Kulturausschuss positioniert sich zur Plattformregulierung (DSA/DMA)

Am vergangenen Montag, den 27. September 2021, war das Abstimmungspaket in der Kulturausschusssitzung ungewöhnlich dick.  Der Ausschuss verabschiedete seine Positionen zum Digital Service Act (DSA), zum Digital Market Act (DMA), zum Medienaktion-Plan der Kommission (bei allen drei Berichten war Martina die Schattenberichterstatterin für unsere linke Fraktion), zum Haushalt und der Lage der Kulturprozent*innen. Bei den beiden letzteren Abstimmungen wird die Situation durch die Corona-Pandemie nochmal aufgerufen, da sie viele – eigentlich schon lange bekannte – Probleme, wie die schlechte Bezahlung vieler Soloselbständigen und die unsinnige und ungerechtfertigte Doppelbesteuerung von Kulturproduzent*innen, die das Arbeiten in mehreren Ländern oft bestraft statt fördert, noch einmal verschärft hatte. Andererseits starten derzeit alle Programme in die neuen Förderperiode und hier ist das genaue Hinsehen vonnöten, z. B. bei der Finanzierung des Neuen Bauhaus-Projektes der Kommissionspräsidentin, das nicht aus den laufenden Kultur-Programmen bestritten werden soll, da sie anerkanntermaßen trotz kleinem Aufwuchs noch immer unterfinanziert sind.

Die anderen drei Abstimmungen, zum DSA, zum DMA und dem Medien-Aktionplan gehen auf die Im Dezember 2020 veröffentlichte Gesetzentwürfe und Vorschläge der Kommission zurück, die besonders die Regulation großer Plattformen, den Umgang mit den Big Five (Google, Amazon, Facebook, Apple & Microsoft – GAFAM) gewidmet sind. Der Kulturausschuss war hier nur mit einer einfachen Stellungnahme gefragt, die dann in die Arbeit des sogenannten federführenden Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) einfließen kann. Warum eine Gesetzgebung, die unsere ganze Medienlandschaft empfindlich trifft, nur mit solch einer marginalen Rolle des Kulturausschusses einhergeht, kann einzig und allein damit begründet werden, dass die kulturelle Dimension der Digitalisierung nicht als Machtfaktor wahrgenommen wird, zumindest nicht im politischen Raum. Doch hier geht es nicht nur um Verbraucherschutz und faire Wettbewerbsregeln. All die Möglichkeiten und Risiken der Meinungsbildung in den sozialen Netzwerken sind nicht allein Fragen der Marktregulierung. Es geht letztlich auch um die Organisation (digitaler) Bildung, Wissenszugänge, Internetkompetenz und Medienfreiheit und hier gibt es schon allerhand neue Regelungen durch die Audio-visuelle Mediendienste-Richtlinie (AVMSD), die nicht einfach von neuen Regulationen überschrieben werden sollte. Einerseits schreit unser Alltag in den sozialen Medien, das Profiling und Tracking der Nutzer*innen, die intransparenten Werbe-Algorithmen, die auch geschäftlichen Nutzer*innen ein Buch mit sieben Siegeln sind, nach einer Neuordnung medialer Öffentlichkeiten durch die Regulation digitaler Macht im Kapitalismus. Andererseits unterliegen die meisten Medienanstalten und Presseverlage schon einer nationalen Regulation durch die Einhaltung journalistischer Standards, die sie in ihren Redaktionsstuben umsetzen. Sie fürchten durchaus eine europäische Überregulierung, weil es sichtbare Dopplungen im DSA gibt, die in der AVMD_RL (und auch in der Copyright-Richtlinie) schon beantwortet wurden. Also muss der Geltungsbereich der neuen Plattformregulierung exakt bestimmt werden. so dass z. B. geklärt werden muss: Ab wann ist eine Plattformen besonders groß? Welche Online-Vermittlungsdienste – vom Webbrowser bis zum virtuellen Assistenten (die der Kulturausschuss z. B. hinzugefügt hat) – gehören in ein faires Wettbewerbspaket? Auch müssen erneut schädliche Inhalte und illegale Inhalte auseinandergehalten werden, z. B. in einer gewalthaltigen Dokumentation über einen Terroranschlag, die wegen ihrer verstörenden Bilder noch lange nicht illegal ist, aber möglicherweise dem Jugendschutz unterliegt.

