Zwischen Zeuthen und Brüssel: Vorschau auf die Woche

EU-Lieferkettengesetz – Europawahlen vom 6. bis 9. Juni 2024 – Studientage der Fraktion in Malmö (Ausgabe 103)

Liebe Leser*innen,

in dieser Woche stand, wie bereits im vergangenen Newsletter angesprochen, im Europäischen Parlament die wirklich bedeutsame, weil weitreichende Entscheidung zum EU-Lieferkettengesetz auf der Tagesordnung. Und ich kann Ihnen heute berichten: Wir haben einen klaren Etappensieg für gerechtere globale Wirtschaftsbeziehungen errungen. Obwohl sich CDU/CSU in letzter Sekunde innerhalb der EVP-Fraktion gegen den Schutz der Arbeitnehmer*innenrechte stellten und den auch mit dieser Fraktion in langen Vorabverhandlungen erreichten Kompromiss aufkündigten, hat die Mehrheit des EU-Parlaments für eine wirksame Lieferketten-Richtlinie gestimmt. Alle großen europäischen Unternehmen ab 250 Beschäftigten sollen Verantwortung für Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte übernehmen. Jetzt müssen die Regierungen der Mitgliedstaaten Stellung beziehen – und die Richtung sollte klar sein.

Das EU-Parlament geht damit weit über das deutsche oder auch das französische Lieferkettengesetz und den vorgelegten EU-Kommissionsentwurf hinaus. Das Plenum hat den federführenden Ausschuss zugleich beauftragt, nun nach der Abstimmung sofort die Verständigung mit dem EU-Rat als zweitem Gesetzgeber auf EU-Ebene aufzunehmen, also in den Trilog einzutreten, dessen erste Verhandlungsrunde bereits in der kommenden Woche beginnen wird. Auch die Ampel-Koalition muss jetzt Farbe bekennen und sich in Brüssel klar für eine wirksame Lieferketten-Richtlinie einsetzen. Umso spannender, als die FDP-Abgeordneten im Brüsseler Plenum gegen diese Gesetzgebung stimmten, anders als viele andere Abgeordnete der liberalen Fraktion „Renew“. Und ja, die Zeit drängt: Bürger*innen erwarten, dass die Regelung noch vor den Europawahlen beschlossen wird.

Apropos Wahlen. In dieser Hinsicht ist in letzter Zeit einiges geschehen. Ich meine damit weniger den umstrittenen Wahlsieg des türkischen Präsidenten Erdoğan am vergangenen Wochenende, der seinen repressiven Kurs im Land fortsetzen und den schäbigen und unmenschlichen „Flüchtlingsdeal“ mit der EU beibehalten wird.

Mir geht es vor allem um jene Staaten, in denen die Linkskräfte deutliche Wahlerfolge erzielen konnten – oder in denen sie sich für künftige Herausforderungen wappnen müssen.

Stichwort Nordirland: Bei der Kommunalwahl vor zwei Wochen hat die linke Sinn Féin, die auch in der Linksfraktion im Europaparlament vertreten ist, einen historischen Erfolg gefeiert. Erstmals seit der Schaffung der britischen Provinz vor gut 100 Jahren holte die Partei die meisten Sitze auf kommunaler Ebene. Sinn Féin tritt für eine Vereinigung mit Irland ein, stellt in ihrer Politik die Interessen von allen Menschen, ihre sozialen und wirtschaftlichen Problemlagen sowie die Gemeinschaften in den Vordergrund. Zuallererst geht es nun aber darum, die Blockade der Regionalregierung durch die erzkonservative DUP zu überwinden. Denn diese wehrt sich mit allen Kräften und unsauberen Tricks gegen eine Regierung unter Führung der Sinn Féin.

