Martinas Woche 38_2023: Viel Regional- und Kulturpolitik sowie ein Blick nach Bergkarabach
Regionalausschuss: Industriepolitik und Just Transition für die Autoindustrie – Kulturausschuss evaluiert Programme – Aserbaidschan will widerrechtlich Fakten in Bergkarabach schaffen
Eine klassische Ausschusswoche liegt hinter uns, in der im Regional- und im Kulturausschuss viele wichtige Berichte behandelt wurden. Zusätzlich verfolgte Martina die Sonderdebatte im Außenpolitischen Ausschuss aufgrund der Bombardements Aserbaidschans in Bergkarabach und kommentierte den erneut eskalierenden Konflikt.
Sonderdebatte im Außenpolitischen Ausschuss zm Bombardement in Bergkarabach
„Ich verurteile auch die jüngsten militärischen Angriffe Aserbaidschans auf Bergkarabach aufs Schärfste. Wir können nicht hinnehmen, dass die EU weiterhin mit Aserbaidschan in Komplizenschaft verharrt, statt endlich zu handeln und Sanktionen gegenüber Aserbaidschan zu erwägen, solange keine Lieferung ziviler Waren nach Bergkarabach ermöglicht wird.“, kommentierte Martina am vergangenen Mittwoch die Bombardements in Bergkarabach. Wir hatten schon darüber in der vergangenen Woche berichtet. Der Außenpolitische Ausschuss hatte vergangene Woche schnell reagiert. Viele Abgeordnete erinnerten die EU-Kommission und den Außenpolitischen Dienst daran, nicht weiter zuzuschauen, wie nach der Blockade die ethnischen Säuberungen gegenüber der armenischen Bevölkerung weitergehen und Baku sich dabei feiert. Einer Lösung ist diese Konfliktlage bisher kaum einen Schritt näher gekommen. Derzeit überwiegen die bitteren Meldungen der Vertreibung aus der seit Jahrzehnten umkämpften Region.
Regionalpolitik I: Strukturfonds für mehr Industrieförderung STEP: erste Schrittchen – viele Konflikte
Am vergangenen Mittwoch entschied der Regionalausschuss über zwei wichtige Stellungnahmen, deren Umsetzung dazu beitragen sollen, die Technologie-Entwicklung in Europa anzukurbeln. Dabei ging es einmal um die Plattform „Strategische Technologien für Europa“ (STEP). Mit STEP soll es darum gehen, Investitionen in digitale, saubere und Bio-Technologien zu unterstützen und deren Einsatz mit einem „Souveränitätssiegel“ auszuzeichnen. Das ist alles noch weit entfernt von einem„europäischen Souveränitätsfonds“, wie wir an anderer Stelle schon kritisiert haben. Der Investitionsschwerpunkt folgt den Kriterien, die der Ausschuss generell an die Strukturförderung bindet: Es werden vorrangig KMUs gefördert sowie grenzüberschreitende Projekte und die neue Jobs für junge Menschen bringen, insbesondere in strukturschwachen Regionen. Weitere Details, auch zur folgenden Abstimmung findet ihr hier.
Für das neue „Netto-Null-Industrie“-Gesetz (NZIA) sollen ebenfalls EU-Strukturfonds-Fördermittel bereitstehen. Das ist verständlich, weil in vielen Förderprogrammen ohnehin Klima- und Umweltschutz ganz oben rangieren. Das Gesetz soll den Regulierungsrahmen für die Herstellung dieser Technologien vereinfachen – zu deutsch: Bürokratie abbauen helfen und somit dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der Netto-Null-Technologieindustrie in Europa zu steigern. Es wird auch die Kapazität zur Speicherung von CO2-Emissionen beschleunigen. Eine Netto-Null-Europa-Plattform soll dabei unterstützen, Maßnahmen zu koordinieren und Informationen auszutauschen, auch im Zusammenhang mit Netto-Null-Industriepartnerschaften. Doch die Pferdefüße dieser Herangehensweise lauten schlicht: Es wird nicht mehr Geld geben und manche Technologien sind durchaus in ihrer nachhaltigen klimaschützenden Wirkung umstritten.
Regionalpolitik II: Kommt ein Just Transition Fonds für die Automobilindustrie?
