Martinas Woche 41_2020: Europaparlament zwischen zwei Ratstagungen

Klimapolitik – Finanzaufsicht – Bergkarabach – Medienfreiheit – Künstliche Intelligenz – Europa vor Ort – Griechenland – Antifaschismus

Martina reiste am Montag zum Plenum nach Brüssel. Das ist derzeit alles andere als Normalität, denn der Tanz mit Corona ist noch lange nicht vorbei. Die meisten Kolleg*innen arbeiten weiterhin aus dem Homeoffice, erledigen viele Begegnungen in Video-Konferenzen. Derzeit ist wohl wieder mehr der Hammer gefragt, denn – nicht nur europaweit – steigen erneut die Infektionszahlen, steht das Personal im Gesundheitswesen vor unklaren Aufgaben, egal wieviele Intensivbetten freigeräumt werden können.

Trump überrascht im Wahlkampfmodus, indem er mit seiner gut betreuten Covid-19-Genesung prahlt und weiter die internationale Zusammenarbeit auch bei der Pandemie für so ziemlich das Überflüssigste hält, was seiner Meinung nach politisch geboten sei. Und obwohl seine Wähler*innenbasis bröckelt, wie Stanley Greenberg für das IPG-Journal erläutert, heißt dies noch lange nicht, dass er die Wahl nicht erneut gewinnen kann.

Inwiefern Europa für viele globale Konflikte die kooperativeren Lösungen zu präsentieren weiß, steht leider auch in den Sternen, denken wir z. B. an die Asylpolitik der EU, zu deren Erläuterung der Vizepräsident der Kommission Margaritas Schinas am Dienstag in die Fraktionssitzung eingeladen war. 

In der vergangenen Woche hat das Parlament immerhin ein EU-Klimagesetz verabschiedet, doch es hat einen allbekannten Pferdefuß, weil sich die Erdgas-Lobbyisten wieder durchsetzen konnten. Weiterhin verständigte sich das Parlament zu vielen außenpolitischen Fragen, wie zur Lage in Belarus und in Bergkarabach und arbeitete im Hintergrund des Plenums an den Verhandlungen zu den Programmen des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027, so gleich am Montag zum Just Transition Fonds.

Das Europäische Highlight der Woche ist in jedem Fall, dass die Führung der Goldenen Morgenröte in den Knast wandert. Dieses Urteil gegen die rechtsradikale Bande wurde mit Spannung erwartet und von Athen aus von unserem Vizepräsidenten und Fraktionskollegen Papadimoulis kommentiert.

 

Der deutsche WireCard-Skandal hat einen europäischen Rattenschwanz

„Der Wirecard-Skandal ist eine Ansammlung von Versäumnissen der deutschen Finanzaufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfung. Aber, es ist auch ein politischer Skandal: Wirecard hielt stetigen Kontakt auf höchster Ebene zur Bundesregierung. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) haben noch viele offenen Fragen zu beantworten. Gleichermaßen gab es auf EU-Ebene Mängel: Es muss ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der Aufsichtsbehörden in die Lage versetzt, diesen Herausforderungen künftig angemessen zu begegnen. Wirtschaftsprüfer*innen müssen von der EU überprüft und die EU-Richtlinie zur Abschlussprüfung überarbeitet werden. Die innigen Beziehungen zwischen Wirtschaftsprüfung und den von ihnen geprüften Unternehmen müssen ein Ende finden.“, fasste Martin Schirdewan die Probleme zusammen, bevor er in der Debatte des Parlaments am Mittwoch das Wort ergriff. Der zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis hat angesichts dieses Milliardenbetrugs festgehalten, dass es bald ein EU-weites Regelbuch geben soll und bis Ende des Jahres ein Vorschlag auf dem Tisch liegen wird.

