Martinas Woche 8_2020: Brüssel – Rechter Terror in Hanau – Berlin
Rechter Terror in Deutschland – Kommission und Digitale Zukunft – Kulturausschuss – Ratsgipfel – Berlinale – HDP – Hamburg u.a.
„Wie konnte Hans-Georg Maaßen so lange Bundesverfassungsschutz-Chef sein?“ Diese und andere Fragen bewegten Martina Michels, die Kolleginnen und Teams am Donnerstag vormittag auch in Brüssel. 9 Menschen wurden in Hanau getötet, nachdem, der Mörder seine Mutter und sich umbrachte. Weitere sind verletzt. Un es war wieder Rassismus, ein behördenbekannter Täter, Waffenbesitzer… Eigentlich hatten wir aktuell damit zu tun, Brüssel ohne größere Staus inmitten eines gescheiterten Sondergipfels der Mitgliedsländer zu verlassen. Genau genommen kamen wir mit viel gutem Gepäck nach Veranstaltungen in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel, Abstimmungen in den Ausschüssen, Begegnungen beim Neujahrsempfang der Europäischen Linken u. a. zurück nach Berlin. Doch diese Nachrichten haben uns auch mitgenommen. Weiterarbeiten, so beschlossen auch wir, aber nicht schweigen zu Hanau, den Ursachen und den Folgen, auch mit unserer Arbeit.
Freitags traf sich Martina Michels in Berlin mit den Europapolitischen Sprecher*nnen in Berlin und Konstanze Kriese tauchte in den Berlinale-Film-Parcours ein.
Hanau: Trauer, Wut und „Nazis entwaffnen – Jetzt!“
Was für eine entsetzliche Nacht, die nicht nur Hanauer Bürgerinnen und Bürger schockiert, sondern ein ganzes Land wachrütteln sollte. 11 Tote, 4 Tatorte, eine rassistische Straftat eines waffenbesitzenden 43-jährigen Mannes führen zuallererst zu unzähligen Mahnwachen, die den Opfer und ihren Freunden und Familien gelten.
Die Medienmaschinerie und die politische Kommunikation rollt an. Sie bietet von der Einzeltäter-These bis zu unsäglichen Tweets nicht nur von der AfD, sondern zum Beispiel auch von Julia Klöckner, die da von wahllosen Tötungen faselt und doch eigentlich Karneval feiern wollte, viel Erwartbares. Das macht zusätzlich wütend. Nach den rassistischen Verbrechen in Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen in den 90ern, die letztlich nur dazu führten, das auch mit Hilfe der SPD, die CDU/CSU das Asylrecht abgebaut wurde, erlebten wir den NSU und dessen schleppende Aufklärung, wundern uns noch immer, wie Maaßen Verfassungsschutzchef sein konnte und warum jetzt Flughäfen noch härter überwacht werden sollen, als ob dies nicht längst geschieht. Was hat dies alles mit den Morden in Hanau zu tun, deren Ursachen wohl eher dort liegen, wenn „Kampf dem Linksextremismus“ gebrüllt wird, während rechter Terror ungehindert Menschen tötet?
Deutschland hat auch im europäischen Vergleich ein ernsthaftes Problem, wie die Grafik zeigt, es ist nämlich führend beim rechten Terror und offenbar politisch nicht in der Lage, präventiv und auch aufklärend solche Taten zu verhindern oder entsprechend klar zu ahnden.
Die Namen der Opfer in Hanau: Farhat Ünver, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Kalojan Velkov, Vili Viorel Päun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saracoglu – unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, Roma oder mit kurdischen Wurzeln, mit Plänen, mit Kindern, die sie hinterlassen, mit so vielen, die jetzt um sie trauern. Normalerweise werden Namen von Opfern von Straftaten nicht veröffentlicht, hier geschah die Veröffentlichung im Beisein der Angehörigen und Freunde.
Die Mahnwachen sind nötig, um den Opfern ein Gesicht zu geben und zu zeigen, dass wir uns von rechtem Terror nicht einschüchtern lassen. Politische Konsequenzen formulierte Friedrich Burschel am Tag nach der Tat unter dem Titel: „Nazis entwaffnen – jetzt!“. Darum muss es jetzt gehen.
