EP-Linksfraktion in Israel
Am 29. Mai diskutierte das Plenum des Europaparlaments in einer Aktuellen Stunde die Lage der Menschenrechte in Gaza und den Status von Jerusalem. Martina Michels kam vorangegangenen Freitag mit viel Gepäck von einer mehrtägigen Reise der EP-Linksfraktion GUE/NGL zurück, die unter ihrer Leitung vom 20. bis zum 24. Mai Israel besuchte. Die Rede und viertägige Reise sind hier dokumentiert.
„Unser Feind ist nicht Israel, aber die Regierung von Netanyahu ist das Problem!“
Für eine unabhängige Untersuchung der Eskalation in Gaza
Martina Michels in der Plenardebatte: Lage im Gazastreifen und der Status von Jerusalem:
„Letzte Woche war ich in Israel, besuchte die Knesset und sprach mit NGOs. Die Eskalation im Gazastreifen wird, genau wie die Siedlungspolitik, innerhalb Israels kritisch gesehen. Ein Rückkehrmarsch für Palästinenser ist für die einen nachvollziehbar, für andere eine Provokation.
Auf jeden Fall ist er kein Grund, um tödliche Munition gegen wütende Demonstranten und Journalisten einzusetzen. Netanyahu sollte sich einer unabhängigen Untersuchung zur Eskalation im Gazastreifen stellen, wie von internationalen Organisationen gefordert. Damit wird die Verantwortung der Hamas auch öffentlich. Der Fraktionschef der Joint List aus Israel sagte mir letzte Woche: Innerisraelische Konflikte löst man nicht von Außen! Dazu braucht es eine starke israelische Opposition. Die USA-Botschaftsverlegung war kontraproduktiv. Sie überzeugt weder Fatah noch Hamas von der dringenden Zweistaatenlösung.
Stärken wir auch friedliche, kritische und oppositionelle Israelis, um der Garantie von Menschenrechten in der Region mehr Chancen zu geben. Unser Feind ist nicht Israel, sondern Netanyahu ist das Problem!“
Initiiert von Martina Michels (DIE LINKE.) als Delegationsleiterin und Curzio Maltese (L’Altra Europa con Tsipras/Italien) bereiste in der vergangen Woche (20.-24. Mai 2018) eine Delegation der Linksfraktion GUE/NGL Israel.
Zum Ziel der Reise hat Martina Michels vorab festgehalten: „Wir gehen davon aus, dass wir ohne die Geschichte der heutigen Konflikte und ohne ein besseres Verständnis der aktuellen Debatten in der israelischen Öffentlichkeit, die schwierigen Lösungsansätze für eine Befriedung des ‚Nahen Ostens‘ nicht konkret genug formulieren können. Das beginnt bei der Verantwortung der EU für einen intensivierten diplomatischen Dialog, aber auch bei der Verantwortung und Unterstützung von Projekten in Israel und Versöhnungsprojekten zwischen Israelis und den Menschen aus den Palästinensischen Autonomiegebieten.“
Unter anderem gab es ein Gespräch mit Emanuele Giaufret, Leiter EU-Vertretung in Tel Aviv mit einem hochinteressanten Austausch über die engen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Beziehungen zwischen der EU und Israel im Allgemeinen sowie die aktuellen Entwicklungen in der Region, im Israel-Palästina-Konflikt und hinsichtlich der von der EU favorisierten Position für eine Zwei-Staaten-Lösung mit Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten. Diese Position bekräftigten die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten während ihrer Ratstagung am 28. Mai in Brüssel.
Während einer politisch-historischen Stadtführung durch Tel Aviv und Jaffa erfuhren wir einiges über die zum Teil vergessen gemachte Geschichte der beiden Städte, über Gentrifizierung, neoliberale Stadt-, Mieten- und Wohnungsbaupolitik, Klassenkonflikte und Rassismusprobleme und damit gravierende soziale Spaltung innerhalb der Gesellschaft, die keineswegs nur auf eine einfache Unterscheidung zwischen jüdischen und palästinensischen Einwohner*innen reduzierbar ist.
Die Begegnung mit der feministischen Lokalpolitikerin Shula Keshet von der Organisation Achoti eröffnete uns einen wunderbaren Einblick in die Erfolgskampagne gegen die Instrumentalisierung der ärmeren Bevölkerungsschichten gegen Geflüchtete in Süd-Tel Aviv.
Während eines Treffens mit der von zwei jungen Frauen geleiteten arabisch-jüdischen Jugendorganisation Sadaka Reut wurden Probleme der staatlichen Bildungs- und Identitätspolitik in einem komplexen Umfeld diskutiert.
Die Journalisten Haggai Matar und Meron Rapoport von +972 Magazine erläuterten uns ihre Sicht auf progressive Kämpfe in Israel, den israelisch-palästinensischen Konflikt, die Problematik eines jüdischen Nationalstaats und mögliche Lösungsansätze.
Wissenschaftler*innen vom ADVA Reserach Centre gaben uns einen Einblick in progressive Betrachtungsweisen zu israelischer Wirtschaftspolitik.
Der Besuch des vereinten und doch geteilten Jerusalem begann mit einer Einleitung zur Situation der Bewohner*innen von Ostjerusalem durch die Menschenrechtsorganisation B’Tselem.
Nachdem eine Delegation der Joint List-Fraktion der Knesset Anfang November 2017 die GUE/NGL in Brüssel besucht hatte (Bericht und Video-Interviews hier) und Martina im Dezember 2017 an der 43. Interparlamentarischen Versammlung teilgenommen hatte, trafen wir diesmal Kolleg*innen der linken Parteien Chadasch und Meretz im israelischen Parlament.
Ein Besuch der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem: World Holocaust Center, Jerusalem durfte selbstverständlich nicht fehlen.
Zum Abschluss konnten wir uns, begleitet vom Negev Coexistence Forum, ein Bild von der Lage nicht-anerkannter Beduinendörfer in der Negev-Wüste machen. Im November 2016 hatte das Europaparlament eine Anhörung zu diesem Thema organisiert, wir berichteten.
Martina Michels in einer ersten Bewertung der Reise:
„Israel ist mehr als Netanyahu. Wir trafen eine lebhafte Zivilgesellschaft, die nicht nur ihre demokratischen Grundrechte, sondern auch die Menschenrechte aller in Israel lebenden Menschen verteidigt. Wir fühlen uns geehrt, dieses andere Israel kennengelernt zu haben, als jenes, das derzeit unrühmliche Schlagzeilen macht. Jene Kräfte, die danach streben, eine neue wirtschaftliche Grundlage und Gesellschaft aufzubauen, die nicht auf einer militärisch orientierten und dominierten Wirtschaftsweise, sondern auf einer friedlichen Wirtschaftspolitik beruht.“
Dank gilt auch den Kolleg*innen der Rosa-Luxemburg Stiftung in Israel, die mit Rat und Tat zu Seite gestanden haben.
Martina Michels vertritt die GUE/NGL-Fraktion in der Delegation des Europaparlaments für die Beziehungen zu Israel.