„Alte Bekannte“ sind mit diesen Gesetzespaketen wieder auf dem Tisch: die Uploadfilter, die Löschfristen, die Regelungen, wann richterliche Anordnungen vonnöten sind, z. B.  bei der Sperrung von Accounts für öffentliche Personen (Trump on twitter); und ebenso die Frage: wer die ganzen Regulationen eigentlich wie gegen die großen Plattformen durchsetzt.

Das zukünftige Umsetzungsproblem ist alles andere als gering, wie Daniel Holznagel schon im April diesen Jahres im Verfassungsblog herausgearbeitet hatte.

In seiner europarechtliche Kurzeinschätzung des Gesetzentwurfes für die Digitalen Dienste (DSA) unter dem Titel Ireland cannot do it alone, erinnert der Autor an den Sitz der großen Plattformen und damit auch daran, dass nach dem bestehenden Rechtsrahmen der EU das Herkunftsland für die Einhaltung und Durchsetzung seiner Gesetze verantwortlich ist, so wie es der Art. 3 der eCommerce-RL regelt. Andere Mitgliedstaaten dürfen mit ihren Haftungsregelungen zum Beispiel bei der Löschung von Fake News oder Diskriminierungen im Netz nicht die Informationsfreiheiten in anderen Mitgliedstaaten einschränken. Damit ist die entscheidende politische Frage auf dem Tisch: Wie also eine grenzüberschreitende Durchsetzung und Harmonisierung der digitalen Giganten aussehen? Holznagel hält angesichts des Artikels 40.1. im Gesetzentwurf fest, dass der zukünftige rechtliche Rahmen eine ausschließliche Aufsicht etwa durch Irland und eine „von hinten führende“ Kommission vorsieht. Hier muss im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens Klarheit in die Artikel, wie das funktionieren soll, zumal dieKommission für ihre neue Aufsichtsfunktion nur 50 Vollzeitbeschäftigte einplant. Warum die Kommission eine europäische Aufsicht so klein konzipiert und per Gesetz 26 Mitgliedstaaten eigentlich aus- statt einschließt, muss ebenfalls verhandelt werden. Schon jetzt haben nationalen Behörden eine Art Regulationsstau, wenn sie den Datenschutz, die Netzneutralität oder die Medienpluralität sichern sollen. „If you are going against Goliaths, take all the Davids you can get / Wenn Sie gegen Goliaths antreten, nehmen Sie alle Davids, die Sie bekommen können“, schreibt Holznagel en Politiker*innen ins Stammbuch, wenn sie verhindern wollen, dass sich Facebook & Co am Ende ihre Regulierungsbehörde einfach aussuchen können.

Dass die EU-Kommission zeitgleich zu diesen riesigen Gesetzespaketen – auch unabhängig der präzisierenden Vorschläge des Kulturausschusses – noch viele Rätsel insbesondere der Durchsetzung der Plattformregulierung zu lösen hat, ist unübersehbar. Da helfen dann die schönsten Medien-Aktionspläne der Kommission nichts, denn bei aller Inhaltsschwere, die der Kulturausschuss da vorgelegt hat, bleiben derartige Initiativberichte dann im Vergleich zu den Gesetzesvorhaben doch eher in der Abteilung „dekorative Kosmetik“. Dies hat leider eindrücklich die letzte Anhörung zur Medienfreiheit im Kulturausschuss im Juli 2021 gezeigt, in der konstatiert werden musste, dass europaweit – und nicht etwas nur in Ungarn oder Polen – Medienpluralismus bedroht ist und Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit behindert werden, keinen sicheren Quellenschutz haben und die Arbeit für gute Informationen eher schwerer als einfacher geworden ist.