 

Berg Karabach – Martina erinnert das Plenum und den Europäischen Rat an ihre Verantwortung

Am Mittwochvormittag gab es eine Aussprache zur Lage in Berg Karabach. Am Wochenende zuvor waren die Kämpfe, die Aserbaidschan auch mit Hilfe syrischer Söldner im Dienste Erdoğans führt, auf beiden Seiten eskaliert. Auch Armenien bekämpfte weitere aserbaidschanische Städte außerhalb der umstrittenen Enklave. Die Waffenlieferanten beider Kontrahenten haben sich neben Russland auf beiden Seiten und der Türkei an der Seite Aserbaidschans und um Israel erweitert. Drohnen gegen Öl, so könnte man den Handel zwischen Aserbaidschan und Israel auf militärischem Gebiet zusammenfassen. Martina legte in der aktuellen Debatte ihren Fokus auf die Verantwortung der EU-Institutionen und ließ die Linke Jugend Aserbaidschans sprechen, die schon Ende September einen beachtlichen Friedensappell gestartet hatte, der vor allem auf das Grundübel solcher Langzeitkonflikte verwies: Nationalismus und Hass, die immer erneut in der Gesellschaft gelehrt, anerzogen und gesät werden, auch wenn keine Kampfhandlungen stattfinden und die Diplomatie wieder die Oberhand hat, wie Özlem Demirel zurecht fordert. Hier findet ihr Martinas Parlamentsrede und allerhand Hintergrundmaterial zum Konflikt. 

 

Die rechtsradikale Goldene Morgenröte Griechenlands wird verurteilt

Dimitrios Papadimoulis, Martinas Fraktionskollege von Syriza und Vizepräsident des Europäischen Parlaments, sprach am Mittwoch in Athen vor dem Gerichtsgebäude von einer historischen Entscheidung. „Heute ist ein guter Tag für Demokratie und Gerechtigkeit. Der Kampf gegen die Entwurzelung von Nationalsozialismus und Faschismus geht weiter “. Nach jahrelangen Anhörungen und Gerichtsverfahren hat das griechische Justizsystem die Führung der Neonazi-Partei Golden Dawn ihrer unmenschlichen Taten für schuldig befunden. Dazu gehörte der Mord an Pavlos Fyssas, einem 34-jährigen Rapper und antirassistischen Aktivisten, der 2013 in Athen erstochen wurde.

Viele jubelten und weinten vor Freude nach dem Urteil, darunter auch Fyssas Mutter. Und auch in Brüssel haben wir diesen Befreiungsschlag vorm Parlament öffentlich gemacht.

 

Berlin: Europäische Politik in Schulprojekten

Während in Brüssel das Plenum tagte, viele Abstimmungen absolviert wurden, war unser Berliner Kollege Jörg Bochmann in der Evangelischen Schule in Berlin-Mitte zu Gast, gemeinsam mit einer Kollegin aus dem Büro der sozialdemokratischen Abgeordneten Gabriele Bischoff.  Die EuroSoc#Digital GmbH entwickelt zusammen mit Schülerinnen und Schülern Projekttage zu Europäischer Politik, bei denen sie selbst politische Lösungen zu Konflikten und Herausforderungen formulieren müssen. Dabei steht dann letztlich auch im Fokus, wie Europäische Politik funktioniert, was ein Ausschuss macht, das Plenum, die Kommission oder wie der Europäische Rat entscheidet und wie transparent und demokratisch die Zusammenarbeit läuft. Die Neugier war riesig: Regionalpolitik, Flüchtlingspolitik,  Nachhaltigkeit, zu allem querbeet wollten die jungen Leuten Antworten und Positionen, Hintergrundwissen und kritische Einschätzungen. Jörg fühlte sich in seiner neuen Rolle als Vertreter eines Berliner Büros einer Europaabgeordneten sichtlich wohl und arbeitete mit Schülerinnen und Schülern manch ungelöstes Problem auf, was zugleich bewirkte, dass auch die Schülerinnen und Schüler es für wichtig hielten, sich politisch einzumischen.

