhängigkeit von den Banken erhöhen werden.
Damit dies in Zukunft auch mit europäischem Recht korrespondiert, soll der gerade erst in Kraft getretene Lissabon-Vertrag bereits wieder geändert werden. Dieser sieht vor, dass sich EU-Staaten nur im Falle von Katastrophen gegenseitig finanziell unterstützen dürfen. Indem die Wirtschaftskrise zur Katastrophe erklärt wurde, konnte der 750 Milliarden Euro Rettungsschirm aufgespannt werden. 2013 laufen aber der „Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus“ und das Griechenland-Rettungspaket aus. Bis dahin soll die Änderung des Lissabon-Vertrages unter Dach und Fach gebracht sein. Und wenn es nach den Regierungen der EU-Staaten geht, dann diesmal ohne langwierige und unkontrollierbare Volksabstimmungen. Der unter großen Anstrengungen auf den Trümmern des von mehreren Volksabstimmungen zu Fall gebrachten EU-Verfassungsvertrages ausgearbeitete und gerade erst in Kraft getretene Lissabon-Vertrag soll nach dem Willen der bestimmenden Länder nur an dieser Stelle geändert werden.
Doch die Kernelemente des Vertrages, in denen die Politik festgeschrieben ist, die die Krise verursacht hat, werden nicht angetastet. Zu nennen sind hier vor allem die vier neoliberalen Grundfreiheiten der EU: Die Waren-, Kapital,- Dienstleitungs- und die Personenfreiheit. Sie bestimmen den EU-Binnenmarkt. Aus ihnen folgen Deregulierung, Entstaatlichung und Privatisierung. Wer hieran festhält, verhindert Demokratie und verfolgt eine Politik, die die Umverteilung von unten nach oben befördert und Millionen Menschen weiter in soziale Unsicherheit und Armut treibt.
Für eine Komplettrevision der Europäischen Verträge
Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise ist noch lange nicht zu Ende. Griechenland und Irland sind unter den Euroländern die ersten Opfer. Doch die gerade erst durch gigantische nationale Hilfen geretteten Banken und Finanzinstitute spekulieren bereits gegen die nächsten Länder. Für die Risiken dieser Politik kommt weiterhin das Heer der abhängig Beschäftigten und sozial Schwachen auf.
Der Kapitalismus entfaltet dabei seine zerstörerischen Kräfte. Er verhindert Wohlstand für alle, vernichtet die Umwelt, zerstört die Demokratie und befördert grausamste Kriege. Deswegen wollen wir ihm die Handlungsgrundlagen entziehen und dem freien Spiel der Banken und Konzerne ein Ende bereiten.
Den Stabilitäts- und Wachstumspakt wollen wir durch einen Pakt für nachhaltige Entwicklung, Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit und Umweltschutz ersetzen. Der europäische Finanzsektor sowie Unternehmen und Konzerne, die Politik und Wirtschaft beherrschen, müssen unter öffentliche Kontrolle gestellt werden.
Als Sofortmaßnahmen fordern wir: Der Handel mit Kreditderivaten und Verbriefungen, Hedgefonds u. ä. muss verboten werden. Die Enteignung von Millionen arbeitender Menschen in der EU, jetzt wieder in der Krise geschehen, muss rückgängig gemacht werden. Wir fordern Mindestlöhne in allen Ländern der EU, die mindestens 60 % des Durchschnittslohns des jeweiligen Landes erreichen. Devisen- und Börsengeschäfte sind durch entsprechende Steuern einzudämmen. Die Europäische Zentralbank, die für die Währungspolitik zuständig ist, muss durch das Europäische Parlament kontrolliert werden. Sie soll auf Preisstabilität, nachhaltige Entwicklung und Beschäftigungsförderung verpflichtet werden. Europäische Regulierungs- und Aufsichtsstrukturen müssen aufgebaut und bestehende gestärkt werden, um so Spekulationen zu verhindern. Öffentliche Zukunftsinvestitionsprogramme, wie DIE LINKE. sie seit Beginn der Wirtschaftskrise fordert, an Stelle von Milliardensubventionen für die Finanzindustrie und einer kostspieligen Militärpolitik, wären schon ein erster Schritt zu einem Politikwechsel.
Ein antikapitalistisches Projekt: Neugründung der EU
Die LINKE. hat bisher, so in ihrem Europawahlprogramm 2009, eine demokratische Neubegründung der Europäischen Union gefordert.
Für ein anderes Europa, das nicht mehr von den Interessen der Finanzindustrie und der Konzerne bestimmt wird, sondern sozialen Fortschritt und ökologischen Strukturwandel fördert, muss die EU auf einer völlig anderen Vertragsgrundlage neu aufgebaut werden. Ein solch sozialer, friedlicher und demokratischer Neuaufbau setzt eine Komplettrevision der Europäischen Verträge, insbesondere des Lissabon-Vertrages voraus. Eine linke europapolitische Strategie darf die Kritik am Lissabon-Vertrag nicht verwässern, wie dies in der LINKEN in der Vergangenheit versucht wurde, sondern muss sich für das Reformprojekt der Neugründung der EU einsetzen.
Erschienen auf www.sozialistische-linke.de