Geistiges Eigentum im Welthandel – Intellectual Property Rights (IPR)
Die Position der Europäischen Linken zu den Rechten am geistigen Eigentum (Intellectual Property Rights, IPR) ist klar und dringlich. Wir fordern eine kritische Überprüfung der bestehenden IPR-Gesetzgebung und -praktiken sowie eine umfassende Reform in diesem Bereich, etwa in Bezug auf die Gesetzgebung der Welthandelsorganisation (WTO). Die Auswirkungen der IPR-Gesetzgebung auf die Gesellschaft, die Wirtschaft, die soziale Gerechtigkeit und die öffentliche Gesundheit sind erheblich, sowohl in Deutschland als auch weltweit.
Nirgendwo sind die gravierenden Nachteile des aktuellen IPR-Rahmens deutlicher zu erkennen als im Kontext des Zugangs zu Medikamenten und Impfstoffen.
In vielen europäischen Ländern bleibt der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten, insbesondere zur Behandlung seltener Krankheiten, aufgrund exorbitanter Kosten ein unüberwindbares Hindernis. Dies zwingt viele Eltern zu einer zermürbenden Entscheidung: Entweder stehen sie vor dem finanziellen Ruin oder sie müssen das Leben ihres Kindes aufs Spiel setzen. Dies geschieht, weil Pharmaunternehmen sich allzu oft weigern, lebensnotwendige Medikamente zu einem erschwinglichen Preis anzubieten.
Patente können tödlich sein. Unter dem Schutz von IPR stellen die pharmazeutische Industrie und Arzneimittelunternehmen ihre Gewinnmaximierung über das Leben von tausenden Menschen, die an Krankheiten wie zystischer Fibrose, Hepatitis C und Brustkrebs leiden. Diese Praxis ist inakzeptabel, insbesondere angesichts der Tatsache, dass einige dieser Unternehmen Milliarden Euro an Gewinnen aus öffentlichen Quellen – unseren Steuergeldern – generieren. Gleichzeitig beobachten wir in Europa einen Anstieg von Armut und sozialer Ungerechtigkeit, wodurch immer mehr Menschen ihre dringend benötigte Gesundheitsversorgung nicht mehr erhalten können.
In dieser kritischen Situation fordert die Linke nachdrücklich eine tiefgreifende Umgestaltung des Systems, um wieder Menschen anstelle von Aktionären in den Mittelpunkt zu rücken. Dies umfasst unter anderem die Nutzung von Zwangslizenzierung, um generische Versionen patentierter Medikamente zu sichern, sowie die Anknüpfung von klaren öffentlichen Interessenbedingungen an jegliche öffentliche Finanzierung von Forschung und Entwicklung, um sicherzustellen, dass jede Organisation, die Steuergelder erhält, Zugang und Erschwinglichkeit von Medikamenten gewährleisten muss. Auf unsere Initiative hin hat sich das Europaparlament für die Freigabe von Impfpatenten ausgesprochen.
Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, europäische Rahmenbedingungen für die Entwicklung neuer, öffentlich geführter Hersteller von generischen Arzneimitteln zu schaffen, um kostengünstige Medikamente für alle Europäer und Europäerinnen bereitzustellen, was nicht nur Geld für unsere Gesundheitsdienste einsparen, sondern auch Leben retten wird. Sämtliche erzielten Gewinne sollen in das bestehende Netzwerk öffentlich finanzierter Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen reinvestiert werden, um sowohl die Kosten für teurere Medikamente auszugleichen als auch die Finanzierung nicht medikamentenbasierter öffentlicher Gesundheitsinterventionen zur Verbesserung der Gesundheitsergebnisse zu ermöglichen.
Die Auswirkungen von IPR sind jedoch nicht nur auf europäischer Ebene spürbar, sondern besonders gravierend im Globalen Süden.
So hat nicht zuletzt die COVID-19-Pandemie gezeigt, wie die bestehenden IPR-Gesetze den Zugang zu lebenswichtigen medizinischen Produkten für viele Entwicklungsländer einschränken können. Während die meisten Staaten eine vorübergehende Aussetzung von Patenten im Rahmen des Abkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS-Abkommen) forderten, um den Zugang zu Impfstoffen auf den Globalen Süden auszuweiten, blockierte die Europäische Union (EU) eine solche Maßnahme, trotz der Position des Europäischen Parlaments.
Die Folgen dieser Entscheidung waren verheerend. Fast 80 % der COVID-19-Impfdosen gingen an Länder mit hohem und oberem mittlerem Einkommen, während nur 4,4 % der Bevölkerung in Afrika geimpft wurden, wobei mehr als die Hälfte der afrikanischen Länder weniger als 2 % ihrer Bevölkerung impften. Diese ungleiche Verteilung von Impfstoffen führte zu vermeidbaren Krankheits- und Todesfällen und unterstrich die Verwundbarkeit der Gesundheitssysteme und Wirtschaften von Entwicklungsländern – ebenso wie das Nicht-Nachkommen der Verantwortung großer Pharmakonzerne, Gesundheit und Leben der Menschen zu schützen – was durch bestehende IPR-Gesetzgebung erst ermöglicht wird.
Die Europäische Linke fordert daher eine Reform der IPR-Gesetzgebung, die es Entwicklungsländern ermöglicht, ihre medizinische und wirtschaftliche Autonomie zu stärken. Erneut gilt es, klar zu fordern, dass die Gewinne der pharmazeutischen Industrie nicht über das Recht auf Gesundheit zu stellen sind: weder in Europa, noch anderswo. Die Forschung und Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen, die oft mit öffentlichen Geldern finanziert werden, darf nicht dazu führen, dass private Unternehmen die Kontrolle über den Zugang zu lebensrettenden Produkten haben, und diesen Menschen und Ländern verwehren können, die sich die oft exorbitanten Preise nicht leisten können. Patente, die einem einzigen Unternehmen die Monopolkontrolle über lebenswichtige pharmazeutische Produkte geben, müssen überdacht werden.
Fazit: Die Gesundheit aller Menschen ist ein Grundrecht, das nicht den Interessen von Konzernen und einem grenzenlosen IPR geopfert werden darf.