Martinas Woche 28_2018
Brüssel – Brüssel – Brüssel & Berlin: Regionalpolitik – Nato-Gipfel – Kulturpolitik – Seehofer, der Brexit und die Flüchtlingspolitik
Was für eine Juliwoche. Wohl dem, der schon einen Sommerurlaub genießen kann und dahin entschwunden ist. In Brüssel hingegen ist noch immer Politik auf Hochtouren. Im Parlament tagten Ausschüsse, in der Stadt verstopfte der Nato-Gipfel die Verkehrsadern und manch Gehirne. Belgien spielt nun doch gegen England, allerdings um den dritten und vierten Platz bei der Männerfussball-WM. Und in Berlin wird ein freidrehender Innenminister 69, beginnt die ZEIT eine Debatte über Seenotrettung mit der Überschrift: „Oder soll man es lassen?“ . Immerhin hat sich der Chefredakteur sich schon einmal für die Überschrift entschuldigt. Doch dieses Kommunikationsmuster ist und bleibt gefährlich.
Seebrücken statt Seehofer und seltsame Aktivitäten eines Innenministers in den Brexitverhandlungen
Sowohl in Bayern sieht die Mehrheit der Menschen nicht Flüchtende als Problem, sondern die CSU und inzwischen wächst auch die Kritik an Seehofers Zynismus, Amoralität und politischem Kamikaze in alle Richtungen. Statt sich an seinem 69. Geburtstag über 69 Abschiebungen in das Kriegsland Afghanistan zu freuen (hier im video), hätte Seehofer uns die Freude mache sollen, seine Rente zu genießen und sein Unwesen als Innenminister und Politiker zu beenden. Er schreibt nicht nur seltsame Briefe an die Britten und fällt damit der EU-Verhandlungsführung beim Brexit auf die Füße, er hat in der Flüchtlingsfrage und der Herausforderung für eine europäische Migrationspolitik jeden menschlichen und rechtsstaatlichen Kompass verloren, wenn er je einen besaß. Stellvertretend für viele haben wir hier die Antwort auf die Seehofersche Pressekonferenz von Lina Atfah verlinkt.
Das nun auch in Deutschland Debatten geführt werden, ob Seenotrettungen Teil des Problems sind oder man diese Rettung von Menschenleben „bleibenlassen“ sollte, geht u. a. auf eine unfassbare Überschrift zurück, für die sich der Redakteur der ZEIT, auch gegenüber den Autorinnen entschuldigt hat. Doch dieses Anreißen und anschließende Entschuldigen kommt uns irgendwie bekannt vor. Die Diskursverschiebung ist allgegenwärtig, worauf in dieser Woche Christian Jacob in der taz gebührend reagiert und dabei auch auf eines der entscheidende Probleme hinweist: Fakten scheinen in der Debatte um Asyl und Migration nicht mehr entscheidend. Zu diesem Umstand gehört auch, dass auf europäischer Ebene sich nun zwar Innenministerrunden treffen, aus denen nichts Gutes herauskommen kann, aber andererseits auch der ganze Europäische Rat seit Monaten eine Auseinandersetzung mit der Position des Parlaments zur Dublinreform aussitzt, ja die Positionierung des Parlaments regelrecht ignoriert wird und auch die Medien offenbar nicht mehr erreicht.
Debatten um Regionalpolitik vor der neuen Förderperiode auf Hochtouren
Im Regionalausschuss war in dieser Woche der griechische stellvertretende Minister für Wirtschaft und Entwicklung, Alexis Charitsis zu Besuch, und es wurde das Programms der österreichischen Ratspräsidentschaft und ein Thesenpapier des Europäischen Rechnungshofs vorgestellt. Über die aktuellen Debatten, Termine und eine Stellungnahme des Bundesrates zum Mittelfristigen EU-Haushaltsrahmen (MFR) – mit Wortmeldung des Berliner Europa- und Kulturministers Klaus Lederer, informiert uns ausführlich Nora Schüttpelz.
Anhörung im Kulturausschuss zur neuen Europäische Kulturagenda
Neben der Verabschiedung des derzeitigen Ergebnisses zur Einigung um die Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie (AVMSD) im Trilog, verabschiedete der Kulturausschuss auch das neue Freiwilligenprogramm unter dem recht militärischen Namen: Solidaritätscorps. Mit beiden Ergebnissen sind die linken Abgeordneten bisher nicht einverstanden. Zugleich wurde eine neue Debatte in Form einer Anhörung aufgemacht, die nicht nur die nächsten Monate im Kulturausschuss prägen wird, sondern auch die Arbeitsgrundlagen der kommenden Jahre. Es geht im die Neue Europäische Kulturagenda. Und auch zu dieser hatte sich der Bundesrat am Freitag zuvor schon verständigt. Ein Bericht zur gesamten Anhörung ist hier zu finden, und auch diesen Bericht leitet eine Wortmeldung des Berliner Kultursenators Klaus Lederer ein.
Nato-Gipfel in Brüssel
Die Belgierinnen und Belgier haben nicht nur beim Fussball große Sympathien verdient, denn sie feiern ihre Niederlagen ganz gelassen mit den französischen Fans. Entsprechend lässig geht auch die Regierungsriege mit Trumps Besuch im Rahmen des Nato-Gipfels um, vielleicht eine Retourkutsche auf des Amerikanischen Präsidenten geografische Kenntnisse, der dereinst Belgien in einer Wahlkampfrede als eine schöne Stadt identifizierte. Jedenfalls kam die belgische Staatsspitze wegen des WM-Spiels zwischen Frankreich und Belgien nicht zum Empfang, sondern schickte den Protokollchef des Außenministeriums, François Gusten. Offenbar waren König Philippe und Außenminister Didier Reynders in St. Petersburg, wie die Zeitung „Le Soir“ mitteilte. Wie auch immer, der NATO-Gipfel hat ganz offensichtlich die Bündnistreue zu einer überlebten Sicherheitsarchitektur des Westens zelebriert, einschließlich Trump und Kritik kam nicht nur vom Gegengipfel, der schon seit dem Wochenende mit Protesten und informativen Veranstaltungen aktiv war. Sabine Lösung skizziert in ihrer Pressemeldung vor allem noch einmal den Deutschen und den Europäischen Turn, willfährig einer Rüstungseskalation zu folgen, die Teil den Problems internationaler Konflikte ist und jeden Lösungsansatz für eine friedliche Entwicklung vermissen lässt.