Martinas Woche 49_2021: Die volle Packung Europapolitik vorm letzten Plenum in Straßburg
Städte und Regionalpolitik – Ungleichheit – Jugend – Lux-Film – Geldwäsche – Plenarfokus – Nordirland und der Brexit
Brüssel hat sich vorweihnachtlich herausgeputzt und sicher auch Straßburg, wohin sich die Europaabgeordneten heute ein letztes Mal für dieses Jahr zur Plenartagung begeben, wenn sie sich nicht entscheiden, online an den Sitzungen und Abstimmungen teilzunehmen. Die pandemische Lage verschärft wieder das Reisen und verkompliziert die Quarantänebestimmungen, weil es durch mehrere Mitgliedstaaten geht, so dass das Arbeiten im Homeoffice weiterhin angesagt ist. Für die Tagungen und Abstimmungen ist das Arbeiten im Remote-Modus sicherlich gerade so erträglich, für die eigentlichen politischen Begegnungen, zum Beispiel mit Filmleuten, mit Jugendlichen, mit NGOs, die gern auch die Plenarwochen nutzen, um mit den Parlamentarier*innen ins Gespräch zu kommen, ist das Virus auch ein echtes Desaster. Trotzdem sind die Terminpläne vollgepackt und die Ausschusssitzungen tagten sogar in der vergangenen Woche zum Teil außerplanmäßig.
2022: Europäisches Jahr der Jugend
Der Kulturausschuss traf sich letzten Mittwoch und verabschiedete seinen Bericht zum Europäischen Jahr der Jugend, der in der kommenden Woche, am Dienstag, 14. Dezember 2021, vormittags noch einmal vorgestellt, sofort diskutiert und am Mittag schon abgestimmt wird. Ein Streitthema ist die Europäische Jugendpolitik ganz sicher nicht. Damit sich die Hoffnung, dass in den Mitgliedstaaten unter den anhaltenden Pandemiebedingungen mehr für junge Menschen getan wird, bewahrheitet, ist dann doch einiges zu tun. Gleich zwei Programme mit kleinem Aufwuchs und großer Wirkung bietet die EU hier als Rückenwind an: Erasmus+ und das Europäische Solidaritätskorps. Diese waren auch schon in der Vergangenheit die entscheidenden Pfeiler aller europäischen Ansätze, da sie besonders den Austausch, das Wissen über die Nachbarn, Sprach-, Studien- und Berufserfahrungen in den Mittelpunkt stellten, und das nicht nur bei den Jugendlichen, sondern inzwischen auch bei Lehrkräften. Viel wurde debattiert, damit die Programme sozialer, inklusiver und derzeit auch digitaler werden, obwohl dies die notwendigen Begegnungen, ob in der Berufsausbildung, bei kulturellen Ereignissen und bei der Selbstorganisation der Mitbestimmung Jugendlicher, nicht aufwiegen kann. Derzeit beteiligen sich junge Leute auch an der Konferenz zur Zukunft Europas. In diversen Formaten begleiten auch Medienvertreter*innen wie die Deutschen Welle mit ihrem Projekt ENTR den Austausch junge Leute, denn die besten politischen Vorhaben bleiben geduldiges Papier, wenn sie nicht im Alltag Jugendlicher gegenwärtig sind.
Regionalpolitik: Von der Zukunft der Städte bis zu Transformation der Automobilindustrie
In einem umfangreichen Artikel zur aktuellen Regionalpolitik berichten Martina Michels und Nora Schüttpelz von den Diskussionen im REGI-Ausschuss, die sich u. a. um die Zukunft der Städte drehten, einmal ganz unmittelbar und auch durch die begonnene Konsultation zum „Neuen Europäischen Bauhaus“. Verwiesen wird ebenso auf neue Förderungen im Interreg-Programm und auf eine interessante Veranstaltung in der kommenden Woche, die sich der „Notwendigkeit der Transformation: Herausforderungen für den internationalen Automobilsektor“ widmen wird. Am Donnerstag, 16. Dezember 2021, 18 bis 19.30 Uhr wird die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel im Rahmen dieser Veranstaltung eine neue Publikation vorstellen. Mehr Informationen gibt es hier.
LUX-Publikumspreis 2021/2022: Seit Sonntag könnt ihr ins Kino – Streamen und Abstimmen!
