Türkei und EU: Pressefreiheit zunehmend im Ausnahmezustand
Anlässlich des ersten Jahrestages der Niederschlagung des Putschversuchs in der Türkei und seiner Folgen für die türkische Gesellschaft, kommentiert Martina Michels, stellvertretendes Mitglied im gemischten Parlamentarischen Ausschuss EU-Türkei:
„Kritik an der Verletzung der Menschenrechte, der Verfolgung von Meinungs- und Medienfreiheit in der Türkei ist nur dann sinnvoll, wenn wir zugleich den Dialog und die Unterstützung der politischen und gesellschaftlichen Opposition, die für Freiheit und Weltoffenheit eintritt, fortführen. Dieser Dialog muss von großer Aufmerksamkeit und Verantwortung für die demokratischen Strukturen in allen europäischen Ländern begleitet sein. Die Zunahme von Restriktionen für Journalistinnen und Journalisten ist unverkennbar, Quellenschutz auch außerhalb der Türkei bedroht. Gelebte Wertvorstellungen von demokratischer Debatte, Meinungs- und Medienfreiheit sind keine Selbstverständlichkeit.“
„Sollte die Kritik an der verweigerten Pressefreiheit in der Türkei noch irgendeinen moralischen Wert haben, dann sollte auch schleunigst und restlos aufgeklärt werden, wie die Schwarzen Listen und der Entzug der Akkreditierung von 32 Journalistinnen und Journalisten beim G20-Gipfel zustande gekommen sind. Der Debattenverlauf in der Folge der Gipfeltage ist nicht nur Wasser auf die Mühlen von konservativen Hardliner*innen und Rechtspopolist*innen. Er kommt manchen Gästen des G20-Gipfels, darunter Erdoğan, Trump oder Putin, auch absolut gelegen.“
„Wie ernst soll Erdoğan die Kritik der verwehrten Medienfreiheit und der geschliffenen Grundrechte in der Türkei nehmen, wenn in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, wachsende Einschränkungen der Medienfreiheit und ausgedehnte Ausnahmezustände, wie in Frankreich, zu beobachten sind?“
Michels schlussfolgert: „Ein Jahr nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei sehe ich, dass nicht nur in der tief gespaltenen türkischen Gesellschaft die Aufarbeitung verspielt wurde. Auch in Mitglieds- und Beitrittsländern der EU geraten Pressefreiheit und Grundrechte zunehmend unter die Räder einer repressiven und erfolglosen Sicherheitspolitik.“