Martinas Woche 8_2022: „Peace – Stop the War in Ukraine“
UN-Sicherheitsrat schlägt fehl – EU sanktioniert – Demonstrationen und Politik gegen den Krieg – Vorschau: Sonderplenartagung des Europäischen Parlament
Der Schock des 24. Februar 2022 sitzt europa- und weltweit tief. Putin lässt in die Ukraine einmarschieren und wartete nicht erst, bis ihm ein „Grund“ in den Regionen um Luhansk und Donezk, die er zuvor am 22. Februar 2022 einfach als selbständige Republiken anerkannte, geliefert wird, um direkt Kiew anzugreifen. Sein Traum vom Großrussischen Reich, den er im vergangenen Jahr in einem Artikel bekräftigte und mit seinen jüngsten Reden weiterentwickelte, seine Ethnisierung des Konflikts, genügte ihm, um einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine als Befreiungsschlag zu etikettieren. Putin hat alle diplomatischen Kanäle zur Konfliktlösung mit Füßen getreten! Auch in Russland wird gegen den Krieg demonstriert und Kriegsveteranen des 2. Weltkrieges haben ihre Teilnahme am Tag des Sieges am 9. Mai 2022 in Moskau als Protest gegen Putins Aggression abgesagt.
UN-Sicherheitsrat schlägt fehlt
Martin Schirdewan hatte in der Februar-Plenarsitzung vor Ausbruch des neuen Krieges gegen die Ukraine durch Putin gesagt: „Alle Seiten müssen an einer Friedensordnung arbeiten. Nicht die NATO ist die internationale Ordnungsmacht. Diese Rolle kommt noch immer dem internationalen Recht und den Vereinten Nationen zu.“ Wie schnell dann der UN-Sicherheitsrat tagen sollte, wusste niemand am 16. Februar 2022, als unserer Fraktionsvorsitzender mitten in der sichtbaren Eskalation des Konflikts in der Plenardebatte sprach.
Hoffnungsvoll und – schaut man auf die komplizierte Realgeschichte des afrikanischen Kontinents – auch ungewöhnlich, war die Rede des Vertreters Kenias im UN-Sicherheitsrat, Martin Kimani. Er sagte deutlich: „Hätten wir bei der Unabhängigkeit entschieden, Staaten auf der Grundlage ethnischer, rassischer oder religiöser Homogenität zu gründen, würden wir viele Jahrzehnte später immer noch blutige Kriege führen. Stattdessen einigten wir uns, die Grenzen so zu belassen, wie wir sie erbten – aber kontinentweite politische, ökonomische und rechtliche Integration zu verfolgen. Statt Nationen zu bilden, die rückwärts in die Geschichte blicken mit einer gefährlichen Nostalgie, entschieden wir uns für den Blick nach vorn in eine Größe, die keine unserer vielen Nationen und Völker je gekannt hat.
Wir entschieden uns, den Regeln der OAU und der Charta der Vereinten Nationen zu folgen, nicht weil wir mit unseren Grenzen zufrieden waren, sondern weil wir etwas Größeres wollten, das im Frieden entsteht.“
Doch der UN-Sicherheitsrat schlägt letztlich wegen des Veto-Rechts Russlands erst einmal fehl, so dass eine erneute Resolution gegen Russlands Einmarsch in die Ukraine jetzt der UN-Vollversammlung vorgelegt werden.
EU stellt Sanktionen gegen Russland scharf – Deutschland schickt Waffen in Krisengebiete
Es dauerte noch wenige Tage, dann stimmte auch Deutschland dem Ausschluss Russlands vom SWIFT-Verfahren, dem standardisierten Skelett des internationalen Zahlungsverkehrs, zu. Nach der Sonderhilfe von 1,2 Mrd. Euro für die Ukraine durch die EU werden nun doch die Mitgliedsstaaten verstärkt auch Defensivwaffen in die Ukraine liefern, darunter auch Deutschland.
Was neben der Einstellung des Flugverkehrs und diversen Wirtschaftssanktionen nicht zu übersehen ist: Die große Politik versinkt in der Kriegslogik. Die Auswege, zur Diplomatie zurückzukehren, scheinen versperrt. Die EU-Innenminister*innen einigen sich immerhin auf die einjährige Aufnahme von Menschen, die aus der Ukraine flüchten, ohne Asylverfahren und mit Arbeitserlaubnis. Die Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten tagen noch immer. Der Turn zur gemeinsamen Aufrüstung in der EU mit einer engen Bindung an die NATO wird deutlich und die Gefahr der Dauerhaftigkeit dieser Politik, die eher in einen neuen Kalten Krieg mündet, statt in eine Konfliktlösung für eine multipolare Welt, ist dabei nicht zu übersehen.
Wo beginnt Solidarität für und bei der Verteidigung der Ukraine und wo der Einstieg in eine dauerhafte Militärlogik internationaler Politik, die sich von Waffenlieferungen in Krisengebiete nicht mehr lösen kann? Auch linke Politik steht hier vor einer Fülle offener Fragen, die dem Ziel dienen muss, aufzuzeigen, wie Konfliktparteien an dem Verhandlungstisch zurückfinden, der international verantwortlich geführt werden muss. Mit dauerhafter Erhöhung vom nationalen Wehretat werden wir gar nichts bewältigen, wenn wir nicht die internationale Rüstungskontrolle endlich voranbringen. Das Verbot der ABC-Waffen ist doch das Mindeste, was endlich wieder auf den Tisch muss, wie Putins Drohungen klar beweisen.
