EU-Urheberrecht: Unsinn harmonisieren und über Notwendigkeiten schweigen?

Erste Kommissionsvorschläge geistern durchs Netz.

 

Die Vorhaben zur Harmonisierung des EU-Urheberrechts werden eigentlich für den 21. September 2016 erwartet.* Ein weiterer Leak der derzeitigen Fassung der Generaldirektion Connect, die sicherlich gerade mit anderen Generaldirektionen besprochen wird, ist in der öffentlichen Debatte und macht nicht gerade glücklich.

Weil die Materie so schwierig ist, soll vorab Folgendes festgehalten werden. Um die Urheber/Innen, die Kreativen aller Art, geht es oft nur am Rande bei der Reform des Urheberrechts. Neuerungen würden sich in diesem Falle in einem Urhebervertragsrecht widerspiegeln. Immerhin hat ein kleiner Hoffnungsschimmer in diese Richtung das Licht der Welt erblickt. Es soll ein Recht auf Nachverhandlungen für die Kreativen (Art. 14ff.) gegenüber den Verlagen, der Musikindustrie usw. geben, nämlich dann, wenn sie plötzlich einen Hit, einen Bestseller abgeliefert haben, dies aber durch A&R-Manager nicht  absehbar war, sondern die LeserInnen und HörerInnen ihr kulturelles Machtwort gesprochen haben.

Doch das Urhebervertragsrecht ist nicht der Kern der schleppenden Urheberechtserform, die so großartig im vergangenen Jahr mit der Verkündung der Strategie für den digitalen Binnenmarkt (DSM) im Mai 2015 begann und schon etwas verhaltender mit einigen Leitlinien hinsichtlich des Urheberrechts dann am 9.12.2015 präzisiert wurde. Dazwischen lag noch die Debatte und die Abstimmung des Initiativberichts der Piratin Julia Reda im Juli 2015, der eine Ablehnung eines Leistungsschutzrechtes für Presseverleger auf Europäischer Ebene durch das Europaparlament markierte und ansonsten die Schwierigkeit der Debatte selbst.

 

Wer hat mit dem Urheberrecht im digitalen Zeitalter eigentlich zu tun?​

Wir alle, könnte man kurz sagen. Worum geht es beim Urheberrecht? Im Mittelpunkt steht das sogenannte geistige/immaterielle/intellektuelle Eigentum von Kreativen und seiner Verwertung durch die Kulturindustrie, Verlage, Medien und natürlich darüber hinaus natürlich durch die Industrie allgemein (hier sollen nur einmal die Pharma- und die Automobilindustrie aufgeführt werden, bei der es dann auch ums Marken- und Musterrecht, als Teil des Urheberrechts geht).

 

*Die am 14.9. vorgestellten Reformvorschläge weichen von den geleakten Fassungen kaum ab, so dass diese Einschätzungen grundlegend weiterhin gelten. 

 

 

Wir beschränken uns hier bei der Erörterung der Urheberrechtsreformvorschläge auf das gesellschaftliche Umfeld der Kulturindustrie in ihrem digitalen Wandel, denn das ist von den hier vorgestellten Reformvorschlägen betroffen. Da ist gleich festzuhalten, dass es nicht nur um die Industrie und die Wirtschaft geht, auch wenn der Digitalkommissar Oettinger das nicht wirklich wahrhaben will, sondern zuerst um das Recht auf Zugang zu Kultur, Bildung, Wissen und Kommunikation im digitalen Zeitalter und auch die Praxis, dass Nutzerinnen und Nutzer auf den modernen Plattformen und in den sozialen Netzwerken selbst kreativ und produzierend aktiv sind, dort auch Rechte habe (und Datenschutz brauchen).

Es geht also u. a. darum, dass das alte – aus dem Verlagswesen des 18/19. Jahrhunderts gewachsene – Urheberrecht – zumindest innerhalb allem, was im weitesten Sinne Kultur, Medien, Bildung und Forschung betrifft – im digitalen Zeitalter nicht angekommen und daher reformbedürftig ist. Und es geht zum anderen politisch vor allem auch um Ausnahmen vom Urheberrecht, Grenzen seiner Reichweite in einer völlig neuen Lern-, Kommunikations- und Wissenskultur, inder nicht nur das Kunstwerk im Zeitalter der Reproduzierbarkeit Alltag ist, sondern auch Wissen und Kreatives getauscht, verändert und zitiert wird und zwar in rasender Geschwindigkeit und mit leicht zugänglichen technischen Möglichkeiten, der eigentlichen demokratischen Potenz der modernen Kommunikation. 

