Martinas Woche 42_2023: Hamas’ Angriffe in Israel: „Die Rede heute fällt mir schwer…“ – Rückblick auf die Plenarwoche
STEP – Kampf gegen Armut – Ukraine-Aufbauhilfen – Angriffe der Hamas in Israel/Lage im Gaza-Streifen
Diese Woche in Straßburg war nicht einfach, u. a. weil das Verständnis des Nah-Ost-Konfliktes zu unüberbrückbaren Positionierungen innerhalb unserer Fraktion führte und dann auch in ihren offenen Gegensätzen den Plenarsaal erreichten. Das Bemühen um eine gemeinsame Sprache hat viele tagelang beschäftigt, ohne Erfolg. Die Debatten werden also weitergehen. Nichtdestotrotz haben wir die Verpflichtung, politische Lösungen zur Konfliktbeilegung zu intensivieren und Martina wird hier als Mitglied der Parlamentarischen Delegation EU-Israel weiter das Ihre unternehmen, um Dialog und Friedensstiftung zu fördern.
Weitere Debatten zur Investitionspolitik der EU und zur Armutsbekämpfung bestimmten den Wochenauftakt und werden ebenso weiterhin die EU-Institutionen beschäftigen, denn der Kurs aus den Krisen und für die Bewältigung des Klimawandels kann nicht wieder in einer Knebelung der öffentlichen Haushalte der Mitgliedstaaten münden. In mehreren Dossiers agierten hier viele Parlamentarier*innen sehr kritisch gegenüber den Plänen der Kommission oder denen des Europäischen Rates, sei es angesichts des Technologiefonds STEP oder der erneuten Revision des Stabilität- und Wachstumspaktes.
Terror der Hamas verurteilen – Frieden im Nahen Osten für alle Seiten voranbringen
Die Fraktion diskutierte an zwei Abenden in ihren Fraktionssitzungen die Lage im Nahen Osten nach den terroristischen Anschlägen der Hamas in Israel. Dabei taten sich gravierenden Unterschiede in der Einschätzung vor allem des Kontextes der abscheulichen Taten der Hamas auf, die man durchaus derzeit als unüberbrückbar bezeichnen muss. Dabei wurde oft die Lage von Palästinenserinnen und Palästinensern, die – wenn auch verschieden im Norden als in Gaza – in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt, die Angriffe der Hamas tendenziell als Folge der dramatischen Lage in den autonomen Gebieten insgesamt angesehen und keinerlei Differenzierung der palästinensischen noch der israelischen Gesellschaft vorgenommen. Diese Perspektive führte de facto sogar zum Eklat in der Plenardebatte am Mittwochvormittag, als ein Abgeordneter unserer Fraktion den Gaza-Streifen mit dem Warschauer Ghetto verglich, was Israel auf dem Gewissen habe. Martina sprach kurze Zeit später in der Debatte, sichtlich und hörbar noch schockiert, und wendete sich deutlich gegen jede Relativierung der Angriffe der Hamas. Durch ihre jahrelange Arbeit mit NGOs und Parlamentsvertreterinnen der Knesset von Meretz, der Joint List und anderen, die auf beiden Seiten des Konfliktes für Versöhnung, Aufklärung und Dialog eintreten, fuhr sie in diesem Konzept fort und schaute nach vorn zu einem Horizont der Konfliktlösung, so schwer das auch derzeit erscheinen mag. Wir dokumentieren hier ihre Rede in Gänze und auch die Abstimmungserklärung bei der Schlussabstimmung am Donnerstag, bei der Martina gemeinsam mit elf Abgeordneten ihrer Fraktion für die gemeinsame Resolution des Parlaments stimmte, während 14 Abgeordnete ihrer Fraktion dagegen stimmten.
