Europapolitische Vorschau auf die Woche: Zwischen Zeuthen und Brüssel
Manifest für ein föderales Europa – Feminismus – Spanien – Mehrjähriger Finanzrahmen
In dieser Woche gehen wir als Linksfraktion auf Reisen – nach Spanien. Wie Sie sicherlich erinnern, organisieren traditionell unsere Fraktionskolleg:innen aus dem Land, das gerade die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, die sogenannten Studientage vor Ort.
Unsere spanischen Abgeordneten der Delegationen von Podemos und Izquierda Unida haben uns ein anspruchsvolles dreitägiges Programm zusammengestellt. Im Mittelpunkt stehen die Themen Klimakrise, Kampf gegen Rechtspopulismus und Antifaschismus, Geschlechtergerechtigkeit sowie Verteidigung erkämpfter gewerkschaftlicher und Arbeitnehmer:innenrechte; all dies vor dem Hintergrund wirtschaftspolitischer Vorhaben im Zusammenhang mit der spanischen Reformagenda und entsprechend der Ziele des „European Green Deal“ und der „Fit for 55“-Agenda.
Besonders namhaft sind in Madrid die Panel-Debatten zu Feminismus und Gleichstellung besetzt. Und dies nicht ohne Grund, denn wie in anderen Ländern – man denke nur an Polen mit seinen zahlreichen Kundgebungen am Vorabend der Wahlen diesen Sonntag – sind diese Fragen auch in der aktuell polarisierten Lage in Spanien hoch umkämpft. Zu Gast wird etwa die politisch engagierte Schriftstellerin und Publizistin Cristina Fallarás sein. Nach der Fußball-WM der Frauen sammelte und veröffentlichte sie Berichte von Frauen, die Opfer sexueller Übergriffe wurden und stieß so eine überfällige gesellschaftliche Debatte an. Mit dabei sein werden auch Irene Montero, Gleichstellungsministerin der aktuellen Regierung aus Sozialisten und dem Linksbündnis Unidos Podemos, sowie Vicky Rosell, Staatssekretärin gegen sexuelle Gewalt.
Die beiden linken Politikerinnen hatten in der Amtszeit der Mitte-Links-Regierung wichtige Impulse gesetzt. So ist Spanien seit Juni diesen Jahres das erste Land in Europa, das es Frauen gesetzlich erlaubt, bei schweren Menstruationsbeschwerden zu Hause zu bleiben. Zudem soll das „Nur Ja heißt Ja“-Gesetz es Opfern sexueller Gewalt einfacher machen, gegen Straftäter vorzugehen.
Doch natürlich geht auch in Brüssel die Arbeit weiter und wie immer bin ich mit meinem Team bemüht, alle Verantwortungsbereiche wirksam abzudecken. Ein besonders spannender Termin wird für mich die Übergabe des im vergangenen Jahr erarbeiteten „Manifests für ein föderales Europa“ an das Archiv des Europaparlaments sein. Dabei handelt es sich um eine Initiative der „Spinelli-Gruppe“, die mit Liberalen, Linken, Konservativen und Grünen bewusst breit aufgestellt ist. Was die Mitglieder vereint, ist das Ziel, die notwendigen Debatten um den weiteren Entwicklungsweg der EU zu intensivieren und dabei Denkanstöße und konkrete Vorschläge für eine stärkere gemeinschaftliche Ausrichtung zu bieten. Dass neben Vertreter:innen der Gruppe auch Parlamentspräsidentin Roberta Metsola dabei sein wird, wenn das Manifest überreicht wird, ist ein wichtiges Zeichen.
Die Schrift nimmt Bezug auf das 1941/42 von Altiero Spinelli, Ernesto Rossi und Eugenio Colorni verfasste Manifest von Ventotene. Vor über 80 Jahren, als die Völker Europas in dem vom deutschen Hitlerfaschismus und seinen europäischen und japanischen Verbündeten entfachten Weltenbrand die bislang dunkelsten Stunden europäischer und globaler Geschichte durchstehen mussten, waren die drei Antifaschisten auf der Insel nördlich von Neapel gemeinsam eingekerkert. Welche politischen Schritte können ähnliche dunkle Kapitel für die Zukunft verhindern? Wie kann ein Zusammenleben jenseits von Nationalchauvinismus und Hass gedacht und in der Praxis organisiert werden? Auf diese Fragen suchten die drei Verfasser Antworten. Ihre Vision: Die Errichtung eines neuen Europas, das nationale Grenzen hinter sich lässt und ein tatsächlich solidarisches Miteinander begründet.
Alleine die Auseinandersetzungen um eine europäische Asyl- und Migrationspolitik, die grundlegenden Geboten des Humanismus und der Solidarität gerecht wird und im Einklang mit völkerrechtlichen Pflichten steht, zeigen: Eine Weiterentwicklung der europäischen Integration tut not, will die Union sich ernsthaft den drängenden Herausforderungen der Gegenwart stellen. Diese Verantwortung anzunehmen, hieße, gemeinschaftliche Interessen auszuloten und entsprechende Instrumente bereitzustellen, also EU-Politik so ausrichten, dass sich demokratische Mehrheiten in allen Mitgliedstaaten selbstbestimmt nationalistischem Egoismus und zersetzender Marktmacht entgegenstellen.
Aus diesem Grund hatten sich im August vergangenen Jahres hatten Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft auf Ventotene versammelt. Auf der symbolträchtigen italienischen Insel stellten sie eine modernisierte, ergänzende Fassung des Manifests vor. Denn Jahrzehnte nach dieser Urschrift und 65 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge haben sich die Rahmenbedingungen tiefgreifend verändert und es gilt, Erfahrungen der bisherigen Integration, aber auch aus dem Kalten Krieg und der (vermeintlichen oder tatsächlichen) Überwindung der Blockkonfrontation aufzugreifen.
Die ursprünglichen Anstöße des Manifests aber bleiben noch immer aktuell, spannend und herausfordernd und erfordern weitergehende Antworten: Wie ermöglichen wir Frieden, Stabilität und Wohlergehen für alle Menschen auf unserem Kontinent, ein freundschaftlich verbundenes und, ja, solidarisches Miteinander der Menschen, während wir allseits greifbare Menschheitsaufgaben bewältigen und gleichzeitig in einem Binnenmarkt agieren, der von der Wirkungsmacht des heutigen Finanzkapitalismus geprägt ist? Als Verfasser:innen dieses neuen Manifests haben wir deshalb bewusst, den Kampf gegen den erstarkenden Rechtsextremismus in Europa sowie die Forderung nach einem konsequenten Einsatz zur Bewältigung der Klimakrise als Überlebensfrage aufgenommen und eine stärkere Zusammenarbeit in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Migration, Soziales und digitaler Wandel gefordert. Ich halte es für ein sehr wichtiges Signal, dass das „Manifest für ein föderales Europa – souverän, sozial, ökologisch“ nun in einem solchen Rahmen übergeben wird.
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