Ein Interview mit dem Neuen Deutschland.

Neues Deutschland: Das Europaparlament hat am Dienstag über den Abschlussbericht des Luxleaks-Sonderausschusses beraten und am Mittwoch darüber abgestimmt. Sind Sie zufrieden mit seiner Arbeit?

Fabio De Masi: Nein. Der Ausschuss wurde massiv behindert. EU-Kommission, Europäischer Rat und die Mitgliedstaaten haben uns wichtige Dokumente vorenthalten. Manche wurden geschwärzt. Und auch die Anhörungen von Politikern wie Jean-Claude Juncker oder von Konzernvertretern

Die Arbeit ist also noch nicht zu Ende?

Eine Verlängerung des Ausschusses ist nötig. Zum Beispiel muss EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein zweites Mal vorgeladen werden, da es bezüglich seiner Rolle neue Enthüllungen gibt. Als langjähriger Ministerpräsident und Finanzminister von Luxemburg war er der Pate des Steuerkartells in der EU.

Doch es wird eine Verlängerung wohl nicht geben?

Die Koalitionsspitzen von Konservativen und Sozialdemokraten haben eine Verlängerung des bestehenden Untersuchungsauftrags trotz gegenteiliger Ankündigungen blockiert. Doch nun hieß es, dass man zunächst über den Bericht abstimmen müsse, damit es anschließend vielleicht zu einem zweiten Mandat kommen könnte. Damit soll verhindert werden, dass Personen wie Juncker oder Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem erneut vor den Ausschuss müssen und neue Erkenntnisse im Bericht gewürdigt werden.

Dies hört sich sehr nach dem Vorgehen der Großen Koalition im Europaparlament von Anfang des Jahres an, als Sie zusammen mit anderen EU-Abgeordneten wegen der Luxleaks-Affäre einen Untersuchungsausschuss gefordert hatten.

Auch damals schon hat sich Parlamentspräsident Martin Schulz als Bodyguard vor Juncker gestellt. Trotz massiven Drucks der konservativen und sozialdemokratischen Fraktionsspitzen hatten wir über 180 Unterschriften aus verschiedenen Fraktionen gesammelt und damit das nötige Quorum von 25 Prozent der Abgeordneten erreicht. Dann zauberte der SPD-Mann Schulz ein Gefälligkeitsgutachten des Parlamentsdienstes hervor. Dieses hat zwar juristisch gesehen weder Hand noch Fuß, doch es hat ausgereicht, dass wir nur einen zeitlich begrenzten Sonderausschuss mit viel weniger Rechten bekamen.

Und wie lief die Zusammenarbeit mit den Konzernen?

Zunächst sind sie nicht zum Ausschuss erschienen, haben uns aber wie IKEA zu Lobbyempfängen mit Fleischbällchen eingeladen. Nach einer zweiten Einladung erschienen elf von 18 Konzernen. Was sie uns da aber erzählten, waren Geschichten vom Weihnachtsmann. Das Problem ist nämlich, dass wir als Parlament im Unterschied zum US-Senat oder zu nationalen Parlamenten keine Sanktionen gegen Unternehmen verhängen können, die eine Kooperation verweigern.
Hat der Ausschuss dann überhaupt etwas aufdecken können?

Der größte Erfolg war noch, dass ich die Herausgabe der fehlenden Seite des Berichts des Luxemburger Politikers Jeannot Krecké über Steuerbetrug aus dem Jahr 1997 erzwingen konnte. 18 Jahre lang wurde dieses Blatt Papier, das im Besitz von Juncker war, in Luxemburg gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Der Kommissionschef hatte natürlich abgestritten, von der Seite gewusst zu haben. Schließlich wurde in ihr davor gewarnt, dass die Steuerdeals des Großherzogtums rechtliche und internationale Probleme aufwerfen werden.

Mehr wurde nicht erreicht?

Ansonsten enthält der Bericht im Wesentlichen eine akkurate Beschreibung der schlimmsten Steuerpraktiken in der EU. Und auch da gibt es noch offene Fragen. Zum Beispiel, ob multinationale Konzerne Steuerberater oder gar Behörden für das Ausmaß der Steuerersparnis bezahlt haben, die diese ihnen besorgten.

Sie sprachen den Krecké-Report an. Die Geschichte mit der fehlenden Seite wurde von Medien aufgedeckt und auch die Luxleaks-Affäre wurde erst durch die Arbeit von Zeitungen ins Rollen gebracht. Wurde da nicht die meiste Aufklärungsarbeit von Journalisten gemacht?

In der Tat können wir als EU-Parlamentarier unseren Job nicht erledigen, weil uns dazu die Mittel wie etwa ein permanenter Arbeitsstab und Sanktionsinstrumente fehlen. Auch können wir nur mit Hilfe der Medien Druck aufbauen. Denn was nicht in der Zeitung steht, interessiert die Öffentlichkeit und dann leider auch Herrn Juncker schlichtweg nicht. Doch man darf auch die Rolle der Whistleblower nicht vernachlässigen, die vieles erst aufdeckten.

Sind diese genug geschützt?

Nein. Sie verlieren wegen ihrer Verdienste für die Öffentlichkeit nicht nur regelmäßig ihre Arbeit. Antoine Deltour, der Luxleaks ins Rollen brachte, sitzt deswegen jetzt auf der Anklagebank. Ihm drohen in Luxemburg bis zu fünf Jahre Haft. Und das alles während Juncker gemütlich in Brüssel Kaffee trinkt.

Das Interview mit Fabio De Masi im Neuen Deutschland erschien am 26.11.2015 im Neuen Deutschland und ist im vollen Umfang auf der Homepage des Neuen Deutschlands abrufbar.