Die gemeinsame Erklärung des Europaparlaments verurteilte die Angriffe der Hamas, forderte eine sofortige humanitäre Feuerpause und den Zugang zu Hilfsgütern, Wasser und Strom für die Menschen im Gaza-Gebiet. Die ersten Konvois fahren inzwischen, auch unterstützt von Ägypten. Dies ist jedoch in keiner Weise hinreichend, um die eskalierte Lage zu befrieden, Terrorgruppen, wie der Hamas ein Ende zu setzen, Israels Selbstverteidigung angemessen und im Einklang mit dem Völkerrecht zu gestalten und den drohenden Flächenbrand wieder einzudämmen. Immerhin hat die EU die Hilfen für Menschen in der Palästinensische Autonomiebehörde verdreifacht und es wurde in der Entschließung aufgefordert, alles für eine Wiederaufnahme der Vereinbarungen von Oslo zu tun, damit das Existenzrecht Israels unangetastet bleibt und andererseits eine Zweistaaten-Lösung mit einem gleichberechtigten palästinensischen Staat wieder eine realistische Chance bekommt.
Zahnlose Tiger: Souveränitätsfonds STEP – Falsche Finanz- und Wirtschaftspolitik in der EU
Die Investitionsoffensive auf dem US-amerikanischen Markt hatte die EU-Institutionen aufschrecken lassen, den sie lockt Unternehmen weltweit, um in neue Technologien zu investieren. Genau mit dieser Investitionspolitik tut sich die EU seit dem sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt, der europäischen Version der Schuldenbremse, schwer. Die sanften Lockerungen durch die Corona-Krise haben längst kein wirtschaftspolitisches Umdenken bewirkt, obwohl es dringend nötig wäre. Der deutsche Finanzminister Lindner spielt hier nicht nur in Deutschland, welches sich deutlich zum „Schlafwagen“ wirtschaftlicher Dynamik entwickelt hat, sondern auch in der EU die Rolle des Blockierers einer modernen Wirtschaftspolitik, die die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels und sozialer Verwerfungen auf dem Schirm hat und einen echten politischen Ausgleich sucht, statt ein plumper Anwalt unternehmerischer Kassenbücher zu sein. Cornelia Ernst, Mitglied im Industrieausschuss, machte darauf aufmerksam, dass die Kommission mit dem Souveränitätsfonds, der die grüne und digitale Transformation vorantreiben und europäische Industrien unterstützen sollte, große Ankündigungen gemacht hat. Doch auf einen solchen Fonds warten wir vergebens. „Stattdessen schlug die Kommission die ‚Strategische(n) Technologien für Europa-Plattform‘ (STEP) vor. Die Plattform soll bestehende Fonds für Unternehmen öffnen, die entlang der Wertschöpfungsketten strategischer Technologien tätig sind. Hierzu zählen nicht nur grüne und digitale Technologien, sondern auch kritische medizinische Produkte. Ein Souveränitätssiegel soll die Förderungsfähigkeit von Projekten belegen. Und die Fonds sollen mit zusätzlichen zehn Milliarden Euro aufgestockt werden. Als DIE LINKE stehen wir der Plattform kritisch gegenüber: Zwar braucht die EU eine gezielte Industriepolitik, die strategische Industriebranchen fördert. Doch sollte eine solche Förderung immer an soziale und ökologische Konditionen gebunden sein. Außerdem ist STEP insgesamt „too little, too late“, wie Martina auch im Regionalausschuss kritisierte, die der Umwidmung von bestehenden Fonds, die teilweise für öffentliche Infrastrukturförderung gedacht sind und nun für private Konzerne geöffnet werden, nicht zustimmte. Auch die Indifferenz bei der Auswahl der Technologien könnte bewirken, dass auch Atomkraft durch die Plattform gefördert werden könnte. Zur Abstimmung am Dienstag im Parlament musste Cornelia Ernst dann festhalten:
„Die zusätzlichen zehn Milliarden, die nun auf bestehende Fonds verteilt werden sollen, hat die Bundesregierung allein für Intel in Magdeburg veranschlagt. Eine gemeinsame EU-Industriepolitik mit ‚Wumms‘ ist so nicht möglich. Insbesondere an die Adresse von Herrn Lindner und seinen Kolleg*innen der anderen Mitgliedsstaaten sei gesagt: Wer eine schlagkräftige und gemeinsame europäische Industriepolitik will, darf sich bei deren Finanzierung nicht wegducken!“
Unmittelbar damit im Zusammenhang steht die Kritik Martin Schirdewans am Wiedereinsetzen und so gar Verschärfen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Zum Treffen des EU-Rates „Wirtschaft und Finanzen“ schreibt er:
„Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist der Gipfel der Sinnlosigkeit. Er trägt erst dann zur Stabilität und zu Wachstum bei, wenn er ausgesetzt wird. Dies haben die letzten Krisenjahre seit der Pandemie gezeigt. Im Unterschied zur Eurokrise von 2009 hat die EU die Schuldenregeln auf Eis gelegt. Im Vergleich zu damals hat das Wirtschaftswachstum in der Eurozone dieses Mal vier bis fünf Jahre weniger gebraucht, um wieder Vorkrisenniveau zu erreichen. Die EU-Wirtschaft läuft also wesentlich besser ohne, als mit den Regeln des Paktes.“
Wiederaufbau in der Ukraine nur mit Schuldenerlass
Gleich am Montag wurde im Parlament über die Verabschiedung einer Wiederaufbau-Hilfe für die Ukraine diskutiert. „Ohne absehbare Friedensverhandlungen oder wenigstens einen Waffenstillstand“, so Özlem Demirel in der Ankündigung der Debatte, ist dieses Unterfangen jedoch „wertlos“. Noch schwieriger wird die ausschließliche Aufbaufinanzierung über Schulden in einem Land, dass ohnehin schon überschuldet ist. Diese Situation provoziert zumeist nichts anderes als einen radikalen Abbau in der öffentlichen Daseinsvorsorge. Doch die Ukraine bräuchte eher dies (wie auch alle anderen Gesellschaften): eine starke öffentliche Daseinsvorsorge, um Armut zu bekämpfen, Bildungsinstitutionen aufrecht zu erhalten, Energiepreise erschwinglich zu gestalten und vieles mehr, zusätzlich zum Herausarbeiten aus den vielen Zerstörungen und den Belastungen, die das für viele Menschen bedeutet. Arbeitsrechte und Arbeitsschutz müssen garantiert, statt weiter abgebaut werden. Ein Schuldenschnitt wäre ein echtes Angebot der EU, eine Solidarität, die sie auch tatsächlich etwas kostet, statt die Ukraine den privaten Finanzfonds auszuliefern.
Internationaler Tag zur Beseitigung der Armut
Immerhin gab es in der Plenarwoche auch diesen Fokus in den Debatten, doch vielen Regelungen der EU fehlt die Verbindlichkeit in der sozialen Dimension, trotz aller Aktionspläne, trotz Fortschritten beim Mindestlohn. Deshalb merkte Özlem Demirel zu dieser Aussprache zurecht an:
„Nun muss der Druck auf Ursula von der Leyen und ihre Kommission erhöht werden, eine verbindliche Richtlinie für ein Europäisches Mindesteinkommen vorzulegen, um die Ärmsten der Armen wenigstens nach unten abzusichern. Die Ziele der Kommission in diesem Bereich waren von Beginn an viel zu niedrig gesteckt. Unter anderem der vorgelegte Aktionsplan zur Umsetzung der ‚Europäischen Säule sozialer Rechte‘ 2021-2025 ging schon vor den Auswirkungen der Corona-Krise und der massiven Inflation völlig an den Realitäten der zahlreichen von Armut betroffenen oder bedrohten Menschen vorbei. Es ist unabdingbar, ein verbindliches Sozialprotokoll in den EU-Verträgen zu verankern, in dem unmissverständlich festgelegt wird, dass soziale Grundrechte und sozialer Fortschritt auch im Konfliktfall Vorrang vor wirtschaftlichen ‚Freiheiten‘ und Wettbewerbsregeln haben.“