Zu Gast bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Partei der Europäischen Linken: Europa diskutiert seine Geschichte, Migration, Handelsbeziehungen und Außenpolitik…
Am Montag und vor allem am Dienstag waren viele Abgeordnete unserer Delegation bei einem fast einwöchigen Treffen aller Europäischen Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Brüssel zu Gast, diskutierten Arbeitsvorhaben, organisierten den Austausch mit der linken Fraktion (GUE/NGL) und der deutschen Delegation. Martina Michels sprach als Sprecherin der Deutschen Linken in Brüssel zum Auftakt am Dienstag zu den Arbeitsschwerpunkten der Delegation, verbunden mit einigen Überlegungen, worauf sich die Abgeordneten gemeinsam mit ihren Partner*innen – wie der Stiftung – konzentrieren sollten, so kurz vor der Deutschen Ratspräsidentschaft, z. B. auf die Debatten um den Mehrjährigen Finanzrahmen, den Kampf gegen Rechtsaußen, auf Alternativen zu einem halbherzigen Green Deal der EU-Kommission, auf einen Kampf gegen die Abschottung und Militarisierung der Außenpolitik der EU u.a. Anschließend standen unsere Abgeordneten in Werkstattgesprächen Rede und Antwort, unterbreiteten Vorschläge und verabredeten sich nicht nur in den Pausen zur konkreten Zusammenarbeit. Genau dafür nutzten viele auch ganz praktisch die Abendstunden, in denen die Partei der Europäischen Linken zu einem Neujahrsempfang lud. In einem tollen Klub, das Kuumba mitten in der Matongé, dem afrikanischen Viertel unweit des Parlaments war Gelegenheit sich kennen zu lernen, Musik zu lauschen und Pläne zu schmieden.
Kulturausschuss beschließt eigene Stellungnahme zum Europäischen Semester
Dienstag morgen wurde im Kulturausschuss über eine Stellungnahme für einen Bericht des Beschäftigungsausschusses abgestimmt, der sich aus der Perspektive des Ausschusses mit dem Europäischen Semester auseinandersetzt. Wider Erwarten, denn wir Linken sind bekanntermaßen keine großen Freunde des Europäischen Semesters, weil es eine rigide Sparpolitik auf der Basis des Wirtschafts- und Wachstumspaktes festschreibt (dazu hier auch eine kommentierte Studie, die Martin Schirdewan in Auftrag gab), hat der Kulturausschuss am Ende eine kritische Stellungnahme aus der Perspektive von Bildungsansprüchen und Beschäftigungseffekten verfasst, die auf Investitionen in diese wichtigen Bereiche setzt, auf duale Ausbildung und vieles mehr. Martina Michels war hier unsere Schattenberichterstatterin und hat mit eigenen Änderungsanträgen, die zum Teil in den Kompromissen, aber zum Teil auch autonom angenommen wurden, zum Ergebnis beigetragen, welchem sie dann auch zugestimmt hat. Jetzt hoffen wir mal, dass sich dieser kritische Geist auch bis in den Beschäftigungsausschuss und am Ende bis zum Plenum fortpflanzt.
Digitalisierung: Kommission stellt Strategien für die digitale Zukunft der EU vor, mitten drin Regelungen für Künstliche Intelligenz
Lang erwartet und mit viel medialem Interesse begleitet, stellte die EU-Kommission am 19.2.2020 nicht nur ihr längst geleaktes Weißbuch für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz vor. Nein, das Paket ist um einiges umfangreicher, als es der mediale Fokus erwarten ließ und andererseits geht es derzeit eigentlich nur um die Ankündigung aller folgenden Gesetzesvorschläge, also nur um Grundlinien, kann ohne konkrete Gesetzesvorschläge. Martina Michels kommentierte: „Die Kommission hat ambitionierte Ziele für die digitale Zukunft der EU, vom europäischen Supercomputer bis zur digitalen Bildung. Aber der Rat will das wohl nicht bezahlen, wie die vorgeschlagenen Kürzungen des Programms ‚Digitales Europa 2021 – 2027‘ von 9,2 Milliarden Euro auf 6,8 Milliarden Euro zeigen. Damit sind alle Projekte für eine eigenständige europäische Infrastruktur nicht mehr zu bezahlen.“
Alle weiteren Debatten bewegen sich also voraussichtlich auf einer mies finanzierten Grundlage, sind hier im Kommentar kurz eingeordnet und werden derzeit nicht nur in allen Politikbereichen weiterdiskutiert, so wie am Dienstag nachmittag zum Beispiel im Kulturausschuss. Jetzt sind Industrie, NGOs, Datenschützer*innen, Verbraucher*innenschutz-Organisationen gefragt, um im offenen Konsultationsprozess bis Ende Mai, das, was z. B. landläufig mit „ethischer“ KI (Künstlicher Intelligenz) umschrieben ist und wir als „Rechte basierte KI“ bezeichnen, also eine Technologie, die keine Grundrechte verletzt, mitzubestimmen. Wir hoffen, dass dann letztlich mehr Regelungsbedarf erfasst wird, als der im sogenannten Hochrisikobereich, auf den sich die EU-Kommission bisher orientiert ohne genau definieren zu können, was eigentlich dazu zählt.