Die Automobilindustrie und die Politik haben die Umstellung auf umweltfreundlichere Autos, in andere Fahrzeuge, alternative Antriebe und in dementsprechende Investitionen zu einer strukturell tiefgreifenden Verkehrswende, weg vom Individualverkehr jahrzehntelang verschlafen. Nun reiben sich alle die Augen, was die Konkurrenten in China bei e-Autos bewegen. Während die Kommissionspräsidentin Anti-Dumping-Verfahren gegenüber China ankündigte, rufen die Automobilhersteller und -zulieferer nach staatlichen Beihilfen und Fördermitteln, was nachvollziehbar ist, einmal, weil die noch wohlhabenden Automobilregionen eine Perspektive für die vielen Beschäftigten wollen, andererseits die Zulieferer und Dienstleister in diese Veränderungen eingebunden sein müssen. Deshalb erarbeitet der Regionalausschuss aktuell einen Initatiavbericht mit dem epischen Titel: „Umgestaltung des künftigen Rahmens der EU-Strukturfonds zur Unterstützung der besonders von den Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Übergang in der Automobilindustrie sowie dem ökologischen und dem digitalen Wandel betroffenen Regionen“. Im Gespräch ist ein neuer „Just Transition Fund 2.0“ und wir werden darauf achten, dass die soziale Seite eines gerechtes Übergangs darin auch wirklich großgeschrieben und die Perspektive der Mobilitätswende wirklich deutlich wird. Inhaltlich kann man sich hier bei den Positionen, die in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel von Manuale Kropp und anderen zusammengefasst wurden, schlau machen. Ende Oktober wird der Ausschuss schon über diesen Bericht abstimmen.
Regionalpolitik III: Lesetipp – Martina Michels und Frederike-Sophie Gronde-Brunner über linke Regionalpolitik
Die Linke-Politikerinnen Martina Michels und Frederike-Sophie Gronde-Brunner sind in der Regionalpolitik aktiv, die eine im Europaparlament, die andere in Berlin. Sie haben die europäische Woche der Regionen und Städte zum Anlass genommen für einen Artikel darüber, warum linke EU-Kohäsionspolitik in Brüssel und vor Ort so wichtig sind: Den Regionen eine Stimme in Europa geben, erschienen am 11. September 2023 im ND.
Kulturpolitik I: Erasmus+ hatte trotz gutem Start auch unübersehbare Probleme
Im Kulturausschuss standen diesmal die Implementierungsberichte der Programme, die vor allem vom Kulturausschuss profiliert und erarbeitet werden (Erasmus+, Creative Europe, Solidaritätskorps und ein Demokratieförderprogramm) zur Debatte. Der Berichterstatter für das Erasmus+ Programm, Milan Sver, nahm gleich zum Auftakt den Wind aus den Segeln der positiven Einschätzungen über die Wirkung eines der Flaggschiffe der EU-Förderungen im Bildungsbereich, dem Erasmus+-Programm. Der Fachkräftemangel wird vom Programm noch nicht richtig erfasst, sagte er kurz und bündig. Es ist noch immer stark auf den Hochschulaustausch orientiert, obwohl der Ansatz im Programm für die Jahre 2021 bis 2027 erstmalig viel breiter aufgestellt wurde. In der Debatte wurde daran erinnert, dass dereinst ein spanischer Kommissar in den 1980ern für dieses Programm stritt, sich jedoch der Rat damals dagegenstemmte, denn Bildung liege nun einmal in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Doch allein der sichtbare Fachkräftemangel weitet sich zum europäischen Problem aus und Initiativen für die berufliche Bildung müssen endlich eine viel größere Rolle spielen. Darüber waren sich alle im Ausschuss einig. Die Kommission hat zur Auswertung der Programmwirkungen am 13. September 2023 einen Überwachungs- und Evaluationsrahmen beschlossen, um die Halbzeitüberprüfungen vorzubereiten. Dafür ist seit dem 15. September eine zwölfwöchige öffentliche Konsultation freigeschaltet, bei der Träger, NGOs, Bildungsinstitutionen, Ausbildungsbetriebe usw. die Chance haben, Feedback zum Programm zu geben. Das Jahresprogramm für 2024 ist mit seinen 4,4, Mrd. Euro Budget auch bereits veröffentlicht. Nach der Pandemie sind Mobilitätsförderungen wieder stärker im Fokus. Trotzdem konnten viele gute Anträge wegen fehlender Mittel wieder nicht genehmigt werden. Die Ukraine-Unterstützung wurde ebenfalls groß geschrieben. Bei den Ausschreibungen für 2024 greifen schon Schlussfolgerungen aus den bisherigen Berichten, z. B. wird auf die Inflation durch höhere Zuschüsse reagiert, was jedoch dazu führen wird, dass insgesamt weniger Projekte finanziert werden können.
Eine umfangreiche Debatte zu den Wirkungen des sanktionierenden Rechtsstaatsmechanismus gegenüber Ungarn wurde heftig im Ausschuss diskutiert. 18.000 Student*innen wurden von Erasmus aufgrund der Sanktionen ausgeschlossen. Einige forderten die direkte Unterstützung, andere reklamierten, dass der Grund für den Ausschluss nicht „die EU“ ist, sondern die Ungarische Regierung und die Sanktionsmittel wahrlich nicht üppig sind.