Wir blicken in diesem Zusammenhang auf drei Gruppierungen, die in einen fairen politischen Ausgleich im digitalen Zeitalter gebracht werden müssen: 

1. Die Verlage (Musik, Buch), die Musik-, Medien- und Filmindustrie, TV und Rundfunk, und ihre modernen Konkurrenten, die Plattformen, Videosharingangebote, soziale, Netzwerke, Streamingdienste usw. und es gibt darüberhinaus die Rechteverwertungsgesellschaften, wie GEMA, VG Wort usw., die Gemeinschaftsverträge für Künstler und Autoren gegenüber den Medien, Google books, Netzwerken, Veranstaltern, Geräteherstellern (Kopiepauschale), Haushalten, Krankenhäusern, Hotels usw. aushandeln und innehaben…

2. die eigentlichen Urheber/innen: Autoren/Musiker/Kreative/Journalisten (zu denen in sozialen Netzwerken und Sharingplattformen auch die NutzerInnen zählen)

3. Publikum, Konsumenten, NutzerInnen. Und aufgepasst: Es gibt nicht nur individuelle Nutzerinnen, sondern eben auch Forschungs- und Bildungsinstitutionen, Mediatheken, Bibliotheken, Archive, Museen, die selbst wieder einen entscheidenden Auftrag für die Zugang zu Kultur und Wissen  leisten sollen.

Politisch wird am meisten über das Wohl und Wehe der UrheberInnen, der KünstlerInnen, JournalistInnen und über die (undankbaren) individuellen NutzerInnen geredet. Politisch werden hingegen viel geräuschloser für die allgemeine Öffentlichkeit Gesetzesvorschläge gemacht, die vor allem der ersten Gruppierung nützen: Verlagen, Rechteverwertern, Musik- und Filmindustrie. 

Diese Gruppe der professionellen Rechteverwerter haben zum Teil ein vitales Interesse, den Flickenteppich der 28 verschiedenen Urheberrechte (und seiner Ausnahmen) in der EU lieber so zu lassen wie er ist. Und inzwischen hat das offenbar der Digitalkommissar Oettinger, der so viel harmonisieren wollte, auch zu spüren bekommen. 

 

Der Stand der Dinge

Mit den neuen Vorschlägen der EU-Kommission, die als geleaktes Dokument seit Ende August (181 S.), nachlesbar sind, ist die im Mai 2015 versprochene europäische Harmonisierung eines modernen Urheberrechts im Prinzip beerdigt, beklagt Leonhard Dobusch bei netzpolitik.org zurecht. 

Die neuen Regelungen haben ergänzenden Charakter  zur Information-society-directive von 2001 – die alte EU-Urheberrechtsrichtlinie. Es ist also kein neuer Ansatz in einer völlig veränderten Kommunikationswelt, mit neuen Marktteilnehmern, wie Facebook und Netflix, sondern eine Art Anstricken. Damit bleibt der alte nationale Flickenteppich der Ausnahmen/Schranken, in denen das Urheberrecht außen vor bleibt, eigentlich bestehen. 

Nur 3 kleine europäische Brücken wurden verpflichtend obendrauf gepackt, wobei unklar ist, ob die wiederum wirklich hinreichend ausdiskutiert sind:

1. Schranke für Text und Data-Mining (TDM) für Forschungseinrichtungen. Sie dürfen zu kommerziellen und nicht kommerziellen Zwecken Cloudcomputing betreiben. Das klingt erst einmal gut. Aber ohne Datensicherheit ist das ein kochenden Thema und letztlich sind manch Verbindungen zur kommerziellen Industrieforschung fließend. So heißt es denn auch, dass TDM außerhalb der Forschung im Urheberrecht erfasst wird. Da können wir gespannt sein, was die Generaldirektion für Internationalen Handel, die ACTA ganz sicher nicht vergessen hat, zu derartigen Vorschlägen zu sagen hat. (Art. 3)

2. Schranke für digitale und grenzüberschreitende Bildungsaktivitäten, soll heißen, dass das Urheberrecht bei Schulservern und Online-Lernumgebungen außen vor bleibt, aber offenbar nur, wenn sie als Intranet betrieben werden. Ansonsten ist schon jetzt klar, dass Schulbuchverlage dagegen Sturm laufen werden, wenn es keine Differenzierungen gibt, wie das gemeint ist. Und schon wird der übliche Weg beschritten, wenn nicht klar ist, was eigentlich genau europäischen harmonisiert werden soll: es kann nationale Ausnahmen von dieser Ausnahme geben, nämlich dann, wenn adäquate Lizenzangebote zu Lerninhalten vorhanden sind. Gibt es dann demnächst eine Bildungsregulierungsbehörde, die das prüft? (Art. 4)