 

Künstliche Intelligenz: 2. AI Alliance Assembly tagt einen Tag im Netz

Am Freitag traf sich die 2. „AI Alliance Assembly 2020“. Politik, Gewerkschaften, Wissenschaftlerinnen, Datenschutz- und Grundrechte-NGOs redeten über die beiden Schlummerkissen des Weißbuchs der Kommission zur Künstlichen Intelligenz: Vormittags: Exzellenz & Nachmittags: Vertrauen. Oder anders gesagt: Es ging um Europas Innovationspotentiale, die bei der Spracherkennung & vor allem Deutung unbestritten sind. Nachmittags sollten eher die Probleme der Regulation des Hochrisiko-Bereichs auf den Tisch, denn wir sind ja nicht zuerst zu schützende Verbraucher*innen von selbst fahrenden Autos, sondern Bürger*innen, die nicht ungefragt von Cambridge Analytica in sozialen Netzwerken eingewickelt werden wollen, z. B. wenn wir politische Entscheidungen treffen. Die eingeladenen Forscher*innen und jungen Start-up-Chefs warfen die Splittung des Tages sofort über den Haufen. Klar, sagten sie, können wir uns gegenüber der Politik auf den Standpunkt zurückziehen: „Gebt uns die Kohle, wir machen das schon“. Doch sie nahmen selbst die Fragen der Ethik, die kritischen Punkte des Weißbuches der Kommission, sich zu strikt nur auf Hochrisiko-Bereiche zu fokussieren, in die ganztägige Debatte. Am Nachmittag wurde auch der Bildungs- und Kompetenz-Aspekt in allen öffentlichen Einrichtungen stärker hervor-gearbeitet. Es geht nicht um kleine Forschungsgemeinden, Nerds und Spinner, sondern darum, wie die ganze Gesellschaft versteht, Regulationen für neuen Technologien zu verstehen, einzufordern und letztlich mit diesen sinnvoll umgehen zu können. Konstanze Kriese hat für uns den Tag verfolgt und kommt in die kommenden Debatten um Künstliche Intelligenz in Kultur, Medien und Bildung mit frischem Gepäck, denn derzeit arbeitet Martina dazu im Kulturausschuss als Schattenberichterstatterin.

 

Unsere Fraktion wird zum 3. Mal den nach Daphne Caruana Galizia benannten Medienpreis vergeben

Der Preis für „Journalisten, Whistleblower und Verteidiger des Rechts auf Information“ wird nächsten Mittwoch, am 14. Oktober, in einer hybriden Zeremonie im Europäischen Parlament in Brüssel vergeben. Auch der diesjährige Preis ist Einzelpersonen oder Gruppen gewidmet, die eingeschüchtert oder verfolgt wurden, weil sie die Wahrheit aufgedeckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Am 16. Oktober ist es drei Jahre her, dass die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet wurde. In diesem Jahr wird der Preis Dr. Li Wenliang gewidmet sein, dem chinesischen Augenarzt, der der Welt zuerst die Schwere des Ausbruchs des Coronavirus offenbarte, später jedoch im Krankenhaus in Wuhan starb. Die Zeremonie im EU-Parlament wird am kommenden Mittwoch von 10.30 bis 11.30 Uhr MEZ live übertragen. (Interpretationen in EN, DE, FR, EL, ES, PT und CS).

Die sechs Nominierten sind:

Chelsea Manning, Whistleblowerin, 

Glenn Greenwald, Kampagnenjournalist und Autor,

Eileen Chubb, Whistleblowerin für Missbrauch in britischen Pflegeheimen,

Omar Rojas Bolaños, kolumbianischer Whistleblower

Griechenlands Novartis, Whistleblower

und die Plattform Correctiv, non-profit investigators, die den Cum-Ex-Skandal aufdeckten.

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Screenshot der Veranstaltung
Konstanze Kriese

Nach der Abstimmung zum EU-Klimagesetz, 7.10.2020
Nora Schüttpelz

Martin Schirdewan vorm Pressezentrum des Europaparlaments
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Vizekommissar Schinas zu Gast in der Fraktion, 6.10.20
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