Stichwort Spanien: Nach dem Debakel für die Sozialdemokraten der PSOE bei den Regionalwahlen, ebenfalls am vergangenen Wochenende, wird bereits im Juli ein neues nationales Parlament gewählt. Und das in einer Situation, in der Spanien ab dem 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft von Schweden übernimmt. Die verschiedenen Linkskräfte in Spanien müssen sich dabei mit ihren Angeboten für eine soziale, gerechte Politik behaupten. Auch wenn die konservative Volkspartei PP sich bereits auf der Gewinnerstraße sieht und einen aggressiven Wahlkampf führt, hoffe ich, dass Vereinigte Linke (Izquierda Unida), Unidas Podemos und die relativ junge Sumar die Wähler*innen im Bündnis mit anderen progressiven Kräften mit ihren Programmen überzeugen können.

Stichwort Griechenland: Für die linke Syriza und Alexis Tsipras hat es Mitte Mai leider nicht zu einem Wahlsieg gegen die Konservativen gereicht. Dabei hat die Nea Dimokatia (ND) sicher auch davon profitiert, dass die Syriza-Regierung von 2015 bis 2019 das Spardiktat der internationalen Gläubiger-Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission so gemanagt hat, dass die Folgen für die breite Bevölkerung zumindest abgemildert wurden. Aber, und das sollte man hervorheben, Syriza ist die zweitstärkste Partei in Griechenland und errang bei den Wahlen 20 Prozent Stimmenanteil. Da es jedoch auch für ND keine klare Mehrheit im Parlament gab, wird nun am 25. Juni erneut abgestimmt.

Inzwischen steht auch der Zeitrahmen für die Europawahlen fest: Vom 6. bis 9. Juni 2024 wird in den EU-Mitgliedsstaaten die zehnte Direktwahl zum EU-Parlament stattfinden. Das Europaparlament wird in den nächsten Wochen final die genaue Zusammensetzung des Parlaments festlegen: ein notwendiger gesetzgeberischer Schritt, da vor den Wahlen die in den Mitgliedstaaten zahlenmäßig zu wählenden Abgeordneten und somit die Sitzzahl entsprechend der demografischen Entwicklung in den 27 EU-Mitgliedstaaten unter Anwendung des Prinzips der degressiven Proportionalität bestimmt werden muss. In dieser im kommenden Jahr zu Ende gehenden 9. Legislaturperiode bestimmten 705 Abgeordnete die EU-Gesetzgebung mit. Nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland waren viele Sitze des in den EU-Verträgen auf maximal 750 Abgeordnete plus Präsident*in festgelegten Größe der europäischen Volksvertretung bewusst frei belassen. Und das Europäische Parlament versuchte ja auch in dieser Legislatur, die Europäische Wahlgesetzgebung zu reformieren. Stichwort: Einführung eines transnationalen Wahlkreises und Aufstellung einer transnationalen Liste als zusätzlichem Schritt in Richtung Gemeinschaftswahlrecht. Aber diese und weitere Neuerungen treffen noch immer auf den Widerstand vieler Mitgliedstaaten im EU-Rat und der entsprechende Trilog zur Verständigung zwischen Parlament und Rat steckt in der Sackgasse. Es bleibt also beim Feilschen um Sitzzahlen zwischen den EU-Mitgliedstaaten – es gibt weiterhin wenig Bereitschaft seitens des Staatenverbundes, sich im 3. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts weiter zu demokratisieren und nationale Interessen und Machtsicht auf EU-Politik als dem Entscheidungskriterium zu überwinden und gemeinschaftliche und solidarische Entscheidungsstrukturen zu schaffen. Doch genau das müssen wir erreichen, wenn wir die globalen Krisen wie Klimakatastrophe, Inflation oder Energiekrise überwinden wollen.

In vergangenen Newslettern habe ich Sie darüber informiert, wie wir uns als deutsche Linkspartei und insbesondere auch als Delegation DIE LINKE. im Europaparlament für diese Wahlen aufstellen werden. Ganz sicher wird dies auch ein Thema bei den Studientagen unserer Fraktion in der kommenden Woche in Dänemark und Schweden sein. Mehr zum Programm können Sie, wie stets, unten lesen.

 

Ihr

Helmut Scholz

Lesen Sie die gesamte Ausgabe des Newsletters vom 02. Juni 2023 auf der Website von Helmut Scholz. 

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