3. Schranke für die Bewahrung des kulturellen Erbes Museen,Archive, Büchereien dürfen Kopien ihrer Werke erstellen und speichern. Ins Netz dürfen sie sie aber weiterhin nicht stellen, es dient nur der Aufbewahrung. Na dann aber schnell, möchte man meinen. Das Kölner Stadtarchiv und die Amalia-Bibliothek lassen grüßen und irgendwann sind die irrsinnigen Laufzeiten der Schutzdauer dann ja auch abgelaufen. (Art. 5) 

Im Artikel 7 gibt es zu vergriffenen Werken den guten Vorschlag, dass sie als „out of commerce works“ digital verfügbar gemacht werden. Damit wären weitere Schritte für umfassende digitale Bibliotheken denkbar.

Es soll einen Streitschlichtungsmechanismus für Streamingdienste geben, wenn sie bestimmte Filme oder Video nicht anbieten dürfen. Da innerhalb der zeitgleich verhandelten AVMD-Richtlinie es bei Streit ebenso eine Europäische Ermittlungsstelle geben soll, in welchem Land der Streamingsdienst eigentlich seinen Sitz hat, damit dort Steuern gezahlt werden (und das geoblocking in anderen Ländern fröhlich weiterlaufen kann), häufen sich derzeit skurrile Vorschläge, wie man die neuen Dienste, Plattformen, Netzwerke in den Europäischen Griff bekommt und zwar am besten in den, der vom Verlagswesen des 19. Jahrhunderts vorgegeben war. Aus genau solchem unausgegorenen Denken und dem geliehenen Ohr für die großen alten Marktstrategen entspringt dann offenbar der größte Stuss des Entwurfes:

Der Artikel 11 sieht ein EU-Leistungsschutzrecht für Presseverleger vor, noch dazu mit einer Schutzdauer von 20 Jahren. Zwar sind die Blogger bisher von dem gescheiterten Leistungsschutzrecht in Spanien und Deutschland nicht betroffen, wie anfangs befürchtet, aber was nicht ist, kann ja noch werden So einfach  mal 20 Jahre alte Titel verlinken, sowas sieht eine Europäische Harmonisierung des Urheberrechts a la Oettinger nun mal nicht vor. 

Im Artikel 12 wird ebenso vorgeschlagen, dass die Verlage wieder an den Pauschalvergütungen (Kopierabgabe usw.) durch die Rechteverwerter beteiligt werden. Das ist so ähnlich wie beim Leistungsschutzrecht. Genau das ist in Deutschland gerade juristisch gekippt worden, nun soll es europäisch wieder auferstehen. Man kann ja so etwas politisch gern diskutieren, ob und wie vor allem kleine Verlage damit unterstützt werden, aber auf  diesem Wege ist es genauso unehrlich, wie die „google tax“ des Leistungsschutzrechtes der Presseverlage, die dann immer erzählen, die wollen damit dem Qualitätsjournalismus dienen, also den armen eigentlichen Urhebern. 

Wir finden weiterhin Informations- und Sperrpflichten für Plattformbetreiber, obwohl dies alle schon gesetzlich geregelt sind und die Verantwortung für nutzergenerierten Inhalt wird derzeit gerade innerhalb der AVMD neu geregelt. Das ist also unklar, ob das überhaupt hier hin gehört.

Die sinnvolle Bestsellerklausel wurde schon eingangs besprochen.

 

Großes Schweigen zum Geoblocking und zur Panoramafreiheit

Etwas absurd an den bisher vorliegenden Vorschlägen ist, dass das Ausnahme- und Schrankenchaos irgendwie so bleiben wird, wie es schon ist und das die medialen Großthemen – wie Panoramafreiheit (was wohl eher symbolisch ein Großthema wurde)  und Abschaffung des Geoblockings irgendwie nicht verhandelt werden.Wie oft haben sich Andrus Ansip und Günter Oettinger hier aus dem Fenster gelehnt und nun schweigen sie. Was ist nun mit Netflix im Urlaub? Mit der jüngst verhandelten Portabilitätsrichtlinie ist das Thema nicht erledigt. 

Das Schrankenchaos bleibt und Sinnvolles aus dem US-Copyright, wie „Fair use“ werden in einer Kultur des Remixens und der vielen neuen Nutzungsformen des Informierend und Recherchierens, des Online-Lernens nicht einmal diskutiert.