Sondergipfel zum Mehrjährigen Finanzrahmen gescheitert
Vieles soll die EU lösen, nur die Mitgliedstaaten, darunter insbesondere Schweden, Dänemark, Österreich und die Niederlande denken nicht im Traum daran, einen Cent mehr für den EU-Haushalt zu zahlen, um die 75 Mrd. Deckungslücke die der Brexit nach sich zieht, auszugleichen und weiterhin auf eine gut ausfinanzierte Struktur- und Regionalpolitik zu setzen. Dieses Dilemma zwischen den Mitgliedstaaten entwickelt sich zur Bugwelle, die wohl kaum innerhalb der Kroatischen Ratspräsidentschaft gelöst werden wird. Dies war nun der erste Versuch. Somit wird die Debatte um den nächsten 7-jährigen Haushalt einmal wieder nah bis zu dem Termin geführt werden, an dem der Haushalt eigentlich stehen und auszahlbar umgesetzt werden sollte. Das Nachsehen bei dieser Taktiererei haben die Kommunen, viele KMUs, Landwirt*innen, die vielen Einzelprogramme der EU, die den sozialen Ausgleich zwischen den Regionen sichern sollen und zugleich Strukturumbauten im Rahmen des Green Deals, einer gerechten Digitalisierung u. ä. mit finanzieren.
Berlin: Europapolitische Sprecherinnen und Sprecher tagten
Am Freitag trafen sich die Europapolitischen Sprecher*innen und erörterten aus der Perspektive der Landtage, des Bundestages und aus Brüssel die kommende deutsche Ratspräsidentschaft, die anstehenden Verhandlungen in der Post-Brexit-Zeit und tauschten sich zu ihrer Haltung zur Zukunftskonferenz der EU aus. Wir konnten aus Bremen die neue Staatsrätin für Europa, Susanne Ahlers begrüßen. Mit der Ratspräsidentschaft, so haben wi es hier schon an anderer Stelle erörtert, kommen die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) auf den Tisch, die Handelsbeziehungen zu China und viele weitere politische Entscheidungen. Beim Zustand der CDU im Bund kann einer/einem Himmelangst werden, ob die ihrem Regierungsauftrag noch gewachsen sind bei dem, was sie gerade innerparteilich nach dem Drama in Thüringen (hier in der Einordnung durch Tom Strohschneider) zu klären haben.
Berlinale: Das Internationale Filmfestival unter neuer Leitung geht ins 70. Jahr
Das Cineast*innen-Herz ist wieder weit geöffnet und jagt durch den Dschungel der Berliner Großstadt. Konstanze Kriese ist für uns schon unterwegs, hat sich Filme über die Liebe zur kalifornischen Wüste (Victoria, Belgien 2020), über pakistanische Rapper (Mogul Mowgli, USA, UK, 2020) und die Weltpremiere eines koreanischen Thrillers (Time to hunt, Südkorea, 2020) angeschaut… und weitere auf das Programm gesetzt, darunter ein palästinensischer Film über die 100jährige Geschichte eines Wohnhauses in Bethlehem (Letter to a friend, Palästina, 2019) und einen Retrospektivenfilm aus dem Schaffen von King Vidor von 1929, indem ausschließlich afroamerikanische Schauspieler*innen spielen: Hallelujah. In der nächsten Woche können wir sicherlich mehr berichten.
Am Rande der Filmfestspiele finden wie immer auch Podiumsdiskussionen zur Entwicklungen des Filmschaffens und der Branche statt, in denen gefragt wird: Wieviel Streaming die Branche verträgt?, wohin die Filmförderung sich entwickelt?, wie die Kreativen zusammenfinden? usw. Ein umfassenden Kommentar können wir zum Auftakt noch nicht abgeben, empfehlen jedoch allen, die in Berlin sind, einfach zur einen oder anderen Vorstellungen zu gehen, selbst wenn die online-Karten ausverkauft sind, es klappt eigentlich immer, noch einen Platz auf dem Kinosessel zu finden.
An diesem Sonntag: HDP tagt in Ankara – Hamburg wählt
Hamburg wählt. Die LINKE liegt in den Prognosen stabil bei 8,5 % und wir hoffen alle auf ein gutes Ergebnis. Gleiches, ein gutes Ergebnis, eine hoffnungsvolle Zusammenkunft wünschen wir der HDP in Ankara, die sich heute dort zum Parteitag trifft. Martina Michels Berliner Kollege aus dem Abgeordnetenhaus, Hakan Tas ist nach Ankara gefahren und wird uns von seinen Eindrücken berichten. Wichtig für uns, dass wir unsere Solidarität übermitteln in einer Zeit, in der die Repressionen gegen die politische Opposition in der Türkei unvermindert anhält.
update 1: Die alte und der neue Vorsitzende der HDP sind: Pervin Buldan und Mithat Sancar. Unseren Herzlichen Glückwunsch nach Ankara.
update 2: Die ersten Hochrechnungen sehen keine AfD in der Hamburger Bürgerschaft. Das freut uns riesig, erst recht, wenn es dann auch über den Abend so bleibt und das Endergebnis genauso ist.
DIE LINKE legt zu – Hochrechnungen 9,5% – und die SPD ist klarer Sieger in Hamburg. Hier die Übersicht von Euronews.