Kulturpolitik II: Creative Europe – unterfinanziert, unterfinanziert, unterfinanziert
Massimiliano Smerilio, der Berichterstatter für das Creative Europe Programm, monierte, dass aus den ersten Umsetzungsjahren zu wenig Daten für den Bericht zur Verfügung gestanden hätten, weshalb seine Erstellung nicht ganz so einfach war und sich nur auf die ersten beiden Jahre, die noch sehr von Corona geprägt waren, bezieht. Klar ist schon jetzt, dass das Programm positiv auf die Konfliktsituationen – Pandemie und der Krieg in der Ukraine – reagiert hat. Es gab Aufstockungen und höhere Ko-Finanzierung, sowie Bezuschussung für mehrere Jahre, aber die Inflation frisst jetzt alles wieder auf. Doch der große Wermutstropfen bliebt: Das Programm ist und bleibt unterfinanziert! Im größten Programmteil Media, das dem audiovisuellen Sektor gewidmet, fehlen weiterhin Mittel, um besonders grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Unternehmen zu fördern, auch wenn die Zusammenarbeit mit MediaInvest und damit mit InvestEU positive Effekte hatte.
In der Debatte wurde sich stark auf die neuen Profilierungen bezogen: Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion und Nachhaltigkeit. In diesen Bereichen sind auch die meisten Änderungsanträge zu erwarten. Martina ist Schattenberichterstatterin für dieses Programm und ging in ihren Änderungsanträgen ebenfalls auf den Bedarf der Sicherung der kulturellen Diversität ein. So zeigten doch beispielsweise die diesjährigen Vorführungen des Lux-Film-Preises, insbesondere in Bulgarien, wo Veranstaltungen wegen homophoner Ausschreitungen abgebrochen werden mussten, dass hier einiges passieren muss, um Kunstfreiheit europaweit zu sichern. Das Programm macht 0,2 Prozent des Europäischen Haushaltes aus. Das ist schlicht zu wenig, wenn man bedenkt, welche Bedeutung, Bücher, Spiele, Musik, Film und vieles mehr für die Menschen haben und welche Rolle dieser Sektor auch wirtschaftlich spielt. Die Kommission gelobte weiterhin Vereinfachungen in der Programmteilnahme, so dass auch kleinere Projekte mehr Chancen haben.
Kulturpolitik III: Das EU-Freiwilligenprogramm Solidaritätskorps
Die Berichterstatterin Michaela Šojdrová betonte, dass dieses Flaggschiff für Freiwilligenarbeit ein Ausdruck der Solidarität ist, was sich auch angesichts der Unterstützung von geflüchteten aus der Ukraine bewährt hat. Zu Beginn waren jedoch eine verspätete Haushaltsbereitstellung und die Pandemie mehr als problematisch, zumal die IT-Instrumente zur Beantragung, vor allem auch die mangelnde sprachliche Unterstützung, alles zusätzlich erschwerten. Deutlich wurde auch, dass Visa-Probleme für Menschen, die nicht aus dem Schengen-Raum kommen, schneller gelöst werden müssen. Auch dieses Programm erlebt überdies die hoffnungslose Überzeichnung. Die Hälfte aller Antragsteller kommt nachträglich in den Genuss der Förderung, obwohl das Programm wesentlich kleiner als Erasmus ausgestattet ist. Nicht ausdiskutiert ist, ob die sogenannte „virtuelle Gemeinnützigenarbeit“ eine gute Sache ist. Klar ist insgesamt jedoch, dass auch dieses Programm eine europäische Staatsbürgerschaft und verbindende Identität fördert. Die Kommission schloss hier an und verwies auf die Europäische Jugendwoche im April 2024, die genutzt werden sollte, um das Programm noch bekannter zu machen und die Rolle der nationalen Agenturen zu stärken. 43.000 junge Menschen nutzen derzeit das Programm. Es konnten auch Menschen nach Naturkatastrophen in die Türkei und nach Slovenien gesendet werden. Klar, das Programm ist kein Notfallprogramm, die Sicherheit der Teilnehmer hat oberste Priorität.
60 Millionen Euro bekam das Programm zusätzlich aus dem Horizon-Programm für junge Menschen, die sich für Umweltbelange einsetzen wollen. Inklusion ist ebenfalls sehr wichtig. Die Halbzeitüberprüfung wird vorbereitet und soll Ende 2024 zur Verfügung stehen.
Kulturpolitik IV: Programm „Citizens, Equality, Rights and Values“ (CERV) der Europäischen Union
Das kleine, feine und jüngste der Programme, die der Kulturausschuss prägt, ist das CERV-Programm, das der Berichterstatter Lukas Kohlt vorstellte. Aus den Problemlagen der anderen Programme wurde schon deutlich, dass es eine wichtige Funktion hat, Wertedebatten und Demokratisierung in der EU nicht dem Selbstlauf zu überlassen. Wichtig auch, dass das Programm insbesondere auch die Teilhabe in den Mittelpunkt ihrer Projektarbeit stellt. Um sich einmal schlau zu machen, was alles mit diesem Programm möglich ist, verweisen wir hier auf die deutsche Kontaktstelle, bei der auch die aktuellen Calls zu finden sind.