Linksfraktion im Bundestag agiert gemeinsam mit der Parteiführung – Linke Regionale Regierungen bereiten sich auf Flüchtende vor
Amira Mohamed Ali sprach heute bei der Sondersitzung im Bundestag und betonte, dass Wettrüsten noch nie Sicherheit geschaffen hat. Zu Beginn von Putins Einmarsch in die Ukraine hatte die Bundestagsfraktion schon ebenso klar wie die Linksfraktion in Brüssel reagiert. Der Aggressor heißt Putin, hielt Dietmar Bartsch in einem Deutschlandfunkinterview am 25. Februar 2022 fest und die linke Fraktions- und die Parteispitze in Berlin verurteilten schon den angedrohten völkerrechtswidrigen Einmarsch am 22. Februar 2022.
Unser Fraktionsvorsitzender Martin Schirdewan reagierte in Brüssel auf den Einmarsch Russlands am 24. Februar 2022 und forderte, genau wie unsere außenpolitische Delegationssprecherin, Özlem Demirel, die Rückkehr zum Verhandlungstisch.
Die Folgen des furchtbaren Krieges in der Ukraine sind die allbekannten. Die Menschen fliehen und wir müssen unsere praktische Solidarität vor allem im Alltag zeigen. Schon am zweiten Tag des Krieges konnte man die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping im Info-Radio hören: „Wer am Wochenende nach Berlin komme, könne sich an das Ankunftszentrum in Reinickendorf in der Oranienburger Straße wenden… ‚ Das ist erst mal nur eine vorübergehende Lösung.‘ Kommende Woche würden dann neue, eigene Strukturen für die Menschen geschaffen.“
Genau dazu tagten heute die EU-Innenminister und in ziemlicher Einigkeit, wie wir schon anmerkten, gibt es Unterstützung, die man sich jedoch auch genauso für andere Menschen in Not, für real Asylberechtigte wünschte.
Sondersitzung des Europaparlaments am 1. März 2022
Am Dienstag wird es von 12 bis 15.45 Uhr eine Sondersitzung im Europaparlament (Resultate der Abstimmung 16.45 Uhr) geben. Damit stehen bei der Positionierung des Parlaments die heutigen Entscheidungen der Innen- und der Außenminister der EU-Mitgliedsländer mit zur Debatte.
Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine in ganz Europa
Am Samstag, dem 26. Februar 2022, hatten Pax Christi, Vrede, Attac Bruxelles, die PTB (Partei der Arbeit Belgiens) und andere in Brüssel unter dem Motto „Peace – Stop the War in Ukraine“ zur Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine aufgerufen. Am Gare Central, dem Central-Bahnhof, trafen sich hunderte Leute und starteten mit Musik auf roten Eisentonnen. In Reden wurde ein Stopp der Kampfhandlungen, ein Ende des Krieges in der Ukraine gefordert. Der Parteichef der PTB, Raoul Hedebouw, und unser Belgischer Europaabgeordneter Marc Botenga waren vor Ort. Die Peace-Flaggen waren in der Mehrzahl, durchsetzt von einigen blau-gelben Fahnen. Auf einem der Schilder stand “Has history nothing taught you“ („Hat Dich die Geschichte nichts gelehrt?“). Auch die NATO wurde von den Demonstrant*innen aus allen Generationen ins kritische Visier genommen. Unsere ehemalige Kollegin, Manuela Kropp, die jetzt bei der Rosa-Luxemburg Stiftung unter anderem zur Energiepolitik arbeitet, war bei der sehr kämpferischen Demonstration gemeinsam mit Roland Kulke von transform mit dabei, weil, wie sie sagte, dieser Krieg sofort gestoppt werden muss und alle an den Verhandlungstisch zurück müssen. „Die Demo gestern hat gezeigt, wie sehr sich die Menschen Frieden und Abrüstung wünschen.“
Überwältigend war ebenso die heutige Manifestation in Berlin, bei der davon ausgegangen wird, dass sich eine halbe Million Menschen aufgemacht hatten, um gegen den Krieg in der Ukraine anzugehen und eine Rückkehr zum Frieden in Europa einzufordern. Die furchtbare Nachricht, dass Putin auch den Bestand der Atomwaffen in der Kriegsführung nicht mehr ausschließt, durchkreuzte die Demonstration und so überwältigend und klar sie ausfiel, so deutlich war auch eine zum Teil gedrückte Stimmung, eine Angst, dass politische Lösungen nicht mehr aus der Kriegslogik herausführen. Raik Weber, ein Genosse aus dem Prenzlauer Berg, der mit vielen anderen Menschen gemeinsam zur Demonstration gegangen war, hielt für uns fest: „Es war eine Anti-Putin-Demo. Sie richtete sich nicht gegen Russen, sondern gegen den Kreml. Die ganze Stadt war unterwegs.“