von Cornelia Ernst und Manuela Kropp

Die europäische Struktur- bzw. Kohäsionspolitik (Kohäsion = Zusammenhalt) ist einer der zentralen Politikbereiche der EU zur Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts, und unterstützt in erster Linie die schwächeren Regionen bei der wirtschaftlichen Entwicklung. In der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 wurde zum ersten Mal definiert, dass die Kohäsionspolitik „den Abstand zwischen den verschiedenen Regionen und den Rückstand der am wenigsten begünstigten Gebiete“ verringern soll. Durch den Vertrag von Lissabon wurden die Ziele der Kohäsionspolitik, also der soziale und wirtschaftliche Zusammenhalt, durch ein drittes Ziel, nämlich den territorialen Zusammenhalt, ergänzt, der die Zusammenarbeit zwischen den Regionen fördern und territoriale Ungleichgewichte abbauen soll.

Seit ihrer Etablierung wurde die europäische Kohäsionspolitik durch unterschiedliche Reformen entwickelt und verändert. Sie verläuft in sog. Förderperioden, die jeweils sieben Jahre dauern. Zurzeit befinden wir uns in der Förderperiode 2007-2013, wobei zur Mitte einer jeden Förderperiode intensiv über mögliche, gewünschte oder notwendige Änderungen der Kohäsionspolitik diskutiert wird, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.   Wie wichtig die Kohäsionspolitik tatsächlich ist, zeigt sich durch die schiere Höhe der Mittel, die auf EU-Ebene für sie bereitgestellt werden: sie betragen für die sieben Jahre der aktuellen Förderperiode knapp 350 Mrd. Euro, das entspricht mehr als einem Drittel des gesamten EU-Haushalts. Damit ist die Kohäsionspolitik nach der Gemeinsamen Agrarpolitik der zweitgrößte Posten des EU-Haushalts.   Die Mittel für die Kohäsionspolitik werden durch die Europäische Kommission an die Mitgliedstaaten verteilt. Die Entscheidung, welche Projekte zu fördern sind, legen die Mitgliedstaaten bzw. Regionen vorher in sogenannten „operationellen Programmen“ fest, die vor Inkrafttreten von der Europäischen Kommission genehmigt werden müssen. In Deutschland werden die operationellen Programme durch die Bundesländer vorgelegt.   Der Hauptteil der Kohäsionsmittel wird durch drei Strukturfonds bereitgestellt: –         Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), er fördert Investitionen in kleinen und mittleren Unternehmen, Forschung und Innovation, Telekommunikation, Umwelt, Energie und Transport –         Europäischer Sozialfonds (ESF), er fördert lebenslange Ausbildung, Zugang von Arbeitssuchenden zum Arbeitsmarkt, soziale Eingliederung benachteiligter Personen, Kampf gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, Reform von Bildungssystemen und Vernetzung von Bildungseinrichtungen –         Der Kohäsionsfonds, er fördert transeuropäische Transportnetze, Projekte im Bereich Energie- und Transportwesen (solange diese Vorteile für die Umwelt schaffen)   Hier einige Beispiele, wofür die Fördermittel der Kohäsionspolitik ausgegeben werden: –         Projekt „Regionen schließen sich für nachhaltigere Energielösungen zusammen“ (Berlin, Brandenburg), das europäischen Regionen und Gemeinden geholfen hat, die steigende Nachfrage nach Wärme- und Kühlsystemen zu bewältigen. Es wurde ein Netzwerk zum Erfahrungsaustausch gegründet, um Wissen über die Nutzung von erneuerbaren Energiequellen zu verbreiten. Die Mittel wurden vom Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) bereitgestellt. –         Projekt „Neue Chancen im Bereich Biotechnologie“. In Luckenwalde in Brandenburg wurde ein biotechnologisches Aus- und Weiterbildungszentrum ausgebaut, und dann Berufsbildungsgänge in der Biotechnologie angeboten, denn die Unternehmen, die in der Region angesiedelt sind, steckten in der Produktentwicklungsphase und konnten die Lasten der Berufsausbildung nicht tragen. Das Biotechnologische Ausbildungszentrum hat sich zu einem wichtigen Standortfaktor entwickelt.   Die Kohäsionsmittel werden auf die verschiedenen Regionen der Europäischen Union verteilt, wobei auf ihre unterschiedliche wirtschaftliche Lage Rücksicht genommen wird. Also ergeben sich in der Logik der Kohäsionspolitik drei „Zielkategorien“, die wie folgt zustande kommen: Regionen, deren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weniger als 75% des EU-Durchschnitts beträgt, werden im Rahmen des Ziels „Konvergenz“ gefördert, das bedeutet konkret, dort konzentriert sich ein Grossteil der Kohäsionsmittel, und Projekte werden von europäischer Seite mit 75% bis 85% kofinanziert (d.h. mitfinanziert). Alle anderen Regionen, deren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf über 75% des Unionsdurchschnitts liegt, werden im Ziel „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ gefördert, erhalten weniger Mittel, und der Kofinanzierungssatz von europäischer Seite liegt zwischen 50% und 85%, da diese Regionen über mehr eigene Mittel verfügen. Daneben gibt es noch eine dritte Zielkategorie, die anteilsmäßig nur geringe Mittel aus der Kohäsionspolitik erhält, aber dennoch sehr wichtig ist: die Zielkategorie „territoriale Zusammenarbeit“, die die grenzüberschreitende, transnationale und interregionale Zusammenarbeit fördert.   