„Flee“, „Great Freedom“ und „Quo Vadis Aida?“ – Seit gestern bis zum 25. Mai 2022 könnt ihr den Publikumsliebling für den diesjährigen LUX-Filmpreis mitbestimmen. Entweder im Kino oder einfach online schauen. Wer Glück hat, kann auch am 22. Juni 2022 zur Preisverleihung nach Straßburg fahren. Alle Details zu den drei nominierten Filmen und wie ihr sehen und werten könnt, findet ihr unter Lux-Filmpreis.
Ungleichheit wächst weltweit
„Noch nie zuvor gab es einen so steilen Vermögensanstieg unter den Superreichen wie während der Pandemie, während die Krisenkosten den ärmeren Teil der Weltbevölkerung in den Ruin stürzten.“ „Die Ungleichheit wächst immer weiter. Zwar konnten die sogenannten Schwellenländer im Vergleich zu den reichen Industrienationen ein wenig aufholen, aber insbesondere die Länder des globalen Südens gelten als abgehängt.“ Und „Im Binnenverhältnis der Staaten wächst die Ungleichheit noch schneller.“, so drei bittere Befunde, die Özlem Demirel u. a. aus dem jährlich zusammengestellten Bericht, herausgegeben durch das „World Inequality Lab“, zusammenfasst. Längst ist bekannt, dass sozial homogenere Gesellschaften, relativ unabhängig vom sozial-ökonomischen Durchschnittslevel des jeweiligen Landes, die glücklicheren Gesellschaften sind, während soziale Risse, große Ungleichheiten und harte Konkurrenz Menschen eher verhalten auf ihre soziale Lage blicken lassen, so abgesichert sie sein mag. Das belegten Kate Pickett und Richard Wilkinson stichhaltig in ihrem beeindruckenden Buch: „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind.“ bereits vor über zehn Jahren (hier eine Zusammenfassung).
Geldwäsche: Tut endlich was!
Zum Thema Ungleichheit gehört im weitesten Sinne auch, dass der Kampf gegen Geldwäsche und Steuerbetrug in der EU völlig unzureichend ist. „Abermilliarden an schmutzigem Geld werden jährlich in Europa gewaschen. Wir sprechen hier von schätzungsweise 1,3 Prozent des gesamten BIP der EU. Nur so lohnt sich das üble Geschäft mit Waffen-, Menschen- oder Drogenhandel. Geldwäsche ist der Lebensbrunnen von Verbrechen und Gewalt.“, fasste Martin Schirdewan die erschreckende Situation zusammen und begrüßte Maßnahmen, die der Rat für Wirtschaft und Finanzen in der vergangenen Woche entschied. Doch die besten Maßnahmen müssen durchgesetzt werden und dazu braucht es wesentlich mehr Personal als bisher in den Mitgliedsstaaten beschäftigt wird. Für neue Europäische Behörden gilt in diesem Fall absolut dasselbe.
Fraktionssitzung mit Gästen von Sinn Fein
Am Mittwoch traf sich auch unsere Fraktion und konnte ihre ehemalige Abgeordnete Martina Anderson von Sinn Fein begrüßen. Wegen des Brexits musste sie die Fraktion verlassen. Nun kämpfen unsere Nordirischen Genossinnen und Genossen mit dem kompletten Desinteresse, die Friedenslösungen des Karfreitagsabkommens aufrechtzuerhalten. Die harten Grenzen sind wieder da und reißen erneut die alten Gräben der ohnehin schwierigen Versöhnung auf. Es geht so weit, dass Angehörige Nordirlands auf Friedhöfen hinter der Grenze gebettet wurden, weil die Familien wieder zusammenwuchsen und nun kann man dort nicht mehr so einfach hin. Es erscheint vielleicht wie das geringste Problem, doch es kennzeichnet gut, dass wir alle verantwortlich sind, die Einigung zwischen Nordirland und Irland zu unterstützen. Martina Anderson sagte ziemlich deutlich: London kümmert das Drama kaum, also macht es bitte zu einer europäischen Angelegenheit!
In dieser Woche in Straßburg
Gerade fahren die Abgeordneten nach Straßburg oder sortieren den heimischen Schreibtisch für die kommende Plenarwoche, bei der uns allerhand interessante Abstimmungen erwarten. Neben dem Akt für faire Digitale Märkte (DMA) wird über das schon erwähnte Europäische Jahr der Jugend abgestimmt. Es wird auch um mehr Mitbestimmung gehen und es wird u. a. eine Debatte zum unerträglich rigiden Abtreibungsrecht in Polen geben. Ihr findet in unserem Plenarfokus eine Auswahl von Themenschwerpunkten und es gibt die gesamte Tagesordnung der Woche auf einen Blick.