In den letzten zwanzig Jahren haben in Deutschland vor allem die ostdeutschen Bundesländer von der Strukturfondsförderung profitiert, die zum überwiegenden Teil unter der Zielkategorie „Konvergenz“ gefördert werde. Die Modernisierung der ostdeutschen Länder konnte deutlich vorangetrieben und Entwicklungsrückstände reduziert werden. Die Erneuerung der Infrastruktur, die Förderung von Forschung und Entwicklung und ein Grossteil der Maßnahmen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit wären ohne Kohäsionsmittel nicht möglich gewesen. Zugleich zeigen nationale und europäische Analysen, dass der Angleichungsprozess in den ostdeutschen Ländern noch viele Jahre benötigt.   In den neuen Bundesländern und Berlin betrug der Mitteleinsatz aus den EU-Strukturfonds (EFRE + ESF) für die vergangene Förderperiode  2000-2006 etwa 23 Mrd. Euro, in der aktuellen Förderperiode 2007-2013 beläuft sich das Finanzvolumen auf gut 19 Mrd. Euro. Für die alten Bundesländer und Berlin liegen nur Zahlen zum Einsatz des EFRE vor, hier betrug der Mitteleinsatz in der Förderperiode 2000-2006 3,5 Mrd. Euro, in der aktuellen Förderperiode 2007-2013 beträgt das Finanzvolumen 4,7 Mrd. Euro.   Die Erfolge in Ostdeutschland, die durch die Struktur- bzw. Kohäsionspolitik erreicht wurden, können sich sehen lassen: so ergaben Modellrechnungen, dass die EU-Strukturpolitik zu einem jährlichen Wachstum des ostdeutschen Bruttoinlandsprodukts von ca. 1,2% führt. Dies hat zur Folge, dass jährlich ca. 100.000 Personen mehr erwerbstätig sind, als dies ohne Strukturpolitik der Fall wäre. Und selbst wenn die EU-Strukturpolitik nach 2006 eingestellt worden wäre, hätte die bisherige Förderung trotzdem dauerhafte positive Effekte gezeigt: so wäre das jährliche Bruttoinlandsprodukt dennoch jährlich um 0,4% gewachsen und die Erwerbstätigenzahl um ca. 15.000 Menschen erhöht.   Um zu illustrieren, für welche Projekte und Maßnahmen die Mittel der Kohäsionspolitik in Ostdeutschland ausgegeben werden, hier eine kleine Auflistung: –         gut ein Viertel für Infrastrukturmaßnahmen –         knapp ein Viertel für Förderung Arbeitskräftepotenzial und Beschäftigung –         gut ein Fünftel für Förderung gewerbliche Wirtschaft, kleine und mittlere Unternehmen –         knapp 10 Prozent für Schutz/Verbesserung Umwelt   Zurzeit (März 2011) läuft die Debatte um die Reform der Kohäsionspolitik nach dem Ende der aktuellen Förderperiode, also ab 2014. Aus linker Perspektive sind vor allem folgende Dinge wichtig: Die Kohäsionspolitik muss weiterhin mit ausreichend Finanzmitteln ausgestattet sein. Außerdem sollte sie den Erfordernissen des Klimaschutzes und der Energiewende gerecht werden, sie muss den ökologischen Umbau und den Ausbau der öffentlichen Daseinvorsorge stimulieren, eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Bildung, gute und nachhaltige Arbeit und die Gleichstellung der Geschlechter fördern, sowie die Bewältigung des demografischen Wandels unterstützen. Das Partnerschaftsprinzip, also die Einbeziehung der Zivilgesellschaft und Wirtschafts- und Sozialpartner bei der Durchführung, Begleitung und Bewertung der regionalen Programme muss gestärkt werden. Der basisorientierte Ansatz der Kohäsionspolitik, der eine Förderpolitik erlaubt, die auf die konkreten Verhältnisse vor Ort zugeschnitten ist, muss unbedingt erhalten bleiben. Die Regionen müssen auch in Zukunft festlegen dürfen, welches die Prioritäten für die Förderung vor Ort sein sollen, denn sie kennen am besten die Hindernisse für eine erfolgreiche wirtschaftliche und soziale Entwicklung, und können genau bestimmen, wo die Ansatzpunkte für eine gute Förderpolitik liegen. In den vergangenen Jahren wurde immer wieder der hohe Bürokratieaufwand, der allein durch die notwendigen Berichts- und Dokumentationspflichten entsteht, kritisiert. Hier brauchen wir eine Verfahrensvereinfachung, denn kleine Projektträger können die bürokratischen Lasten oftmals nicht schultern.  

Stichworte zum Weiterlesen: Regionalpolitik, Strukturpolitik, Stellungnahmen des Ausschuss der Regionen, Ausschuss für Regionale Entwicklung im Europäischen Parlament, Fünfter Kohäsionsbericht, Solidarität, Indikatoren zur Förderfähigkeit, Multi-Level Governance, Partnerschaftsprinzip, regionale und lokale Gebietskörperschaften

Die Zukunft der KohäsionspolitikPDF-Datei


Positionspapier Zukunft der Kohäsionspolitik DIE LINKEPDF-Datei


Positionspapier Zukunft der Kohäsionspolitik DIE LINKEPDF-Datei


Positionspapier Zukunft der Kohäsionspolitik DIE LINKEPDF-Datei


Positionspapier Zukunft der Kohäsionspolitik DIE LINKEPDF-Datei


Flyer KohäsionspolitikPDF-Datei


Zuckerbrot und Peitsche - Die makroökonomische Konditionalität in den neuen VerordnungsentwürfenWord-Datei


Die Diskussion um 82 Mrd. Euro StrukturfondsgelderPDF-Datei